„Deutschland ist ein unverzichtbarer Partner“
Mit Atlantik-Brücke Mitglied Simon Vaut sprach US-Botschafter John B. Emerson über den Besuch Präsident Obamas in Hannover, über die deutsche Flüchtlingspolitik, die Bedeutung von TTIP und darüber, warum Berlin ihn an Kalifornien erinnert.
Herr Botschafter Emerson, sie waren bereits im Stab der Regierung Bill Clinton ein hochrangiger Mitarbeiter für Handelspolitik. Nun sind sie von Berlin aus intensiv mit der geplanten transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft befasst. Verwundert sie die öffentliche Debatte in Deutschland über TTIP?
Grundsätzlich ist Kritik von ganz links sowie ganz rechts des politischen Spektrums bei Handelsverhandlungen zu erwarten. Die Breite und Intensität der Proteste sind jedoch bemerkenswert. Einer Exportnation wie Deutschland bieten verbesserte Handelsregeln schließlich große Chancen. Normalerweise gibt es solche Sorgen bei Handelsverträgen zwischen Ländern mit großem Wohlstandsgefälle. Die USA und die EU sind aber nicht nur auf gleichem Wohlstandsniveau, wir haben auch vergleichbar hohe Verbraucher- und Umweltstandards.
Gab es Versäumnisse seitens der TTIP-Befürworter?
Es war sicher richtig die Transparenz der Verhandlungen weiter zu erhöhen und damit Vertrauen zurückzugewinnen. Und die Befürworter waren lange zu passiv. In diesem Informationsvakuum sind allerlei Mythen entstanden und Sorgen geschürt worden. Wir müssen die großen Chancen deutlich kommunizieren. Ich stimme Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ausdrücklich zu: TTIP ist eine Chance für die EU und die Vereinigten Staaten, um die globalisierte Wirtschaft besser zu regeln. Das Pro-TTIP Lager ist nun aufgewacht und kann gute Argumente vorweisen. Es ist ja beispielsweise keineswegs so, dass Standards gesenkt werden sollen. Im Gegenteil: Auf beiden Seiten des Atlantiks haben wir hohe Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Und bei Volkswagen und der FIFA waren es bekanntlich amerikanische, nicht europäische Behörden, die diese auch zur Geltung gebracht haben. Die Hannover-Messe im April ist ein gutes Forum, um die Vorteile von TTIP für beide Seiten deutlich zu machen. Die Vereinigten Staaten sind dieses Jahr Partnerland. Wir freuen uns sehr, dass Präsident Obama zu diesem Anlass in Deutschland war.
Hat der Besuch Fortschritte bei TTIP gebracht? Können die Verhandlungen noch in der Amtszeit des 44. Präsidenten auf die Zielgerade gebracht werden?
In seiner Rede anlässlich der Eröffnung der Hannover Messe hat Präsident Obama deutlich gesagt, dass wir die Verhandlungen zu TTIP noch in diesem Jahr abschließen müssen, um auf beiden Seiten des Atlantiks Wachstum zu fördern. Er brachte unsere feste Entschlossenheit zum Ausdruck, mit Europa zusammenzuarbeiten, um das zu schaffen. Sein Besuch fiel mit dem Beginn der 13. TTIP-Verhandlungsrunde zusammen. Unser Verhandlungsführer, Botschafter Froman, trifft sich regelmäßig mit seiner Amtskollegin aus der EU, Cecilia Malmström, um an der Klärung noch offener Fragen zu arbeiten. Präsident Obama ist davon überzeugt, dass die Rahmenbedingungen noch in seiner Amtszeit geschaffen werden können. Aber es ist auch richtig, dass politische Führungsstärke nötig ist, um sich zu einigen und vertrauensvoll miteinander zu verhandeln. Es steht viel auf dem Spiel. TTIP kann Handelsschranken abbauen, Verfahren vereinfachen und ein hohes Verbraucher-, Arbeits- und Umweltschutzniveau auf beiden Seiten des Atlantiks festlegen. Über diese wirtschaftlichen Aspekte hinaus kann TTIP für die Wiederbelebung des transatlantischen Bündnisses und als Symbol der Demokratie und freien Märkte strategisch von Vorteil sein.
Herr Botschafter, Präsident Obama war zum fünften Mal in seiner Amtszeit in Deutschland, ein Zeichen von enger, transatlantischer Verbundenheit. Was ist Ihr Fazit des Besuchs?
Die Tatsache, dass Präsident Obama unserer unverzichtbaren Partnerschaft so große Bedeutung beimisst, ist der Grund dafür, dass die Vereinigten Staaten die Einladung Deutschlands, Partnerland der Hannover Messe 2016 zu werden, gerne angenommen haben. Mit seinem Besuch in Hannover brachte der Präsident seine Anerkennung für Deutschlands Führungsrolle zum Ausdruck. Außerdem hat der Präsident Kanzlerin Merkel häufig für die mutige moralische und pragmatische Führungsstärke gelobt, die sie angesichts tiefgreifender Herausforderungen gezeigt hat. Bei diesem Besuch hat er sie als zuverlässige Partnerin bezeichnet und ihr für ihre Freundschaft und ihr Bekenntnis zum Bündnis mit den Vereinigten Staaten gedankt.
Dieser Besuch bestand eigentlich aus zwei Teilen. Der erste Teil war die Eröffnung und der Rundgang über die Hannover Messe, bei der die Vereinigten Staaten erstmals Partnerland waren. Bei der Messe ging es im Grunde darum, potenzielle Geschäftspartner zusammenzubringen, die neuesten technologischen Innovationen vorzustellen und zu neuen Ideen anzuregen. Die Teilnahme des Präsidenten hat das Interesse amerikanischer Unternehmen massiv verstärkt. Dieses Jahr waren beinahe 400 Firmen und 75 US-Wirtschaftsförderungseinrichtungen vertreten.
Das zweite Ziel des Präsidenten war es, in einer Rede an die Europäer noch einmal wichtige Aspekte seiner Außenpolitik deutlich zu machen. Es war sehr angemessen, diese Rede in Hannover zu halten, denn Deutschland ist für uns ein unverzichtbarer Partner dabei, Herausforderungen weltweit anzugehen. In einer Zeit, in der die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union immer wieder in Frage gestellt wird, war Präsident Obamas Botschaft sehr deutlich: Ein geeintes Europa kann mit Herausforderungen wie Migration, dem syrischen Bürgerkrieg, Terrorismus und russischen Angriffen besser umgehen. Er nannte die Vereinigten Staaten Europas stärksten Bündnispartner und sagte, sie hätten volles Vertrauen in die Fähigkeit Europas, diese Herausforderungen zu meistern. Aber er machte auch deutlich, dass die NATO-Mitglieder ihren Verpflichtungen gerecht werden und zwei Prozent ihres BIPs für Verteidigung aufwenden müssen, um sich der IS-Terrormiliz entgegenstellen, einen potenziell destabilisierenden Flüchtlingsstrom in Südeuropa aufhalten und die Provokationen Russlands aushalten zu können.
Präsident Obama ist ein langjähriger und guter Bekannter von Ihnen. Wie sehen Sie seine Amtszeit?
Es ist richtig, wir kennen uns gut. Ich hatte das große Glück, Barack Obama bereits 2003 vor dessen kometenhaftem Aufstieg in Chicago bei einem Frühstück kennenzulernen. Gleich nach dem Treffen rief ich meine Frau Kimberly und sagte: Ich habe gerade den künftigen US-Präsidenten getroffen. Und ich bin überzeugt, dass seine Leistungen historisch sind. Präsident Obamas ist es gelungen, die Vereinigten Staaten aus der tiefsten Rezession seit achtzig Jahren herauszuführen. Die Gesundheitsreform hat praktisch allen Amerikanern endlich eine Krankversicherung verschafft. Und die Zeit der außenpolitischen Alleingänge ist vorbei. Den sogenannten „Islamischen Staat“ bekämpfen wir nun gemeinsam mit unseren Partnern. Auch der diplomatische Durchbruch in Bezug auf das iranische Atomprogramm sowie die erfolgreichen Verhandlungen auf der Klimakonferenz in Paris sind Meilensteine einer auf Kooperation bauenden Außenpolitik Obamas.
Über ihrem Schreibtisch hängt eine Deutschlandkarte mit vielen kleinen Fähnchen. Sind das die Orte, die sie in Deutschland besucht haben?
Ja, an zwei Tagen pro Woche arbeite ich außerhalb von Berlin. Ich war bereits in mehr als 100 Orten in Deutschland: in Unternehmen, Kulturinstitutionen, Schulen und in letzter Zeit auch immer öfter in Flüchtlingsheimen. Was ich in Gespräch zur Flüchtlingsthematik immer wieder betone ist, wie wichtig es ist, dass die Flüchtlinge so schnell wie möglich die Landessprache lernen. Außerdem müssen die Kinder besonders gefördert werden. Und die Integration in den Arbeitsmarkt muss schnell gelingen. Denn wenn junge Männer nichts zu tun haben, kommt dabei selten etwas Gutes raus. Aber wenn die Integration gelingt, kann Deutschland durch Zuwanderung nur gewinnen. Der Haltung der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingsfrage zolle ich hohen Respekt. Und damit bin ich als amerikanischer Bürger nicht allein. In den Vereinigten Staaten ist kein anderer internationaler Politiker beliebter als Angela Merkel.
Wie erleben Sie und Ihre Familie persönlich Ihr Leben in Deutschland?
An das Klima hier mussten wir uns erst gewöhnen. Sie werden deshalb vielleicht lachen, wenn ich ihnen sage, wie sehr Berlin mich an meine südkalifornische Heimat erinnert. Es gibt aber in der Tat viele Ähnlichkeiten; Die Offenheit der kosmopoliten Stadt, die junge Kunst-, Musik- und Filmszene sowie die Start-Up-Kultur. Meine Zwillingstöchter Hayley und Taylor haben sich schnell eingelebt. Das liegt sicher auch an ihrer Fußballbegeisterung. Seit sie vier Jahre alt sind, kicken beide leidenschaftlich, haben mit ihrer Schulmannschaft viele Trophäen gewonnen und bei einem Berliner Fußballverein trainiert. Gemeinsam sind wir regelmäßig zu Gast in deutschen Fußballstadien. Auch beruflich machen meine Töchter hier ihre ersten Schritte. Ein Praktikum haben sie auf einem Brandenburger Biobauerhof absolviert und dort alles Mögliche getan vom Äpfel pflücken bis zum Reinigen von Hühnerkäfigen. Dem folgten Praktika in Berliner Startups und in den Babelsberger Filmstudios. Wir haben in unserer Familie gemeinsam beschlossen, auch nach meiner Amtszeit immer einen Koffer in Berlin zu haben und werden hier eine Wohnung kaufen.