„Auf einmal war ich für Trump“
Von Martin Klingst
Die Afroamerikanerin Kathy Barnette, in den siebziger Jahren in bitterarmen Verhältnissen im Südstaat Alabama aufgewachsen, lebt heute mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Montgomery County im Bundesstaat Pennsylvania. Als sie das erste Mal wählen durfte, stimmte sie wie alle ihre schwarzen Verwandten, Freunde und Nachbarn wie selbstverständlich für die Demokraten. Doch fand sie bei ihnen keine geistige und politische Heimat und schloss sich vor über 20 Jahren den Republikanern an.
Statistisch gesehen ist die 51-Jährige damit eine Rarität, denn über 90 Prozent der afroamerikanischen Wählerinnen machen ihr Kreuz bei der Demokratischen Partei. Allerdings konnte der republikanische Präsident Donald Trump 2020 – im Vergleich zu 2016 – selbst in dieser Gruppe ein paar Stimmen hinzugewinnen.
Kathy Barnette nennt sich eine „konservative Republikanerin und tiefgläubige Christin“. Sie diente als Reservistin in der US-Armee, arbeitete als Finanzanalystin und begann ihre politische Karriere mit Videos auf Facebook und Youtube und als Kommentatorin bei rechten Radio- und Fernsehsendern. Dort behauptete sie unter anderem, der demokratische Präsident Barack Obama sei in Wirklichkeit ein Moslem und der Widerstand gegen den Islam sei genauso wichtig wie einst der Widerstand gegen Stalins und Hitlers Weltsicht.
2020 kandidierte Barnette für die Republikaner im 4. Wahldistrikt von Pennsylvania für das amerikanische Repräsentantenhaus und verlor krachend gegen ihre demokratische Konkurrentin. Bei den Halbzeitwahlen in diesem Herbst wäre sie gerne in Pennsylvania als republikanische Kandidatin für einen freigewordenen Sitz im US-Senat angetreten. Kurze Zeit sah es auch so aus, als würde sie die Vorwahlen, den Ausscheidungswettbewerb ihrer Partei, gewinnen, doch am Ende stimmte die Mehrheit der Republikanerinnen und Republikaner von Pennsylvania für einen anderen Kandidaten. Es siegte der von Donald Trump unterstützte Republikaner Mehmet Oz, der derzeit in den Umfragen für die Halbzeitwahl am 8. November hinter seinem demokratischen Gegner John Fetterman zurückliegt.
Dabei ist Kathy Barnette durchaus eine Politikerin nach dem Geschmack von Donald Trump. Wie er hat sie für eher gemäßigte, traditionelle Republikaner im Parteiestablishment nur Verachtung übrig, nennt sie „unpatriotisch“ und „unamerikanisch“. Und wie er behauptet auch sie, die Demokraten hätten die Wahl 2020 „gestohlen“. Mehrere Fotos belegen, dass Kathy Barnette am 6. Januar 2021 in Washington beim Protest gegen die angeblich gefälschte Präsidentschaftswahl mitmarschierte. Bei der anschließenden gewaltsamen Besetzung des Kapitols aber war sie nach eigenen Aussagen nicht dabei.
Derzeit leitet Barnette die ultrakonservative Aktion „1776 Pledge“, eine Bewegung, die eine Rückbesinnung auf Amerikas „ursprüngliche Werte“ fordert und sich auf die Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 beruft. Gleichgesinnte werden aufgerufen, ein schriftliches „Versprechen“ abzugeben, mit dem sie sich verpflichten, nach Kräften mitzuhelfen, „gewählte Beamte, Mitglieder von Schulausschüssen, Bildungsbeauftragte, Schulleiter, Dekane und Universitätspräsidenten, die eine falsche, spaltende und radikale Sicht auf Amerika und unsere Mitbürger vertreten, durch neue Führungspersönlichkeiten zu ersetzen, die unsere Geschichte, unsere Werte, unsere Rechte und die gottgegebene Würde eines jeden Menschen respektieren“.
„Sie wollen wissen, wie ich zu meiner konservativen Haltung gekommen bin? Im Grunde unseres Herzens sind wir Afroamerikaner doch mehrheitlich konservativ. Wir sind gläubig, achten das ungeborene Leben; Religion und Familie haben einen hohen Wert. Amerika fußt auf jüdisch-christlichen Werten, unsere Verfassung wurde, wie John Adams, einer unserer Gründerväter, mal an seine Frau Abigail schrieb, ‚für ein moralisches und religiöses Volk‘ gemacht. Die Demokraten verstoßen mit ihrer Einwanderungspolitik, mit ihrer Missachtung des ungeborenen Lebens gegen diese Grundsätze. Ich habe allerdings erst im Laufe der Jahre begriffen, dass mir die Republikaner viel näher sind.
Anders als viele Politiker beider Parteien wurde ich nicht mit einem Silberlöffel im Mund geboren. Ich bin das Produkt einer Vergewaltigung. Meine Mutter war 11, als sie geschwängert wurde, und 12, als ich zur Welt kam. Es hat lange gedauert, bevor ich das aussprechen konnte. Sie sehen, dass mir selbst jetzt noch die Tränen kommen.
Anders als viele Politiker beider Parteien wurde ich nicht mit einem Silberlöffel im Mund geboren.
Warum ich heute öffentlich darüber spreche? Weil ich es muss. Viele meiner republikanischen Freunde sind Christen wie ich und wollen ungeborenes Leben schützen. Das sogenannte Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch war uns Republikanern schon immer ein Dorn im Auge. Doch wann immer Leute wie ich uns für ein striktes Abtreibungsverbot starkmachen, wollen einige Republikaner zumindest im Falle einer Vergewaltigung eine Ausnahme zulassen. Doch dann wäre ich nicht auf die Welt gekommen. Ist mein Leben als Kind einer Vergewaltigung weniger wert? Weil ich diesen Gedanken unerträglich finde, begann ich von mir zu erzählen. Ausnahmen von einem Abtreibungsverbot darf es meiner Meinung nach nicht geben, allenfalls wenn das Leben der schwangeren Frau in größter Gefahr ist.
Dass meine Mutter bei meiner Geburt selbst noch ein Kind war, hätte ich mir natürlich an zwei Händen ausrechnen können. Aber wirklich begriffen habe ich das erst, als ich nach der Schule zum Militär ging und meine Geburtsurkunde vorlegen musste. Ich hatte sie vorher noch nie gesehen. Das Erste, was ich dort las, war, dass meine Mutter als „Negro“ bezeichnet wurde, das Zweite, dass sie 12 war, als sie mich zur Welt brachte. Erst damals habe ich die ganze Wahrheit erfahren.
Meine Mutter war natürlich viel zu jung, um für mich zu sorgen. Heute kümmere ich mich um sie, die Arme kämpft noch immer mit den Dämonen von damals. Aufgezogen haben mich meine Großeltern, sowohl die Eltern meiner Mutter als auch die meines Vaters. Natürlich kannte ich meinen Vater, schließlich war er der Sohn meiner Großeltern, aber er war nur selten da, und als Kind hatte ich nicht die geringste Ahnung, dass er mein Erzeuger war. Nein, vor Gericht wurde mein Vater nie gestellt. In unserem kleinen Dorf in Alabama, etwa eine Stunde südlich der Hauptstadt Montgomery, lebten gerade mal acht Familien, da kannte jeder jeden.
Sie mögen es nicht glauben, aber ich habe eine gute Kindheit gehabt.
Sie mögen es nicht glauben, aber ich habe eine gute Kindheit gehabt. Wirklich. Alles, was zählt, ist Liebe, und meine Großeltern waren sehr liebevoll und immer für mich da. Ich habe gute, die besten Erinnerungen an sie. Wann immer in meinen Träumen Kindheitsbilder auftauchen, sehe ich mich fröhlich mit meinen Großeltern.
Aufgewachsen bin ich auf einer kleinen Schweinefarm im Haus meiner Urururgroßmutter. Ja richtig, dreimal ‚ur‘. Meine Urururgroßmutter war noch eine Sklavin. Habe ich Haus gesagt? Es war eher eine Hütte, ohne elektrisches Licht, ohne fließendes Wasser und mit einem Plumpsklo draußen. Wir waren arm, sehr arm, aber das merkst Du nicht, wenn du geliebt wirst und alle um dich herum auch arm sind.
Wenn ich sehe, wie behütet und finanziell gesichert meine Tochter und mein Sohn großwerden, fällt mir der Unterschied zu meiner Kindheit natürlich besonders krass auf. Ich habe meine Kinder die ersten Jahre zu Hause unterrichtet, in Amerika ist das zum Glück erlaubt. In den öffentlichen Schulen wird so viel linker Unsinn gelehrt, dem wollte ich sie nicht aussetzen. Als ich vor einigen Jahren in die Politik ging, hatte ich fürs Homeschooling keine Zeit mehr. Jetzt besuchen sie wieder eine öffentliche Schule, aber zum Glück sind sie nun älter, gereifter und nicht mehr so leicht zu manipulieren. Sie haben ihren eigenen Kopf.
Immer wieder sagen Weiße zu mir: ‚O du Arme, du hast als Kind in Alabama, in einem Südstaat gelebt, da muss es dir als Schwarze ja schlechtgegangen sein.‘ Nein, so war es nicht. Ich erinnere nicht, dass mich irgendjemand mit dem N-Wort beschimpft hätte oder dass irgendjemand gesagt hätte: ‚Kathy, du bist schwarz, du bist arm, du bist eine Frau, aus dir kann nichts werden.‘
Natürlich gibt es Rassismus, wer wollte das abstreiten, aber heute gibt es Gesetze, mit denen man sich gegen Diskriminierung wehren kann.
Besonders vielen weißen Menschen bin ich als Kind allerdings nicht begegnet. Es war eher die Ausnahme, zum Beispiel als mal ein weißer Mann in unsere schwarze Kirche kam. Er kandidierte für ein politisches Amt und war auf Stimmenfang. Wenn ich allerdings heute so manche Weiße mitleidig über uns Afroamerikaner reden höre, denke ich, wir lebten immer noch in den Zeiten der Jim Crow Laws, der Rassentrennung. Natürlich gibt es Rassismus, wer wollte das abstreiten, aber heute gibt es Gesetze, mit denen man sich gegen Diskriminierung wehren kann.
Wie gesagt, wir waren bitterarm. Darum sollte ich eigentlich gleich nach dem Schulabschluss in einer Fabrik arbeiten. Das machten alle Afroamerikaner in meiner Gegend so, das schien der vorbestimmte Weg für uns. Ich weiß nicht genau, warum ich ausgeschert bin. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich mein Leben in Gottes Hand gelegt habe und fest daran glaubte, dass er Größeres mit mir vorhat, dass ich weiter lernen und ein College besuchen sollte. In Wahrheit konnte ich mir ein Studium jedoch nicht erlauben, es war schon schwer, 35 Cent für eine Tüte Chips zusammenzukratzen, das war mein Abendbrot.
Also bewarb ich mich beim Militär, weil man dann billiger studieren kann. Was noch an restlichen Collegegebühren anfiel, bezahlte ich mit dem Geld, das ich mit Gelegenheitsjobs verdiente. Ich musste zwischen drei Jobs hin- und herspringen, das war manchmal ganz schön anstrengend, aber es hat sich gelohnt. Ich machte einen Bachelor in Finanzen und einen Master in Wirtschaft.
Beim Militär begann ich auch, mich für Politik zu interessieren. Ich war noch keine Zwanzig und beendete gerade meine Grundausbildung in Fort Dix in New Jersey. Auf einmal durchzuckte mich der Gedanke: ‚Hey, Kathy, du bist zwar zum Militär gegangen, weil es dir deine Ausbildung zahlt. Aber ist dir eigentlich bewusst, dass du als Soldatin die Pflicht hast, Amerika zu verteidigen – notfalls mit deinem Leben?‘
Plötzlich wurde mir der Ernst meiner Entscheidung bewusst und ich wollte unbedingt genauer wissen, für welches Amerika, für welche Ideale ich schlimmstenfalls sterben müsste. Ich holte mir Bücher über unsere Geschichte, las Biografien über unsere Founding Fathers, die Gründerväter der Vereinigten Staaten, befasste mich mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und unserer Verfassung.
Als Soldatin wurde ich einer Sondereinheit zugeteilt, einer Art Heereskriminalpolizei, deren Aufgabe es ist, Straftaten innerhalb des Militärs zu verfolgen. Ich war die Jüngste und die einzige Schwarze in einem Kreis von weißen Militärpolizisten, Militärjuristen und Ermittlern. Sie haben mich alle gut und fair behandelt, dort habe ich selbst erlebt, dass Amerika nicht, wie viele Weiße und Schwarze immer wieder behaupten, unter systemischem Rassismus leidet.
Natürlich gibt es Unrecht, die ganze Welt hat die Bilder von dem weißen Polizisten gesehen, der den Afroamerikaner George Floyd bei einem Einsatz getötet hat. Aber die Black-Lives-Matter-Bewegung, die linke Antifa, die Demokratische Partei haben sofort versucht, das für ihre Zwecke auszunutzen. ‚Defund the Police‘, skandierten sie in den Straßen. Der Polizei das Geld streichen? Es waren überwiegend keine Schwarzen, die das gefordert haben. Das waren hauptsächlich Weiße, die in abgeschirmten Stadtteilen und gut gesicherten Häusern leben. Was haben die Demokraten mit ihrem Wohlfahrtssystem für die Afroamerikaner erreicht? Die düstere Bilanz ihrer jahrzehntelangen Politik: Im Durchschnitt sind Schwarze besonders arm, haben die schlechtesten Schulabschlüsse, wachsen oft ohne Vater auf, besitzen das wenigste Eigentum und landen besonders oft im Knast.
Ich scheue mich nicht, diese Wahrheiten auszusprechen. Ich habe keine Berührungsängste und gehe gezielt in schwarze Wohnviertel. Montgomery County, wo ich wohne, zählt zu den wohlhabendsten Bezirken in Pennsylvania, aber das gilt leider nicht für die meisten Afroamerikaner dort, viele von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Im Wahlkampf habe ich pausenlos an Haustüren geklopft und die Leute fingen an, mir zuzuhören, wenn ich sagte: ‚Hallo, ich bin Kathy Barnette – und ja, ich bin eine Republikanerin. Bitte befreit euch mal von euren Vorurteilen und lasst uns über ein paar Fakten reden.‘ Einige haben mir danach applaudiert.
Auf einmal war ich für Trump, und als Präsident hat er mich nicht enttäuscht.
Der Präsidentschaftskandidat Donald Trump war 2016 nicht mein Favorit, ehrlichgesagt war er für mich die Nummer 16 der 16 Bewerber. Aber auf einmal sprach er aus, was auch ich dachte: dass zu viele illegale Einwanderer ins Land kommen und Amerika eine christlich-jüdische Nation ist. Dass Abtreibung Unrecht ist. Dass die Globalisierung die amerikanische Wirtschaft in den Abgrund reißt und wir darum dringend die nach China verlagerte Produktion zurückbringen müssen. Dass wir ein starkes Militär brauchen und als Supermacht nicht vor anderen Regierungen kuschen dürfen. Auf einmal war ich für Trump, und als Präsident hat er mich nicht enttäuscht.
Sie sagen, die Mehrheit der Amerikaner habe Trump jedoch nicht für sich einnehmen können und deshalb sei er 2020 abgewählt worden? Das glaube ich nicht. Wäre bei der Wahl alles nach Recht und Gesetz geschehen, hätte zum Beispiel jeder einen Wählerausweis besitzen und sich bei der Stimmabgabe damit legitimieren müssen, dann säße heute Trump und nicht Joe Biden im Weißen Haus. Davon bin ich überzeugt.
Sie wenden ein, gerade die Afroamerikaner hätten überwältigend für Biden gestimmt? Ja, das ist richtig, aber gerade auch das Problem. Wie in unsere schwarze Haut wurden wir auch in die Demokratische Partei hineingeboren. Darum sage ich zu meinen schwarzen Brüdern und Schwestern: ‚Begreift, wir sind keine Sklaven mehr, wir müssen endlich für uns selbst denken. Wenn ihr euer Wahlverhalten ändert, wird sich auch euer Leben verändern.‘“
Lesen Sie die Einleitung zur Reihe „Unterwegs in Trumps Amerika“ hier.
Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.
Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.