Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Energiewirtschaft
Dirk Nowak, Managing Partner der SDI Management Consulting AG, berichtet von seiner Teilnahme an der Mitgliederreise der Atlantik-Brücke in Texas und Louisiana. Er analysiert die dortigen Energiemärkte und zieht mögliche Schlussfolgerungen für Deutschland und Europa.
Von Dirk Nowak
Die diesjährige USA-Mitgliederreise warf ein Schlaglicht auf die Energiewirtschaft und Energiepolitik der Vereinigten Staaten. Bereits die Auswahl der Stationen – Austin, San Antonio, Houston, Freeport und New Orleans – unterstrich diesen Fokus. Neben Diskussionen mit ausgewählten Politikerinnen und Politkern standen Gespräche mit führenden Vertretern der Energiebranche wie etwa Apache, Chevron, ConocoPhillips, Kinder Morgan, Noble, Tellurian und Williams auf der Agenda. Insbesondere ein Abend-Empfang von Cecilie Rohwedder und Paul Horvath in Houston gab hierzu reichlich Gelegenheit – inklusive spannender Unterhaltungen bis in den späten Abend, zum Beispiel mit Dr. Paul Achleitner. Die Frühstücksveranstaltung zu „Texas – Neuntgrößte Weltwirtschaft: Dreh- und Angelpunkt für die weltweite Energiewirtschaft“ hob die Bedeutung der Region hervor und spiegelte das Selbstverständnis der Texaner wider. Ergänzt wurden unsere Gespräche um zwei Besichtigungen des im Bau befindlichen Driftwood LNG-Terminals von Tellurian, einem der führenden US-LNG-Exporteure, sowie des Toyota-Werkes bei Houston.
Texas und Louisiana zeigten sich durchweg von ihrer für Energiegeschäfte sehr zugänglichen Seite. Die politischen und wirtschaftlichen Vertreter aus Texas waren sehr an Energie-Investitionen aus Deutschland interessiert – nicht nur in die seit Jahrzehnten dominante Öl- und Gasbranche, sondern auch in erneuerbare Energien. Wenige an Energie Interessierte dürften vor unserer Reise gewusst haben, dass (West-)Texas der größte Stromproduzent aus Windenergie in den USA ist. So produzierte Texas 29% der gesamten US-Windenergie in 2020 – viele hätten hier wahrscheinlich eher an Kalifornien oder an einen Bundesstaat in Neuengland gedacht.
Sowohl Texas als auch Louisiana sind wichtige energieproduzierende Staaten in den USA mit einem vielfältigen Mix an Energiequellen. In Texas sind die wichtigsten Energiequellen Erdöl, Erdgas und Kohle. Texas ist der größte Ölproduzent der USA – die börsengehandelte Ölsorte WTI steht für West Texas Intermediate – und ein wichtiger Erdgasproduzent, der umfangreiche Upstream-, Midstream- und Downstream-Aktivitäten umfasst, also sowohl die Erkundung und Förderung, den Transport und die Lagerung wie auch die Weiterverarbeitung des Erdgases. Texas, genauer ERCOT, der Energy Reliability Council of Texas, verfügt über einen eigenständigen Strommarkt, der bevölkerungsbezogen größtenteils dereguliert ist und über keinen Kapazitätsmarkt verfügt. 2021 kam es während des Sturms Uri zu einer enormen Strompreisvolatilität, die eine von der Public Utility Commission mandatierte Preisobergrenze von 9.000 US-Dollar je Megawattstunde (MWh) erforderlich machte (und Ende 2021 auf 5.000 US-Dollar je MWh gesenkt wurde). Auch wenn Texas eine Reihe von Kohlekraftwerken beheimatet, ist die Stromerzeugung aus Kohle aufgrund zunehmender Konkurrenz durch Erdgas und erneuerbare Energien seit einigen Jahren zurückgegangen. Texas und Louisiana sind aufgrund ihrer geografischen Lage, Infrastruktur und der erneuerbaren Energiequellen sehr gut positioniert, um künftige Wasserstoffzentren zu werden.
Louisiana beherbergt mehrere Kernkraftwerke und ist ein wichtiger Erdöl- und Erdgasproduzent, zum Beispiel befindet sich Henry Hub, der bedeutende Verteilungsknotenpunkt des Erdgaspipelinesystems, in Louisiana. Der Staat ist auch ein wichtiger Produzent von Wind- und Solarenergie. Sowohl Texas als auch Louisiana liefern Öl, Gas und zahlreiche petrochemische Produkte an andere US-Bundesstaaten. Sie sind somit wichtige Akteure auf dem US-Energiemarkt und tragen erheblich zur Energiesicherheit der USA bei.
Insbesondere durch Fracking und die Erschließung von Schiefergas sind die USA seit 2019 zum Nettoenergie-Exporteur geworden und verfügen über eine bedeutende LNG-Infrastruktur mit einer Reihe von LNG-Terminals. Dabei zeigen Texas und Louisiana anhand hoher Investitionen privater Unternehmen in LNG-Infrastruktur in insgesamt dreistelliger Milliardenhöhe, dass LNG mehr sein kann als eine kurzfristige Brückentechnologie. Auch wenn bisweilen argumentiert wird, dass der LNG-Infrastruktur-Ausbau den Übergang zu erneuerbaren Energien erschweren könnte, so ist spätestens seit dem Ukraine-Krieg klar, dass LNG-Importe für Deutschlands und Europas Versorgungssicherheit unabdingbar sind.
Bereits 2011 war der Kernenergieausstieg Deutschlands nach Fukushima völlig verfehlt, da eine Stromgrundlasterzeugung vorhanden sein muss, wenn man durch den extrem wichtigen Ausbau erneuerbarer Technologien CO2-Emissionen senken will. Schon vor dem Ukraine-Krieg musste Deutschland Kohlekraftwerke deutlich intensiver einsetzen, um den Wegfall von Nuklearstrom zu kompensieren – kontraproduktive, hohe CO2-Emissionen waren die Folge. Von der einseitigen energiepolitischen Abhängigkeit von Russland ganz zu schweigen.
Welche wesentlichen Erkenntnisse ergeben sich aus der Reise?
Im Gegensatz zu Europa und insbesondere Deutschland haben die USA die hohe sicherheitspolitische und ökonomische Relevanz einer energetischen Unabhängigkeit klar erkannt und damit verbundene Maßnahmen umgesetzt. Durch erhebliche Investitionen in neue Technologien von Fracking über erneuerbare Energie bis hin zur Energietransportinfrastruktur ist es den USA gelungen, im Jahr 2019 erstmals seit mehr als 60 Jahren Nettoenergie-Exporteur zu werden. Durch bedeutende Fortschritte im Fracking und bei horizontalen Bohrtechniken können US-Unternehmen große Mengen an Erdöl und Erdgas aus Schieferformationen kosteneffektiv fördern, die zuvor kaum zugänglich waren. Zudem haben die USA erhebliche Fortschritte beim Ausbau ihrer erneuerbaren Energien erzielt. Das Land ist ein führender Produzent von Wind- und Solarenergie und hat erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung getätigt, um die (Kosten-)Effizienz dieser Technologien zu fördern.
Nicht zuletzt deshalb sind die USA – ohnehin seit vielen Jahrzehnten ein zuverlässiger Handelspartner – ein zunehmend bedeutender LNG-Lieferant für Deutschland. Durch neue Technologien zur Energiegewinnung und signifikante Investitionen in LNG-Infrastruktur sind die USA in der Lage, LNG kosteneffektiv nach Deutschland und Europa zu liefern. Wenngleich es selbstverständlich gilt, keine neuen einseitigen Abhängigkeiten zu schaffen, so kann eine deutlich verstärkte Zusammenarbeit inklusive Investitionen in den USA für deutsche Unternehmen – auch unter Nutzung des Inflation Reduction Act – sehr attraktiv sein, um den Energiemix zumindest geografisch zu diversifizieren. So erscheint es äußerst sinnvoll, die USA als erprobten, langfristigen Partner durch LNG-Importe im deutschen und europäischen Energiemix zu haben, um die deutschen Gasspeicher vor allem im Herbst 2023 und darüber hinaus zu befüllen.
Was sollten Deutschland und Europa in ihrem Energiemanagement anders machen als Amerika?
Aufgrund geografischer und geopolitischer Unterschiede, etwa beim Zugang zu Erdöl und -gas, muss Deutschland mit Sicherheit eine andere Strategie als die USA verfolgen. So kann es kein Ziel sein, ein Nettoenergie-Exporteur zu werden. Vielmehr muss Deutschland darauf bedacht sein, seinen Energiemix möglichst effizient zu gestalten und die Unabhängigkeit von einzelnen Energie-Export-Ländern sicherzustellen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg wurde bereits eingeleitet: Deutschland hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Wind- und Solarenergie als Teil seines Übergangs zu einer kohlenstoffarmen und energetisch unabhängigen Wirtschaft auszubauen. Dabei hat Deutschland den Einsatz von erneuerbaren Energien deutlich schneller vorangetrieben als beispielsweise die USA. Des Weiteren hat Deutschland durch den Einsatz energieeffizienter Technologien große Fortschritte bei der Senkung seines Energieverbrauchs erzielt. Hier haben die USA noch Nachholbedarf.
Was sollte jetzt getan werden?
Aus meinem Verständnis der Energiepolitik und Energielandschaft in Deutschland und Europa gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die erwogen werden sollten, um den Übergang zu einem nachhaltigeren Energiesystem zu unterstützen:
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Weitere Ausweitung der Nutzung von erneuerbaren Energiequellen und Steigerung der Energieeffizienz:
Diese Maßnahmen liegen sicherlich auf der Hand, frei nach dem Motto „do more of what you do well“. Schließlich hat Deutschland in den vergangenen Jahren wesentliche Fortschritte in der Nutzung erneuerbarer Energien und bei der Energieeffizienz gemacht. Dennoch sind weitere Investitionen in erneuerbare Energien und energieeffizientere Technologien die wirksamsten Möglichkeiten, um den Energieverbrauch zu minimieren und noch deutlich grüner zu gestalten. -
Förderung zukunftsweisender neuer Technologien und Infrastrukturen:
Wasserstoff in seinen verschiedenen Farben, wie bereits in meinem Beitrag zur Rolle von Wasserstoff beim Energiegespräch der Atlantik-Brücke in Berlin im Oktober 2020 detailliert dargestellt, stellt ein wichtiges Element der künftigen Energiestrategie Deutschlands dar. Auch Biogas und CO2-Abscheidung und -Speicherung gewinnen zunehmend an Bedeutung.
Investitionen in Forschung und Entwicklung können dazu beitragen, die Entwicklung und den Einsatz neuer Energietechnologien und -infrastrukturen voranzutreiben, wie etwa in dezentrale Energieerzeugung, fortschrittliche Batteriespeichersysteme und intelligente Netze, die den Übergang zu einem nachhaltigeren Energiesystem unterstützen können.
Schließlich kann auch Fracking durch klassische deutsche Stärken wie hohe Ingenieurskompetenz, Innovation und nachhaltige Verbesserungen zur Überwindung von negativen Auswirkungen auf die Umwelt und für eine geringere energetische Abhängigkeit genutzt werden. -
Entwicklung einer umfassenden Energiepolitik:
Deutschland und Europa sollten eine umfassende, langfristige Energiepolitik entwickeln, die das gesamte Spektrum der verfügbaren Energiequellen und -technologien sowie die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen der verschiedenen Energie-Entscheidungen berücksichtigt. Um den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Energiewirtschaft sinnvoll zu erreichen, greifen bisher getroffene Maßnahmen zu kurz. Sie sind oft populistisch an der Wählergunst ausgerichtet und nicht langfristig durchdacht. Hierzu empfehle ich den Redebeitrag von Prof. Wolfgang Reitzle bei der Motorworld vom 5. Dezember 2022 zur Elektromobilität, der auf YouTube anzusehen ist.
Insgesamt müssen Deutschland und Europa beim Energiemanagement einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der ihre spezifischen Energiebedürfnisse und Herausforderungen berücksichtigt und auf die Entwicklung eines vielfältigen und nachhaltigen Energiemixes hinarbeitet. Internationale Zusammenarbeit und Partnerschaften über kontinentale Grenzen hinaus sind hierfür absolut notwendig. Dies unterstreicht einmal mehr den gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Mehrwert, den internationale Foren, wie sie die Atlantik-Brücke bietet, leisten können und müssen.