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Das neue Nordamerika

Das neue Nordamerika

von Dr. Michael Werz, Center for American Progress, Washington DC

In zwei Monaten wird eine Brücke fertiggestellt werden, die im südkalifornischen San Diego beginnt und im mexikanischen Tijuana endet. An und für sich keine weltbewegende Sache, denn zwischen den beiden Städten befindet sich bereits seit vielen Jahren die weltweit wichtigste Grenzmarke mit über 150.000 Reisenden am Tag. Doch die neue Überführung ist einzigartig, sie ist nur für Fußgänger und verbindet die USA mit einem mexikanischen Flughafen.

San Diego International Airport wird zunehmend von den umliegenden Vorortsiedlungen erdrosselt, ein Ausbau ist nicht möglich. Doch das Flugverkehrsvolumen in Südkalifornien wächst rasant: in den vergangenen acht Jahren um über ein Viertel, meistens in Richtung Asien. Heute findet schon 37% des weltweiten Reiseaufkommens in der Pazifikregion statt, im Jahr 2031 wird es über die Hälfte sein.

Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass eine mexikanische Schwesterstadt auf der anderen Seite des Rio Grande den amerikanischen Nachbarn aus dem aeronautischen Engpass heraushilft.

Doch die Zeiten haben sich geändert: Die Wirtschaftsintegration Nordamerikas ist 20 Jahre nach dem NAFTA Freihandelsabkommen weit fortgeschritten, das Gleiche gilt für die gemeinsame Neuausrichtung Mexikos, der Vereinigten Staaten und Kanadas in Richtung Asien. Mexiko ist erstmals ein zentrales Bindeglied Nordamerikas: Der wichtigste U.S. Handelspartner, mit mehr Volumen als Argentinien und Brasilien mit doppelt so vielen Einwohnern.

Die Weltbank hat kürzlich dokumentiert, dass die Investitionsbedingungen in Mexiko besser sind als in Italien oder Spanien – es dauert dort nur neun Tage eine neue Firma zu etablieren. Und die Modernisierungs-Strategie der Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto beruht auf zwei zentralen Pfeilern, die diese Entwicklungen festigen werden: der Öffnung des staatlichen Energiesektors für Privatinvestitionen, sowie der Vervielfachung des Handels im Pazifischen Raum, besonders durch neue Technologie und hochwertige Manufaktur.

Diese Annäherung wird durch Entwicklungen im Innern der Vereinigten Staaten noch beschleunigt. Die Gesellschaft wird heterogener und in etwas mehr als 20 Jahren gibt es keine weiße Bevölkerungsmehrheit mehr. Als größte Minderheit machen die Hispanics, spanischsprechende Amerikaner, bereits mehr als 17% der Gesamtbevölkerung aus, weit über 40 Millionen.

In den kommenden fünfundzwanzig Jahren wird sich ihre Zahl verdreifachen. Im Jahr 2050 leben 110 Millionen Hispanics in den USA, Durchschnittsalter unter 31 Jahren. Zum Vergleich: Deutschland wird 2050 etwa 69 Millionen Einwohner haben — Durchschnittsalter rund 50 Jahre, davon knapp 40% im Ruhestand.
Bereits jetzt liegt die wirtschaftliche Zukunft der USA im Westen: Die jährliche Wirtschaftsleistung Kaliforniens (mit über 40% Hispanics) entspricht der Italiens oder Russlands mit rund 2 Billionen US-Dollar. Alleine in Los Angeles und Umgebung produziert diese Gruppe mehr Bruttosozialprodukt als die Schweiz, Argentinien oder Taiwan.

Diese Dynamik entfaltet ungeheure Anziehungskräfte. An den Daten der letzten amerikanischen Volkszählungen ist deutlich zu erkennen wie der Bevölkerungsschwerpunkt von Nordosten nach Südwesten verrückt – und zwar mit einer Geschwindigkeit von etwa fünf Kilometern im Jahr in Richtung Texas, Colorado, Arizona und Kalifornien. Das heißt: Amerika entfernt sich alltagskulturell und physisch von Europa. Der intensivere Blick nach Mexiko korrespondiert mit der neuen Bevölkerungsdynamik.

Diese Entwicklung findet in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft statt, nicht an ihrem Rand, wie so oft bei Minderheitsgruppen und Einwanderern in Europa. Die harten Auseinandersetzungen der Bürgerrechtsepoche haben die USA demokratisiert und die Einsicht vertieft, dass Heterogenität eine Stärke ist, keine Schwäche.

Im Bann der Eurokrise drohen die Europäer viele dieser wichtigen Entwicklungen zu verschlafen. Nur wenige sind bereit, sich ernsthaft auf die neuen Vereinigten Staaten einzulassen oder intensive Kontakte und strategische Zusammenarbeit mit jenen Minderheitengruppen zu verfolgen, die in wenigen Jahren die neuen Eliten stellen werden. Doch ohne solche Anstrengungen wird das transatlantische Verhältnis das Pazifische Jahrhundert schwerlich überdauern.

Dr. Michael Werz ist Senior Fellow beim Center for American Progress (CAP) in Washington, DC.

Link zur ausführlichen Biographie von Dr. Michael Werz

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