Atlantik-Brücke

Die USA vor der Wahl. Das deutsche Meinungsbild

Die USA vor der Wahl. Das deutsche Meinungsbild

Eine Umfrage der Atlantik-Brücke, durchgeführt von Civey, untersucht die deutsche Wahrnehmung der US-Wahl, der transatlantischen Beziehungen und strittiger Themen im deutsch-amerikanischen Verhältnis

Die Ergebnisse der Studie als pdf: Die USA vor der Wahl

  • Zwei Drittel der Deutschen denken, dass eine Wahl Bidens sich positiv auf die transatlantischen Beziehungen auswirken würde
  • Deutsche sehen zu fast gleichen Teilen Trump und Biden als Wahlsieger
  • Die USA werden von deutlich mehr Deutschen als wichtiger Partner wahrgenommen als Russland oder China
  • Vor allem jüngere Deutsche sehen die USA als wichtigsten außereuropäischen Partner
  • Mehrheit der Deutschen wünscht sich engere Zusammenarbeit bei Außen- und Sicherheitspolitik sowie beim Thema Klima und Energie

Die Deutschen rechnen zu jeweils fast gleichen Teilen mit einem Sieg Bidens (41,3 Prozent) wie mit einem Sieg Trumps (38,4 Prozent) bei der US-Präsidentschaftswahl am 3. November. Das zeigt eine repräsentative Studie, die vom Meinungsforschungsunternehmen Civey im Auftrag der Atlantik-Brücke in Deutschland unter einem Panel von rund 5.000 Teilnehmern im Oktober 2020 durchgeführt wurde. Eine deutliche Mehrheit der Befragten (68,5 Prozent) glaubt, dass sich das deutsch-amerikanische Verhältnis nach einem Sieg Bidens verbessern würde. Die Einstellung variiert je nach politischer Einstellung der Befragten.

Für den Fall einer Wiederwahl Trumps befürchten knapp drei Viertel (72,3 Prozent) der Befragten eine Verschlechterung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Fast die Hälfte der Befragten (48,3 Prozent) geht sogar von einer deutlichen Verschlechterung aus. Besonders pessimistisch ist die Generation der ab 65-jährigen: 81 Prozent befürchten eine Verschlechterung, 56,3 Prozent eine deutliche Verschlechterung.

Auf die Frage, wer der wichtigste Partner für Deutschland außerhalb Europas ist, antworteten 40,6 Prozent der Befragten die USA, 21,3 Prozent China und 15,2 Prozent Russland. Insbesondere die Altersgruppe der 18-29-jährigen sieht in den USA den wichtigsten Partner (55,2 Prozent). 42,6 Prozent der Westdeutschen, aber nur 32,7 Prozent der Ostdeutschen teilen diese Ansicht. Mehr Zusammenarbeit wünschen sich die Deutschen mit den USA vor allem auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik (56 Prozent) und der Klima- und Energiepolitik (50,5 Prozent). Nur 11,5 Prozent wünschen sich mehr Zusammenarbeit beim Thema Digitalisierung.

Am Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 festzuhalten, eines der größten Streitthemen im transatlantischen Verhältnis, befürworten 67,8 Prozent der Befragten. Bei einem weiteren strittigen Thema, der Beteiligung der chinesischen Firma Huawei am Ausbau des deutschen 5G-Netzes, sprechen sich nur 26,3 Prozent der Befragten dafür aus.

Stimmen zur Studie aus dem Vorstand der Atlantik-Brücke:

Sigmar Gabriel, Vizekanzler und Bundesminister a.D., Vorsitzender der Atlantik-Brücke:

„Insgesamt machen die Ergebnisse der Studie Hoffnung. Die Deutschen wissen nach wie vor, dass es weder mit Moskau noch mit Peking eine ähnlich enge Verbindung geben kann wie mit Washington. Die Zuversicht in die transatlantische Zusammenarbeit konnte der raue Ton der vergangenen vier Jahre nicht grundlegend erschüttern, es gibt den deutlichen Wunsch nach mehr Kooperation. Ein anderer Präsident wird sicherlich nicht die Zeit zurückdrehen, auch unter Joe Biden, auf dem in Deutschland viel Hoffnung ruht, werden die USA nicht mehr in erster Linie atlantisch orientiert sein. Aber der Wille zur Kooperation, sowohl bilateral als auch in den internationalen Organisationen, wird von ganz anderer Qualität sein, als er es unter der jetzigen Administration ist.“

Alexander Graf Lambsdorff, MdB (FDP), stellv. Vorsitzender der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Mitglied des Vorstands der Atlantik-Brücke:

„Die Ergebnisse der Studie zu Deutschland und Amerika sind besser, als man es erwarten durfte. Eine breite Mehrheit in Deutschland steht zur transatlantischen Partnerschaft trotz der in den vergangenen Jahren leider oft negativen Schlagzeilen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Die Vereinigten Staaten bleiben unser wichtigster Verbündeter außerhalb der EU. Wir teilen grundlegende freiheitliche und rechtsstaatliche Werte, die es zu verteidigen gilt, gerade vor dem Hintergrund des Systemwettbewerbs, der sich mit dem kommunistisch regierten China abzeichnet.

In den Ergebnissen spiegelt sich parteiübergreifend die Hoffnung der Deutschen wieder, dass sich das transatlantische Verhältnis unter einem Präsidenten Biden verbessern würde. Joe Biden weiß um den Wert von Bündnissen, deshalb würde der deutsch-amerikanische Dialog auch wieder konstruktiver in der Sache und freundschaftlicher im Ton werden. Konfliktpunkte wie beispielsweise der Verteidigungsetat oder der Umgang mit China und Russland würden aber auch unter einem demokratischen Präsidenten bestehen bleiben.

Trotz aller Schwierigkeiten sehen mehr als die Hälfte der Deutschen Amerika weiterhin als den wichtigsten außereuropäischen Partner in der internationalen Zusammenarbeit. Die Studie zeigt, dass sich eine Mehrheit der Deutschen gerade im Außen-, und Sicherheitspolitischen Bereich sogar eine noch engere Zusammenarbeit mit den USA wünscht. Diese positive Grundeinstellung gilt es zu fördern. Der gemeinsame Einsatz für  Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und liberale Grundsätze sollte in Zukunft wieder das Herz einer starken transatlantischen Partnerschaft sein, damit wir als Westen insgesamt im 21.Jahrhundert bestehen können.“

Omid Nouripour, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Sprecher für Außenpolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Mitglied des Vorstands der Atlantik-Brücke:

„Die USA sind weiterhin der wichtigste außereuropäische Partner Deutschlands. Und das wird auch so in der Bevölkerung gesehen. Das Gerede also von einer Äquidistanz zwischen uns und den demokratischen Vereinigten Staaten auf der einen Seite und den Autokraten in Peking und Moskau ist also nicht nur falsch, sondern auch nicht sonderlich populär.

Es ist zudem wichtig zur Kenntnis zu nehmen, dass mehr Kooperation erwünscht ist. Nicht nur im klassischen transatlantischen Feld der Außen- und Sicherheitspolitik. Dass Klimaschutz auf Platz zwei landet, zeigt die Dringlichkeit dieses Themas und die tiefe Einsicht darin, dass wir nur mit enger internationalen Zusammenarbeit dieser Menschheitsaufgabe gerecht werden können.

Es ist zudem spürbar, dass es große Hoffnungen gibt in Joe Bidens Kandidatur und deren Bedeutung für das deutsch-amerikanische Verhältnis. Nach Jahren  substanzieller Unstimmigkeiten mit dem weißen Haus gibt es eine tiefe Sehnsucht nach einer Verbesserung des transatlantischen Verhältnisses. Joe Bidens möglicher Sieg ist also mit großen Erwartungen begleitet – auch auf dieser Seite des Ozeans.“

Michael Werz, Senior Fellow, Center for American Progress und Senior Mercator Fellow 2020-2021, Mitglied des Vorstands der Atlantik-Brücke:

„Die Ergebnisse der neuen, repräsentativen Atlantik-Brücke-Umfrage zum Blick auf die USA kurz vor der Epochenwahl im November offeriert interessante Einsichten in die politische Verfasstheit der transatlantischen Beziehungen, aber auch in die Stimmungslage der Deutschen.

Interessanterweise scheinen die Wählerinnen und Wähler der Grünen angesichts des wahrscheinlichen Wahlsieges von Joe Biden am besten über die USA informiert zu sein und sprechen den Vereinigten Staaten auch das größte Vertrauen aus, was die Rückkehr in die politische Zivilisation nach Donald Trump angeht. Und mehr Grüne (knapp 45%) als Wähler der CDU oder SPD sehen in den USA den wichtigsten außereuropäische Partner Deutschlands in der internationalen Zusammenarbeit. Was die Wiederwahl Trumps angeht, geben sich drei Viertel der AfD Mitglieder autoritären Phantasien hin und dokumentieren einmal mehr, dass die Partei außerhalb der Traditionen eines aufgeklärten Westens ihren Ort gefunden hat.

Problematisch ist, dass die Frage des Weiterbaus und der Inbetriebnahme von North Stream 2 inzwischen nicht nur für Konservative in den USA, sondern auch für Mehrheiten unter Deutschen zu einem politischen Glaubensbekenntnis geworden ist. Dass bei den Verteidigern der deutschen Gasleitung Linkspartei und AfD mit rund 80% Zustimmung auf den nationalistischen Spitzenplätzen liegen, sagt alles. Aber auch bei den anderen Parteien ist die Zustimmung zum Gasanschluss nach Russland hoch, man muss immer wieder daran erinnern: Kein Wirtschaftsprojekt ist unaufkündbar.

Lastly: Dass nur knapp 13% der Deutschen Interesse an einer transatlantischen Zusammenarbeit in den Bereichen Migration bekunden, zeigt zweierlei: dass absehbare Krisen im Migrationsraum Mittelmeer unterschätzt werden, die nur mit globaler Zusammenarbeit einigermaßen humanitär verlaufen werden; und dass das Amerikabild ein überkommenes ist – die USA sind auf dem Weg zur Minderheitengesellschaft und dieses größte soziologische Feldeperiment der Moderne sollte für Europa und Deutschland und Europa von erheblichem Interesse sein.“

 

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