Deutschland setzt seinen innovativen Standort aufs Spiel
Gravierende technologische Neuerungen stoßen in der Bundesrepublik wie auch in einigen weiteren westlichen Ländern auf eine ablehnende Haltung in der Gesellschaft. Dies ergab die exklusive Vorstellung der deutschen Daten des Edelman Trust Barometers 2024 in einer gemeinsamen Veranstaltung von Edelman und der Atlantik-Brücke.
Weitere Informationen, Daten und Ergebnisse des deutschen Reports zum Edelman Trust Barometer finden Sie hier.
Das Edelman Trust Barometer 2024 hat für Deutschland ernüchternde Ergebnisse zu Tage gefördert. „Keiner Institution wird vertraut“, sagte Christiane Schulz, CEO von Edelman Deutschland, zu Beginn ihrer Präsentation in Berlin. Unter einer Institution versteht das amerikanische Unternehmen für PR-Beratung die folgenden vier Sektoren: die Regierung, Wirtschaft, Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für die aktuelle Ausgabe der Studie wurden im November 2023 etwa 32.000 Menschen in 28 Ländern befragt. 50 Prozent der circa 1.150 Befragten in Deutschland gaben an, der Wirtschaft Vertrauen entgegenzubringen. Dieser Wert ist unverändert im Vergleich zu 2023. Die Bundesregierung hat dagegen im Vergleich zur Erhebung des vergangenen Jahres 5 Prozentpunkte auf jetzt 42 Prozent verloren.
Auf diesem Fundament des schwachen Vertrauens in die entscheidenden Institutionen eines Landes hat die Akzeptanz von Innovationen wie zum Beispiel von Impfstoffen gegen das Corona-Virus oder auch wie der KI-Anwendung ChatGPT einen schweren Stand. Schulz verdeutlichte, dass dieser Befund für die Exportnation Deutschland problematisch ist: „Innovation bedeutet letzten Endes Wachstum. Auch Vertrauen übersetzt sich in Wachstum.“ Wie tief die Verunsicherung vieler Menschen in Bezug auf Innovationen ist, zeigt der Fakt, dass 72 Prozent der deutschen Befragten in Fragen technologischer Neuerungen ihresgleichen vertrauen, wohingegen nur 57 Prozent der Wissenschaft vertrauen. In Deutschland gebe es keine Institution, der man es zutraue, Innovationen sicher, vorteilhaft und zugänglich in die Gesellschaft zu implementieren und integrieren, betonte Schulz. Somit stehe Innovation als solche in Deutschland auf dem Spiel.
Widerstand gegen Innovationen ist oftmals politisch geprägt
Amanda Edelman, COO des Gen Z Lab und Associate Director von Edelman, lenkte den Blick der Gäste auf die globale Perspektive. „Weltweit betrachtet, fürchten sich zweimal so viele Menschen vor Innovationen wie diejenigen, die diese positiv annehmen“, sagte Edelman. Insbesondere werde es Regierungen nicht zugetraut, aufkommende Innovationen kompetent und effektiv zu regulieren. Die Mehrheit der Menschen weltweit vertrete die Ansicht, dass Innovationen schlecht gemanagt seien. 54 Prozent aller Befragten gaben an, dass die jeweilige Regierung zu viel Einfluss auf die Wissenschaft nehme. Dabei sei der Widerstand gegenüber Innovationen in westlichen Demokratien politisch konnotiert: Als eher rechts orientierter Mensch lehne man technologische Veränderungen mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit ab als eine linksgerichtete Person, die Neuerungen viel wahrscheinlicher annehme. Für den Fall von Deutschland beträgt diese Differenz 20 Prozentpunkte. Das politische Spektrum griff Schulz auf, indem sie in Bezug auf die derzeit in ganz Deutschland stattfindenden Demonstrationen gegen die AfD Vorstandsvorsitzende ausdrücklich lobte: „Die Menschen erwarten, dass sich CEOs in der Öffentlichkeit deutlich zu Werten wie Demokratie und Diversität bekennen und gegen Rechtspopulismus stellen. Ich habe noch nie so viele CEOs in Deutschland gesehen wie jetzt, die genau das tun.“
Was die Glaubwürdigkeit von Informationsquellen angeht, vertrauen 57 Prozent der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der eigenen Online-Recherche – mehr als sie Wissenschaftlern vertrauen. Immerhin 48 Prozent der befragten Deutschen vertrauen lokalen Medien in ihrem Umfeld. Nur 20 Prozent schenken den zahlreichen Social-Media-Plattformen ihr Vertrauen. „Menschen wollen erkennen, dass Innovationen eine bessere Zukunft mit sich bringen. Alle Institutionen sind gefordert, an konkreten Beispielen aufzuzeigen, welchen persönlichen Nutzen insbesondere Künstliche Intelligenz hat, etwa in der Diagnose und Behandlung verschiedener Krebsarten“, betonte Edelman. Auf diese Weise könnten Bürgerinnen und Bürger die Kontrolle über die Wirkung von neu entwickelten Technologien erlangen.
Thoms: „Bei Künstlicher Intelligenz hätte ich mehr Enthusiasmus erwartet“
In der anschließenden von Emily Schultheis, freie Journalistin und Young Leaders Alumna der Atlantik-Brücke, moderierten Panel-Diskussion gingen die Sprecherinnen und Sprecher zunächst auf die überraschendsten Ergebnisse des Trust Barometers ein. „Gerade bei Künstlicher Intelligenz hätte ich etwas mehr Enthusiasmus erwartet“, sagte Anahita Thoms, Partnerin und Head of Germany’s International Trade Practice bei Baker McKenzie und Mitglied des Vorstands der Atlantik-Brücke. Im weiteren Verlauf wurde klar, dass vor allem die Regierung gefragt ist, Vertrauen wiederherzustellen. „Politiker müssen klare Prioritäten setzen, um Orientierung zu geben. Das sehe ich in Deutschland derzeit nicht“, sagte Thomas Silberhorn, MdB (CDU/CSU), Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für transatlantische Beziehungen und Mitglied der Atlantik-Brücke. In diesem Kontext sei der Fokus auf Bildung der Schlüssel, um die Akzeptanz für Innovationen zu erhöhen. Es brauche eine Begeisterung für Neugier.
Thoms betonte, wie wichtig eine verbesserte Kommunikation von offiziellen Regierungsstellen ist. „Die Politik sollte sich verständlich ausdrücken. Sie muss so die Transparenz ihres Handelns erhöhen. Außerdem sollten sich speziell in Deutschland Regierung und Opposition nicht in zu vielen Streitpunkten verkämpfen, das schreckt nur ab“, sagte sie. Silberhorn nahm diesen Beitrag selbstkritisch auf und bemängelte, dass die deutsche Politik Schwierigkeiten damit habe, wissenschaftliche Evidenz zu akzeptieren: „Im legislativen Prozess gibt es keine offene Beteiligung von Expertinnen und Wissenschaftlern. Parlamentarier holen sich häufig nur solche Expertise ein, die vorgefertigte politische Positionen bestätigen.“ Zu einer verbesserten Kommunikation gehöre auch, Best-Practice-Beispiele von Innovationen öffentlich klar in den Vordergrund zu rücken. So sei es ein riesiger Erfolg der Wissenschaft gewesen, innerhalb kürzester Zeit effektive Vakzine gegen Corona entwickelt zu haben.
Mit Zuversicht gegen den Abstieg stemmen
Ein Kommentar von Robin Fehrenbach
Die zentrale Erkenntnis des Edelman Trust Barometers 2024 spiegelt eine brandgefährliche Entwicklung für Deutschland wider: Wenn ein Großteil der Bevölkerung weder der Bundesregierung noch der freien Wirtschaft, den Medien und den NGOs vertraut, ist sie folglich nicht offen für Neues, vor allem nicht für technologische Erfindungen. In einem derart negativen Klima, in einer gesellschaftlichen Atmosphäre der andauernden Skepsis und Vorbehalte verschließen sich die Menschen gegenüber Innovationen. Diese mentale Abschottungshaltung kann sich ein Land wie Deutschland, das als wichtigsten Rohstoff Bildung und Wissen von klein auf fördern muss und auf kreative Köpfe in Forschung und Entwicklung im großen Stil angewiesen ist, schlicht nicht leisten.
Die Bundesrepublik war mal Exportweltmeister – das ist mittlerweile 20 Jahre her. Inzwischen lässt sich der mannigfaltige Abstieg Deutschlands beobachten, beispielsweise in OECD-Rankings zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit und nicht zuletzt in der jüngsten, absolut verheerenden Pisa-Studie. Niemand sollte das hierzulande einfach so über sich ergehen lassen und hinnehmen. Vielmehr gilt es, mit Zuversicht und Optimismus gegen den Abstieg zu kämpfen und eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen.
Zugegeben: Technologische Neuerungen einer zunehmend digitalisierten Welt halten mit einer Wucht und in einem Tempo Einzug in den beruflichen wie privaten Alltag, dass einem angst und bange werden kann. Dieser erste Impuls ist menschlich nachvollziehbar. Dagegen hilft nur, sich mit diesen Innovationen genauestens zu befassen, deren Hintergründe und Zusammenhänge weitgehend verstehen zu wollen – eben damit man selbst einen produktiven Beitrag für diese Gesellschaft leisten kann. Dies hat den positiven Effekt, all die Vorteile von Innovationen für sich persönlich und für das Land als Ganzes zu erleben. Auch wenn es noch so schwerfallen mag: Man muss sich nur trauen, dieses Wagnis jeden Tag aufs Neue einzugehen. Eventuell entsteht auf diese Weise sogar neues Vertrauen in die Institutionen dieses Landes. Sie hätten es – bei aller berechtigten Kritik – verdient, denn sie sind besser als ihr Ruf.