„Anstrengungslosen Wohlstand gibt es nicht“
Im Februar diskutierte die Regionalgruppe Frankfurt/Hessen mit Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung a.D., wie die strukturelle Krise der deutschen Wirtschaft überwunden werden kann. Lesen sie hier das Kurzinterview, das im Anschluss entstanden ist.
Liebe Frau Stark-Watzinger, der Titel des Frankfurt Luncheons lautete „Die deutsche Wirtschaft am Scheideweg: Wie kann die Wende gelingen?“. Welche drei Maßnahmen sind für Sie entscheidend, damit die deutsche Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückkehrt?
Wir müssen zurück zu den Kernwerten, die uns stark gemacht haben: Mehr als jedes Gesetz entscheiden Haltungen über die Zukunft unseres Landes. Eigenverantwortung, Weltoffenheit und Leistung müssen Leitplanken unseres Handelns sein. Anstrengungslosen Wohlstand gibt es nicht.
Erstens müssen wir den Menschen die Freiheit geben, ihre Leistung und Kreativität im Sinne der Marktwirtschaft zu entfalten. Das bedeutet für mich Bürokratieabbau und Steuersenkungen, damit Investitionen und Modernisierung stattfinden.
Zweitens muss unser Bildungssystem ins 21. Jahrhundert gebracht werden. Auf die Lehrpläne gehören IT- und Wirtschaftsunterricht. Digitale Unterrichtsmittel können gegen Unterrichtsausfall oder bei besonderen Lernschwächen eingesetzt werden. Wir müssen alles tun, damit unsere Kinder die bestmögliche Bildung erhalten. Für sie selbst, aber auch für uns als Gesellschaft. Denn laut Studien kosten uns die Folgen schlechter oder fehlender Bildung als Gesellschaft Billionen an Euro.
Last, but not least müssen wir den Fachkräftemangel bekämpfen. Laut BDI fehlen über 100.000 IT-Kräfte in unserem Land, die können wir nicht herzaubern. Deswegen müssen wir an unserer Attraktivität für internationale Fachkräfte arbeiten: Da spielt das Steuersystem eine Rolle, aber auch Alltägliches wie die Sprache. Seit Jahren fordere ich deswegen Englisch als zweite Verwaltungssprache.
Der moralische Zeigefinger wird im transatlantischen Verhältnis nichts bewirken.
Neben den viel zitierten strukturellen Problemen, denen sich die deutsche Wirtschaft ausgesetzt sieht, Stichwort Bürokratie, Fachkräftemangel und Energiepreise, belasten internationale Entwicklungen das wirtschaftliche Erfolgsmodell Deutschlands. Bedarf es einer grundsätzlichen Neujustierung der deutschen (Export-)Wirtschaft, die abhängig ist von Absatzmärkten und freiem Warenhandel?
Unser Wohlstand, aber auch der Wohlstand weltweit hängt von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ab.
Deutschland hat keine Rohstoffe oder Bodenschätze, auf die wir unseren Wohlstand begründen können. Unsere Stärke steckt in den Köpfen der Menschen: in der Kreativität von Ingenieuren, im Know-how der Handwerksmeister und im Fleiß der vielen Millionen Menschen, die jeden Tag unsere Gesellschaft am Laufen halten. Insofern wird unser Geschäftsmodell immer exportlastig sein. Umso wichtiger ist es, dass wir außenpolitisch als Anwalt für Freihandel und Zusammenarbeit auftreten.
Auch wenn wir für die Werte des Westens stehen, wird der moralische Zeigefinger im transatlantischen Verhältnis nichts bewirken. Wir müssen selbst wirtschaftlich stark sein. Unsere Politik muss aus einem Dreiklang aus eigener Stärke, Diversifizierung und gezielt auch Schutz der Wirtschaft bestehen.
Donald Trumps Drohungen mit erhöhten Importzöllen auf Güter aus der EU treffen Deutschland in einer schwierigen politischen und wirtschaftlichen Phase. Wie sollte eine neue Bundesregierung auf die Ankündigungen des größten deutschen Handelspartners reagieren?
Wir müssen als Europäische Union geeint auftreten und mit allen Wertepartnern auf internationaler Ebene Freihandelsabkommen abschließen. Ziel muss es sein, einen konstruktiven Dialog aufrechtzuerhalten. Die Finanzmärkte haben schon auf die Zollpolitik der USA reagiert. Insofern besteht Hoffnung, dass in den USA und weltweit die Vorteile des Freihandels wieder Leitplanken der Politik werden.
Bettina Stark-Watzinger ist seit 2017 Mitglied der FDP-Fraktion im Bundestag und war 2021-2024 Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett Scholz.