Deutschland zwischen wenig Vertrauen und wachsender Polarisierung
Regierung, Wirtschaft, Medien und NGOs haben nach wie vor einen schweren Stand in der Bundesrepublik, was das Vertrauen der Bevölkerung in diese Institutionen angeht. Dies zeigte die exklusive Vorstellung des Edelman Trust Barometers 2023 in einer gemeinsamen Veranstaltung von Edelman und der Atlantik-Brücke.
Weitere Informationen, Daten und Ergebnisse zum Edelman Trust Barometer finden Sie hier.
Die angespannte Weltlage mit ihren vielfältigen, sich überlagernden Krisen geht auch an Deutschlands Bevölkerung nicht spurlos vorüber. Das Vertrauen in Regierung, Wirtschaft, Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verharrt auf einem niedrigen Niveau. Dies ist das zentrale Ergebnis der deutschen Daten des Edelman Trust Barometers 2023, die das Unternehmen exklusiv in einer Kooperation mit der Atlantik-Brücke in Berlin vorgestellt hat. Von den vier untersuchten Institutionen steht die Wirtschaft noch am besten da: 50 Prozent der Befragten gaben an, der Wirtschaft zu vertrauen; dies ist ein leichter Anstieg um zwei Prozentpunkte im Vergleich zu Edelmans Erhebung von 2022. Jeweils 47 Prozent vertrauen nach eigener Aussage der Regierung und den Medien; beide Werte sind unverändert zu 2022. Und nur 41 Prozent vertrauen dem Barometer zufolge NGOs; dies entspricht einem kleinen Zuwachs von einem Prozentpunkt verglichen mit dem vergangenen Jahr.
Das geringe Vertrauen in zentrale Institutionen trübt die Aussichten für die Zukunft. 85 Prozent rechneten damit, dass es ihnen und ihren Familien in fünf Jahren schlechter gehen werde als heute. 2022 kamen noch 78 Prozent zu dieser pessimistischen Einschätzung. So ist es wenig überraschend, dass die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung des Landes die Menschen am meisten umtreibt und Ängste auslöst. 80 Prozent der Befragten brachten zum Ausdruck, dass ein möglicher Verlust des Arbeitsplatzes sie belaste. Und 69 Prozent gaben an, dass die hohe Inflation ihnen Sorgen bereite. Eine besondere Rolle als Stabilitätsanker in solch herausfordernden, unsicheren Zeiten kommt in diesem Kontext den Arbeitgebern zu. 76 Prozent sprachen diesen ihr Vertrauen aus, dies ist ein klarer Zuwachs um 5 Prozentpunkte zu 2022.
Wirtschaft wird Kompetenz und ethisches Verhalten zugeschrieben
Christiane Schulz, Geschäftsführerin von Edelman Deutschland, ermutigte die Unternehmenslenker dazu, durch konkretes positives Handeln weiteres Vertrauen herzustellen. „Die Wirtschaft muss kontinuierlich führen, wenn es um Kompetenz-Werte und ethische Standards geht. Sie sollte stets konstruktiv mit Regierungen zusammenarbeiten im Sinne der besten Lösung für die Bevölkerung. Sie sollte sich daran beteiligen, Optimismus in Bezug auf das wirtschaftliche Handeln wiederherzustellen. Und schließlich sollte sich die Wirtschaft für die Wahrheit einsetzen“, sagte sie. All diese Faktoren zusammengenommen könnten dazu beitragen, Orientierung zu geben und sinnstiftend zu wirken.
Mit der manifesten Vertrauenskrise geht auch in Deutschland eine zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft einher. 66 Prozent sind der Ansicht, dass die Deutschen gespaltener sind als in der Vergangenheit. Gleichzeitig schwindet laut dem Trust Barometer die Zuversicht, diese Polarisierung überwinden zu können. Dieser Befund spiegelt sich auch im schrumpfenden sozialen Zusammenhalt wider: 70 Prozent gaben an, dass der Mangel an Anstand und gegenseitigem Respekt noch nie so groß gewesen sei. Es muss ein Land nachdenklich stimmen, wenn nicht sogar alarmieren, wenn nur 26 Prozent der Menschen anderen Personen in einer unmittelbaren Not-Situation helfen würden, die eine andere Haltung in einer bestimmten gesellschaftspolitischen Frage als man selbst vertreten. Ähnliche Entwicklungen sind in den USA traurige Normalität und durch zahlreiche Studien nur allzu bekannt und gut dokumentiert. „Global betrachtet haben wir einen Zuwachs an Polarisierung ermittelt. Dies hängt damit zusammen, dass Ideologie zur alles bestimmenden Identität wird. Diskussionen und zivile Diskurse finden dann nicht mehr statt, es werden nur noch verbissene und verbitterte Kämpfe ausgetragen“, sagte Richard Edelman, Präsident und CEO des gleichnamigen Unternehmens, in seiner Präsentation der diesjährigen weltweiten Daten.
Röttgen: „Zu selten vermitteln Regierungen realistische Lösungsansätze“
Die 23. Ausgabe des Edelman Trust Barometers, für den mehr als 32.000 Menschen in 28 Ländern befragt wurden, bestätigte einige langfristige Trends der Studie. Dazu gehört, dass NGOs bis zum Jahr 2020 regelmäßig das meiste Vertrauen entgegengebracht wurde. Mit dem Auftreten der Corona-Pandemie Anfang 2020 lösten Regierungen die NGOs für kurze Zeit ab als diejenige Institution, der die Bevölkerung am meisten vertraut. Doch die Regierungen wurden der hohen Erwartungshaltung der Menschen offenbar nicht gerecht. Inzwischen führt die Wirtschaft in dieser Hinsicht – Deutschland bestätigt hier die globalen Daten. Ein weiterer besorgniserregender Trend ist, dass es einen regelrechten Kampf um die Wahrheit gibt. „Viele Menschen glauben Fakten und den etablierten Medien nicht mehr, die erheblich an Autorität verloren haben. Die Pandemie hat dies nochmals verstärkt und das Vertrauen in Fachexpertise unterminiert“, hielt Edelman fest. Er rate Unternehmen deshalb dazu, nicht mehr digitale Plattformen zu unterstützen, die Desinformation verbreiten. Der dritte markante Trend betrifft das Verhältnis von Autokratien und Demokratien. Seit etwa einem Jahrzehnt würden autokratische Staaten aus Sicht der Befragten bessere Leistungen erbringen als demokratische Länder, wobei China an der Spitze stehe, erläuterte Edelman. Autokratischen Systemen gelinge es effektiver, spürbare Ergebnisse und schnellere Verbesserungen in Bezug auf den Lebensstandard zu liefern, als dies hochentwickelte demokratische Industrienationen könnten.
Da Regierungen unter einem anhaltenden Vertrauensverlust litten, seien Unternehmen gefordert, die Lücke bei nicht unmittelbar mit der Wirtschaft verknüpften Themen zu schließen. Eine Mehrheit der Menschen erwarte, dass CEOs sich klar zu gesellschaftlichen Fragen wie Nachhaltigkeit, Inklusion, Diversität und lebenslanger Weiterbildung positionieren, führte Edelman aus. In der anschließenden Podiumsdiskussion, die Julia Friedlander, Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke, moderierte, nahm Norbert Röttgen, MdB (CDU/CSU) und stellvertretender Vorsitzender der Atlantik-Brücke, den politischen Betrieb selbstkritisch in die Pflicht. „Zu selten vermitteln Regierungen realistische Lösungsansätze, die offen und ehrlich kommuniziert werden. Stattdessen sehen wir ein Muster, in bloße Rhetorik zu verfallen. Auf Dauer verwirrt und frustriert dies die Bevölkerung“, sagte Röttgen. Damit sei der Nährboden für Misstrauen und Polarisierung bereitet. An die Wirtschaftsakteure gerichtet, sagte Metin Hakverdi, MdB (SPD) und Mitglied im Vorstand der Atlantik-Brücke: „CEOs könnten doch jetzt öffentlich erklären, dass sie qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland als neue, willkommene Mitarbeiter suchen und brauchen.“ Dies könnte die Polarisierung eventuell abschwächen. Und neues, dringend benötigtes Vertrauen schaffen.
Die politische Elite ist gefordert
Eine Analyse von Robin Fehrenbach
In der Gesamtschau ist das Ergebnis des diesjährigen Edelman Trust Barometers kaum verwunderlich. In Deutschland herrscht weiterhin wenig Vertrauen in die Regierung, Wirtschaft, Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen. Wo soll das Vertrauen auch herkommen angesichts der Fülle an sehr schwierigen Problemen? Krieg in Europa, Energiekrise, eine hohe Inflation, ein ungebremster Klimawandel, eine nachwirkende Corona-Pandemie: Dies sind nur fünf besonders dringliche und wichtige Herausforderungen unserer Zeit. Zu gewaltig wirken die Aufgaben, zu gravierend die Versäumnisse oder Verfehlungen der Bundesregierung, von Vertretern der Wirtschaft, aber auch der Medien und NGOs. Das Edelman Trust Barometer bietet den diversen Entscheidungsträgern nun eine relevante Ausgangsbasis, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und neues Vertrauen zu schaffen. Denn darum sollte es allen seriösen und konstruktiven gesellschaftlichen Akteuren im Kern gehen.
Es darf allerdings bezweifelt werden, ob der Wirtschaft mit all ihren Ausprägungen in Größe, Gesellschaftsform und Branchenzugehörigkeit hier eine führende Rolle zugeschrieben werden sollte, wie dies empfohlen wird. Es ist zwar sehr positiv, wenn Unternehmen durch ihre Produkte, ihre Dienstleistungen und insgesamt ihr Handeln am Markt Kompetenz und Glaubwürdigkeit nachweisen. Dies ist der bedeutsame Teil, den sie in der Interaktion mit Kunden, Zulieferern und nicht zuletzt ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beitragen können. Aber es ist nicht die Funktion der Firmen, gesamtgesellschaftliches Vertrauen herzustellen. Die Regierung – und das Parlament – sind vielmehr gefordert, politische Rahmenbedingungen für ein geordnetes Wirtschaften zu setzen. Sie sollten die ersten Adressaten sein, wenn es darum geht, in Vertrauensfragen an der Spitze voranzugehen. Die Mitglieder des Kabinetts und die Abgeordneten des Bundestages sind die gewählten Repräsentanten des Volkes und haben einen Eid darauf geschworen, Schaden von diesem abzuwenden. Dies ist weit mehr als ein verfassungsbezogener oder rechtstheoretischer Auftrag. Der Exekutive kommt im Idealfall eine Vorbildfunktion zu, um konkrete Lösungen für die vielen anstehenden Aufgaben zu erarbeiten und umzusetzen. Nur auf diesem Weg kann die Bevölkerung wieder Vertrauen in die politische Elite fassen.
Generell ist zudem festzuhalten, dass zu selten und nur unzureichend über Gelungenes gesprochen wird. Dies soll kein Aufruf zu plumpem Eigenlob sein. Aber es ist doch auffällig, dass in allen Bereichen Klagen darüber zu vernehmen sind, dass man dieses oder jenes „zu schlecht kommuniziert“ habe. Ausnahmslos alle Stakeholder sind gefordert, besonders gute Gesetze, Produkte, Berichterstattung und Initiativen, oder einfach gesagt Taten, als solche auch klar zu benennen. Das Wissen um Best Practices hat immer die Chance, nachhaltig Vertrauen zu fördern.