China füllt das Finanzvakuum in Osteuropa
Christian W. Pfrang, Lex Kolumnist, Financial Times
Chinas Investitionsstrategie in Osteuropa zeigt, dass die aktuelle Sicherheitsdebatte in Deutschland mit ihrem Fokus aufs Militärische zu kurz greift. Deutschland muss seine Sicherheitsinteressen in Europa auch durch seine Finanzpolitik ausdrücken. Zugeständnisse an unsere Nachbarländer sind notwendig, um China mit einer einheitlichen europäischen Macht und Stimme gegenüberzutreten.
Die Nachfrage nach Investitionen und Infrastrukturprojekten ist hoch nach einem Jahrzehnt europäischer Sparpolitik. Chinesischen Investoren haben diese Lücke, teilweise unter Ermunterung europäischer Regierungen, für sich genutzt. Dass dadurch Abhängigkeiten entstehen könnten, deren Virulenz darauf beruht, dass sie von der chinesischen Regierung strategisch zur Verstärkung von Widersprüchen zwischen den europäischen Ländern eingesetzt werden, hätte schon von Anfang an klar sein müssen.
Eine Bloomberg Studie vom April dieses Jahres beziffert die Einkäufe in Europa seit 2008 mit 318 Milliarden Dollar, wobei mehr als die Hälfte davon in den fünf Ländern mit der stärksten Wirtschaft getätigt wurde. Die Volksrepublik verfolgt nicht nur die Entwicklung des asiatisch-europäischen Wirtschaftsraumes durch Infrastrukturprojekte im Rahmen der „One belt one road“-Initiative, sondern kultiviert ihre Beziehungen mit osteuropäischen Ländern in bilateralen Gesprächen innerhalb der „16+1-Gruppe“. Die Financial Times zitiert eine Analyse des Center for Strategic and International Studies. Diese zeigt, dass mehr als die Hälfte von 9,4 Milliarden Dollar an Deals in den zwei Jahren vor 2018 in EU-Beitrittskandidaten, wie zum Beispiel Albanien und Mazedonien, investiert wurden.
Orbán sieht in Chinas Investment einen Hebel gegen die EU
Experten des Berliner Thinktanks MERICS sehen die Umsetzung der Investitionspläne skeptisch: Nur wenige der angekündigten Milliardenprojekte wurden bis jetzt tatsächlich realisiert, während der Großteil von Investitionen in der EU und ihrer Peripherie konsistent aus Europa selbst kommt.
Dennoch hat das chinesische Engagement in den Ländern Osteuropas mit ihrer vergleichsweise geringeren Wirtschaftskraft einen größeren Effekt als die auf absoluter Basis viel höheren chinesischen Investitionsvolumen in westlichen Staaten wie Großbritannien oder Deutschland. Nicht-EU-Länder unterliegen weniger strengen Regeln und müssen sich daher oftmals mit Konditionen zugunsten Chinas zufriedengeben. Und autoritäre Politiker in EU-Staaten, wie zum Beispiel der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, sehen die chinesische Unterstützung als Druckmittel in ihren Bestrebungen, den Einfluss der EU zu mindern.
Deswegen scheinen Wirtschaftsdeals oft mit politischen Zugeständnissen an China einherzugehen. Ungarn und Griechenland haben sich zum Beispiel bereits 2016 stark dafür ausgesprochen, ein Statement der EU mit Bezug auf Chinas aggressives Verhalten im Südchinesischen Meer abzuschwächen. Gemeinsam strengere Regeln für Investitionen in Europa zu verhandeln, gestaltet sich so noch schwieriger. Dies hat auch negative Auswirkungen auf den europäischen Binnenmarkt. Er hat weniger Gewicht – auch bei dem Bestreben, China zum Abbau von Investitionshürden für deutsche Firmen zu bewegen.
China kauft sich gezielt in tschechische Medienhäuser ein
Transaktionen mit angeblich nicht-staatlichen Firmen des autoritären Staates können nicht isoliert von der Räson der Kommunistischen Partei betrachtet werden. Diese Einsicht ist von besonderer Bedeutung, wenn es um Investitionen in kritische Infrastrukturen oder Medieneinrichtungen geht. Eine Studie von ChinfluenCE, ein Projekt, das chinesische Einflüsse auf Politik und Wirtschaft in Osteuropa analysiert, stellt fest, dass tschechische Medienfirmen mit Beteiligungen von chinesischen Investoren ein deutlich positiveres Bild des Landes zeichnen als die weitere tschechische Medienlandschaft. Das inzwischen in Schwierigkeiten befindliche Energiekonglomerat CEFC kaufte sich 2015 in Empresa Media, einem der größten tschechischen Medienfirmen, ein. Die Beteiligung wurde zwei Jahre später wieder verkauft.
Die Thematik ist in deutschen Politikerkreisen durchaus bekannt. Der damalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel warnte in einer Rede im vergangenen Jahr davor, dass es China Erfolg damit haben könnte, „Europa zu spalten“, falls es nicht gelinge, „eine eigene Strategie mit Blick auf China zu entwickeln“. 2017 hat die Bundesregierung strengere Investitionsschutzregeln beschlossen und im Juli unter Berufung auf nationale Sicherheitsinteressen zwei Transaktionen innerhalb einer Woche gestoppt.
Auf der Suche nach der passenden Strategie
Diese Signale müssen allerdings von einem breiteren Umdenken über die Instrumente und die Ziele deutscher Sicherheitspolitik unterfüttert werden, um angemessen auf Chinas Drang nach Europa reagieren zu können. Bruno Macaes, ehemals portugiesischer Europaminister, beschreibt in seinem kürzlich erschienenen Buch „The Dawn of Eurasia“ ein Treffen im deutschen Außenministerium vor zwei Jahren. Er zitiert die Beamten mit der Aussage, dass China keine umfassende Strategie in Bezug auf Europa verfolge. Darüber hinaus beschreibt er deren Meinung, dass Europa nicht strategisch in Bezug auf China agieren solle, um einen Konflikt zu vermeiden, den Europa wahrscheinlich verlieren würde.
Diese Ansicht, unabhängig von der Authentizität des Dialogs, ist naiv. China hat gelernt, die Regeln unserer offenen Marktwirtschaften zu seinen Gunsten auszunutzen. Präzedenzfälle wie Australien und Neuseeland zeigen, dass China nicht davor zurückschreckt, wirtschaftliche Verbindungen in politischen Druck umzuwandeln. Wer sich auf erstere einlässt, sollte sich gegen letzteren wappnen. Effektiv kann dies in Europa nur vereint geschehen: Deutschland muss sich dafür einsetzen, auf die legitimen Investitionsbedürfnisse seiner Partner im europäischen Rahmen Antworten zu finden, um umgekehrt wirkungsvolle europaweite Investitionsschutzmaßnahmen und Verhandlungsmacht mit China zu gewinnen.
Christian Pfrang (YL 2017) schreibt für die Lex Kolumne der Financial Times über Wirtschaft und Kapitalmärkte in Asien. Davor hat er zunächst an der Brown University in angewandter Mathematik promoviert und dann in New York als Derivatehändler gearbeitet.