Stimmen

Die Krise im Iran: Ein Versäumnis westlicher Politik

von Volker Schlegel

Eine Antwort auf Cornelius Adebahr

Der Konflikt im Iran, den Cornelius Adebahr in seinem Beitrag „Platzt der Deal oder zerfällt das Regime?“ analysierte, sollte in unserem Bewusstsein bleiben, da er kurz- oder mittelfristig für Europa große Konsequenzen haben könnte.

Think Tanks und politische Berater in Europa neigen dazu, Konflikte außerhalb unserer Region lediglich als Beobachter zu sehen. Dabei fehlt meist die Frage, ob und inwiefern Fehler oder Versäumnisse westlicher Politik zu der jeweiligen Krise beigetragen haben und ob sich daraus für den Westen im eigenen Interesse eine verstärkte Pflicht zum Handeln ergibt. Diese Frage kann man aber nur beantworten, wenn man die Ursachen des Konflikts untersucht.

Das ist gerade beim Fall Iran unabdingbar.

Die jüngsten Demonstrationen, auf die Adebahr in seinem Stück hinweist, haben deutlich gemacht, dass viele Iraner verzweifelt über ihre wirtschaftliche Lage sind, empört über den Bruch gegebener Versprechen und unzufrieden mit Strukturen ihres Staates.

In allen Punkten müsste sich die westliche Staatengemeinschaft angesprochen fühlen. Darauf geht Adebahr in seinem Artikel jedoch nicht ein. Noch vor der Unterzeichnung des Nuklearabkommens haben in Frankfurt Vertreter des US-Außenministeriums und der US-Exportkontrollbehörde OFAC klar und unmissverständlich versprochen, dass Geschäfte wie vor der Sanktionszeit gemacht werden könnten, wenn die iranische Seite alle Konditionen erfüllen würde – die im Übrigen schon weit über die eigentlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen Irans hinausgingen.

Es wäre die Pflicht aller Vertragspartner gewesen, auf eine auch für die iranische Bevölkerung spürbar positive Auswirkung des Nuklearabkommens hinzuwirken.

Diese Zusagen sind nicht eingehalten worden und haben zu der Empörung in Iran beigetragen, denn die Opfer der Bevölkerung durch die Sanktionen waren weit größer, als hier wahrgenommen wurde und damit war kein Ende in Sicht.

Zwei Beispiele:

  • Jedes Jahr starben Tausende von Iranern, weil sie überlebenswichtige Medikamente aus dem Ausland nicht mehr bekommen konnten.
  • Das Alterssicherungssystem beruht auf der einheimischen Währung Rial, die durch die Sanktionen jährlich in zweistelliger Größenordnung an Wert verlor. Deshalb müssen heute viele Rentner weiter arbeiten, um überleben zu können.

Diese Folgen wären zwar durch weitere Geschäfte deutscher Mittelständler oder Großunternehmen (wie Airbus) nicht direkt vermieden worden, aber es hätte mehr Hoffnung auf Änderung, mehr Zuversicht gegeben – und Politik wird durch Emotionen entscheidend beeinflusst. Es wäre deshalb die Pflicht aller Vertragspartner gewesen, auf eine auch für die iranische Bevölkerung spürbar positive Auswirkung des Nuklearabkommens hinzuwirken.

In seinem Artikel weist Cornelius Adebahr auch darauf hin, wie gravierend die Auswirkungen entsprechender Maßnahmen auf das transatlantische Verhältnis sein könnten. Dies zu beklagen, reicht nicht; hier wäre es wichtig, mit den USA in einen intensiven Dialog über die Wurzeln dieses Konflikts einzutreten.

Die Feindschaft zwischen den USA und Iran ist nicht naturgegeben: Noch bis Ende der 70er Jahre war Iran der beste, sicherste und lukrativste Partner der USA in der Mittelost-Region. Die entscheidende Zäsur dürfte die völkerrechtswidrige, über 400 Tage andauernde Geiselnahme amerikanischer Diplomaten gewesen sein – ein tiefgreifendes Trauma, das die Weltmacht USA mit ihrem besonderen Sendungsbewusstsein bis heute nicht verkraftet hat.

In diesem Zusammenhang muss man aber auch berücksichtigen, dass die Revolution in Iran völlig anders verlief, als es in unseren Medien dargestellt wird und dass die USA bei ihren Aktivitäten, um einen Regime-Wechsel in Iran zu fördern, leider einer ähnlichen Fehleinschätzung unterlagen wie beim Irak-Krieg oder dem Einsatz in Afghanistan. So herrscht in der westlichen Öffentlichkeit der Eindruck, radikale Geistliche wären die Urheber der Revolution im Iran gewesen. Dieses Bild stimmt nicht: es gab 1979 umfassende Proteste unterschiedlicher politischer Lager, was schließlich einen besonders wichtigen Beitrag dafür geleistet hat, dass die Mullahs die Macht übernehmen konnten; diese waren gut organisiert und haben deshalb schnell die Posten besetzt, die für ihr Staatsmodell von Bedeutung waren.

Wenn man das durch die Geiselnahme entstandene Trauma auflösen oder diese Hürde zumindest verringern könnte, würde sich die politische Landkarte in Mittelost nachhaltig verändern. Deutschland und die EU sollten ihr Vertrauenspotenzial in Iran nutzen und nicht nur das Weiße Haus, sondern auch beide Parteien und Gouverneure in den USA in einen Dialog mit dem Iran einbeziehen.

Die junge, hochgebildete Bevölkerung in Iran ist Amerika-begeistert – eine Chance, die genutzt werden sollte.

Die junge, hochgebildete Bevölkerung in Iran (Alphabetisierungsgrad: 98 %, 60 % der Studenten sind Frauen, es gibt mehr ausgebildete Ingenieurinnen als in den USA) ist Amerika-begeistert – eine Chance, die genutzt werden sollte.

Es gibt – wie Cornelius Adebahr richtig erwähnt – weitere Kritik an Iran, wie z.B. wegen der Entwicklung eines Raketenprogramms oder der hohen Zahl der Todesurteile; auch in diesen Fällen sind folgende Hinweise unentbehrlich:

  • Wer – wie ich – miterlebt hat, wie die von anderen Mächten dem Diktator Saddam Hussein zur Verfügung gestellten Bomber im Abstand von wenigen Stunden wochenlang ein schutz- und wehrloses Land bombardierten, dürfte nachvollziehen können, dass Iran dies nicht noch einmal erleben möchte, sondern seine Sicherheit in eigene Hände nehmen will. Iran hatte sich bei der Ausrüstung seiner Streitkräfte und damit auch seiner Luftabwehr völlig abhängig gemacht von den USA, die bei ihrem Abzug alles mitnahmen, was zur Steuerung dieser Ausrüstung nötig war.
  • In Iran gibt es mehrere Millionen Drogenabhängige, nachdem als eine Folge des Angriffs auf Afghanistan dieser Staat zum größten Rauschgiftproduzenten der Welt geworden ist und der Haupthandelsweg für dieses Rauschgift über Iran verläuft. Die Todesstrafe wird in Iran häufig zur Abschreckung eingesetzt. Im Westen ist man überzeugt, dass dies ein untaugliches Mittel sei, aber die Maßstäbe in Iran sind in Anbetracht dieses riesigen Problems eben anders – ein Rechtsstaats-Dialog wäre zielführender als Kritik und Sanktionen.

Die Aspekte, die die bisherige Entwicklung in Iran geprägt haben, sind derart vielschichtig, dass man sie hier nicht erschöpfend behandeln kann. Eins ist jedoch klar: Die Versäumnisse und Fehler westlicher Politik spielen eine entscheidende Rolle. Ohne Einbindung von Iran dürften wir in eine lang, lang andauernde Krise schlittern – mit Iran haben wir zumindest die Chance, die Region einem dauernden Frieden näher zu bringen.

Volker Schlegel arbeitete nach der Attaché Ausbildung sechs Jahre im Auswärtigen Amt und schied dann aus dem öffentlichen Dienst aus, um in der freien Wirtschaft tätig zu werden. Nach mehr als 4 Jahren kehrte in den Auswärtigen Dienst zurück anstatt die Firma zu wechseln, was er eigentlich geplant hatte; dann war er u.a. vier Jahre in der Botschaft von Teheran tätig. Es folgten Posten in Washington, im Leitungsstab von Außenminister Genscher, sowie Botschafterposten in Singapur und Mittelamerika. Volker Schlegel war außerdem Staatsrat für Wirtschaft und Arbeit im Hamburger Senat. Seit seiner Pensionierung ist Volker Schlegel weiterhin als Rechtsanwalt tätig, Mitglied im Expertenrat des Internationalen Wirtschaftsrats Berlin sowie Vorsitzender des Beirats von GBP International Berlin. Er publiziert und spricht regelmäßig zu außen- und wirtschaftspolitischen Themen.

 

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie unsere Newsletter RECAP & INSIGHTS.