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„Die Gesellschaft ist offener als je zuvor für ganz neue Ideen“

„Die Gesellschaft ist offener als je zuvor für ganz neue Ideen“

Interview mit Albert Wenger, Partner, Union Square Ventures, und Hans Raffauf, Co-Founder & COO, Clue

Herr Wenger, Sie sind ursprünglich Deutscher, sind in die USA gegangen, um dort ein IT- Studium zu absolvieren, darauf folgte eine Firmengründung und Ihre Tätigkeit als Investor. Muss man diesen Schritt in die USA heute noch wagen oder kann man diese Schritte mittlerweile ebenso gut in Deutschland machen?

Albert Wenger: Ich glaube, ein Vorteil des Internet ist, dass man jetzt tolle Unternehmen in der ganzen Welt aufbauen kann. Neue Unternehmen kommen aus Deutschland – wie zum Beispiel Clue – genauso wie aus China, aus Japan, aus Korea. Die Idee, dass man in den USA sein muss, ist nicht mehr aktuell. In gewisser Hinsicht sind die USA heute sogar ein Nachteil, insbesondere der Standort San Francisco/Silicon Valley, weil es extrem teuer geworden ist.

Herr Raffauf, wie sehen Sie das als deutscher Startup-Gründer in Deutschland?

Hans Raffauf: Wir haben uns immer wieder überlegt, ob wir mit der Firma umziehen sollen. Anfangs hatten wir auch überlegt in den USA zu gründen, aber haben uns dann vor allem dagegen entschlossen, weil wir unsere Kinder hier aufziehen wollten. Wie Albert schon erwähnt hat: Zwar gibt es hier weniger Zugang zu Kapital, aber gleichzeitig braucht man weniger davon, da die Lebenskosten geringer sind. Ich glaube, dass es in Sachen Talent noch einen ganz großen Unterschied gibt zwischen Deutschland und den großen Clustern in den USA, Silicon Valley natürlich, aber zunehmend auch New York . Wir sehen aber auch, dass immer mehr Amerikaner nach Europa ziehen, besonders vor dem aktuellen politischen Hintergrund. Wir haben zurzeit sieben Amerikaner im Team, und die meisten davon sind für uns nach Deutschland gezogen. Diese Brücke gibt es also. Und innerhalb Europas ist Berlin der Standort Nummer eins. Hier ist mittlerweile eine kritische Masse entstanden, die jetzt wächst, weil sie einen gewissen Magnet-Effekt hat.

Herr Wenger, hätten Sie am Anfang Ihres Studiums gedacht, dass es so weitreichende, auch  gesellschaftlich einschneidende, technische Entwicklungen geben würde, wie es sie heute gibt, oder hätten Sie sich sogar noch grundlegendere Änderungen vorgestellt?

Albert Wenger: Meinen ersten Computer bekam ich vor ungefähr fünfunddreißig Jahren – das war ein Apple 2 –, und ich habe mich damals schon für Themen wie künstliche Intelligenz interessiert. Da war es natürlich sehr frustrierend, dass wir in diesem Bereich jahrelang relativ wenig Fortschritt gemacht haben. Aber das sind exponentielle Kurven. Was in den letzten zehn, und besonders in den letzten fünf Jahren geschehen ist, ist  dramatischer, als ich mir das damals hätte vorstellen können. Jetzt sehen Unternehmer und auch Investoren, dass die Zukunft drastisch anders sein wird, aber die meisten Politiker sehen das leider noch nicht.

Die Rettung amerikanischer Arbeitsplätze war ein wichtiger Teil von Donald Trumps Wahlkampfkampagne. Dabei ging es in erster Linie um Arbeitsplätze, die ins Ausland verlegt worden seien. Viele Wissenschaftler argumentieren, dass der weitaus größere Teil von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung und Automatisierung verloren geht. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Albert Wenger: Ich glaube, Technologie hatte eine doppelte Auswirkung: Manche Arbeitsplätze sind direkt durch technischen Fortschritt ersetzt worden, aber die technologische Veränderung hat es auch möglich gemacht, Arbeitsplätze an andere Orte zu verlegen. Das „digital offshoring“ wurde erst dadurch ermöglicht, dass Daten digital zum Beispiel nach Bangalore geschickt werden können. Diese zwei Trends haben eng zusammengewirkt. Das Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen mit den Methoden, die Donald Trump vorschlägt, sind Ideen, die uns  zurück in die Vergangenheit führen. In den USA schafft die Solarenergie zum Beispiel heute schon viel mehr Arbeitsplätze als Kohle, aber trotzdem sagt die Regierung Trump, dass wir unbedingt wieder Menschen in die Bergwerke schicken müssen. Das ist sehr rückwärtsgewandt, und es unterschätzt fundamental die extreme Beschleunigung, die digitale Technologien auf den Arbeitsmarkt haben.

Sie haben sich häufig dazu geäußert,  wie Gesellschaften aussehen könnten, die sich viel mehr Arbeit von Maschinen abnehmen lassen, und sich dabei für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen. Halten Sie das, gerade in den USA, für ein realistisches Modell?

Albert Wenger: Die Grundeinkommen-Bewegung gibt es ja mittlerweile zum Glück in Europa, in Asien, und auch in den USA. Ich denke, wenn man an der Wahl Donald Trumps etwas Positives sehen will, kann man sagen, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Bislang haben wir versucht, immer wieder mal an der Zinsschraube zu drehen oder das eine oder andere Programm zu starten um Arbeitsplätze zu schaffen, mit der Erwartung, das werde alle Probleme lösen. Die Wahl hat aber gezeigt, dass Menschen nicht mehr dran glauben. Sie haben nicht geglaubt, dass Hillary Clintons Programm von „more of the same“ mit ein paar Feinjustierungen ausreichen würde. Meiner Ansicht nach hatte dies zur Folge, das Raum für radikalere Ideen geschaffen wurde.  Eine dieser radikaleren Ideen ist das Grundeinkommen. Ich denke, dass die technologischen Fortschritte, die wir heute sehen – seien es selbstfahrende Lastwagen oder Computerprogramme, die Rechtsanwälte oder Ärzte ersetzen – zeigen, dass die Automatisierung nicht mehr auf manuelle Arbeit beschränkt ist. Das hat zur Folge, dass das Interesse an Alternativen zum derzeitigen System und den Vorschlägen von Trump steigt und die Gesellschaft offener als je zuvor dafür wird, ganz neue Ideen zu diskutieren.

Bill Gates hat vor kurzem vorschlagen, man sollte Roboter besteuern, um ein solches Modell zu finanzieren. Was halten Sie davon?

Albert Wenger: Das will er, weil die Alternative wäre, Bill Gates zu besteuern. Ich glaube, die Besteuerung von Technologie verlangsamt den Prozess, diese Technologien verwenden zu können. Wenn wir Traktoren besteuert hätten, dann hätten mehr Menschen noch länger in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Gleichermaßen würde der Einsatz von Robotern in Bereichen, in denen wir alle gerne deren Verwendung sehen würden, verzögert werden, wenn wir Roboter besteuern. Zudem stellt sich die Frage: Was genau ist ein Roboter? Muss er Arme haben? Was ist mit einem Algorithmus oder einem Computerprogramm, das menschliche Arbeit ersetzt? Sollen wir Microsoft Word besteuern? Das ist eine dumme Idee von einem eigentlich sehr schlauen Menschen. Meiner Meinung nach sollten wir eher Dinge besteuern, von denen wir wissen, dass sie schlecht sind für die Welt, wie zum Beispiel den Ausstoß von Kohlendioxid. Zusätzlich denke ich, dass wir in der einen oder anderen Form auch eine Besteuerung des Geldes selbst oder des Reichtums brauchen, weil die Digitalisierung vorherige Normal-Verteilungen in sogenannte „power laws“ verwandelt. Das heißt, der Erfolg der Gewinner ist um ein Vielfaches höher als in der Vergangenheit, die „outlier“ werden immer extremer, und es gibt auch immer mehr Monopolstellungen. Hier sammelt sich Geld an, mit dem das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden kann.

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