„Die Zivilgesellschaft ist das Rückgrat einer lebendigen Demokratie“

Wie kann das Vertrauen in die Demokratie in Zeiten multipler Krisen gestärkt werden?
Das diskutierte vergangenen Freitag unsere Regionalgruppe Frankfurt/Hessen mit Dr. Anna Herrhausen. Wieso sie zivilgesellschaftliches Engagement für essentiell hält und ob wir uns auf amerikanische Verhältnisse gefasst machen müssen, lesen sie hier.
Liebe Frau Herrhausen, beim Frankfurt Luncheon am 14. März sprachen Sie zum Thema „Demokratie unter Druck: Mit zivilgesellschaftlichem Engagement gegen die Krise!“. Welche Rolle nimmt die Zivilgesellschaft in einer wehrhaften Demokratie ein?
Die liberale Demokratie wird herausgefordert. Das merken wir daran, dass an ihren Grundpfeilern gerüttelt wird.
Zum einen wird die Gewaltenteilung infrage gestellt. Schauen wir in die USA, sehen wir, wie schnell Checks and Balances als Hindernis statt als Schutzmechanismus betrachtet werden. Zum anderen werden Feindbilder geschaffen und Gruppen werden systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Das bedroht das demokratische Miteinander.
Zusätzlich wird das Vertrauen in die Demokratie untergraben – durch Desinformation und die gezielte Schwächung demokratischer Institutionen. Hier kommt die Zivilgesellschaft ins Spiel. Sie ist das Rückgrat einer lebendigen Demokratie. Mit ihren Projekten und Angeboten wirkt sie Desinformation entgegen, tritt gegen Diskriminierung ein, bekämpft soziale Ungleichheit, stärkt politische Beteiligung und verbessert die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen.
Es geht nicht mehr um die Frage, ob die Demokratie bedroht ist. Es geht darum, Antworten zu finden, wie wir sie verteidigen. Unternehmen können die Zivilgesellschaft unterstützen: durch Förderung von Non-Profits und Bildungsinitiativen. Wer Inspiration sucht, findet wirkungsvolle Organisationen bei PHINEO.
„Jede*r kann im eigenen Umfeld Brücken bauen.“
Das gesellschaftliche Klima ist in den vergangenen Jahren spürbar rauer geworden. Nicht wenige Menschen machen sich Sorgen um den Zusammenhalt in Deutschland. Teilen Sie diese Einschätzung und falls ja, wie können Bürgerinnen und Bürger konkret gegensteuern?
Wir leben in einer Zeit zunehmender Polarisierung und Unsicherheit – sei es durch politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Herausforderungen. Diese Entwicklungen haben spürbare Auswirkungen auf das Miteinander.
Vertrauen in das System ist dabei ein wesentlicher Faktor. Grundsätzlich ist es eng mit der Chancengerechtigkeit wie auch einem handlungsfähigen Staat verknüpft. Menschen, die sich strukturell benachteiligt oder sogar übergangen fühlen, stellen die Institutionen und ihre Vertreter*innen infrage. Wenn das Vertrauen durch Desinformationen und Verschwörungserzählungen zusätzlich aktiv untergraben wird, spaltet das die Gesellschaft weiter. Der Zusammenhalt in einer pluralen Gesellschaft ist also keine Selbstverständlichkeit – er muss von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft jeden Tag aktiv gestaltet werden.
Jede*r kann im eigenen Umfeld mit offenen und respektvollen Gesprächen zu mehr Verständigung beitragen, andere aktiv unterstützen und Brücken zwischen verschiedenen Meinungen bauen. Dazu gehört auch, Falschinformationen zu hinterfragen und faktenbasiert zu diskutieren. Wer sich ehrenamtlich in demokratischen Initiativen engagiert oder mit Spenden unterstützt, stärkt zudem die Zivilgesellschaft.
Politische Teilhabe spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle: Wer sich informiert, wählen geht und sich selbst in einer demokratischen Partei engagiert, trägt direkt zur Stärkung der Demokratie bei. Letztlich liegt es an uns allen, den Dialog zu suchen, Vielfalt als Bereicherung zu begreifen und eine offene Gesellschaft immer wieder neu zu gestalten.
Die US-Zivilgesellschaft scheint, von außen betrachtet, gespaltener denn je zu sein. Konfliktlinien verlaufen unter anderem zwischen Bundesstaaten, Familien und Parteizugehörigkeit. Nicht selten erreichen Entwicklungen in den USA Deutschland und Europa zeitversetzt. Drohen demnach amerikanische Verhältnisse auch in der Spaltung der verschiedenen Bevölkerungen in Europa?
Die gesellschaftliche Spaltung entlang politischer, sozialer und geografischer Linien in den USA ist in der Tat tief. Viele dieser Dynamiken, wie die zunehmende Polarisierung, der Vertrauensverlust in Institutionen und die Verbreitung von Desinformation, sind auch in Europa spürbar. Gleichwohl bin ich davon überzeugt, dass wir alle unseren Beitrag dazu leisten können, dass wir solche Verhältnisse nicht in dieser Härte bei uns sehen. Denn die sozialen Sicherungssysteme in Europa, die starken zivilgesellschaftlichen Strukturen sowie die politischen Systeme, die in weiten Teilen auf Kompromisse angelegt sind, tragen grundsätzlich zur Resilienz bei.
„Wenn wir aus den Entwicklungen in den USA lernen, können wir gegensteuern.“
Gleichwohl sehen wir auch in Deutschland, dass Extremismus, Populismus und gesellschaftliche Fragmentierung zunehmen. Daher ist es nun wichtig, das demokratische Miteinander in pluralen Gesellschaften aktiv zu stärken. Wir brauchen faktenbasierte und lösungsorientierte Diskussionen für eine Politik, die die Herausforderungen unserer Zeit angeht, und die Teilhabe für alle ermöglicht. Wenn wir aus den Entwicklungen in den USA lernen, können wir gezielt gegensteuern – mit Bildung, Dialog und einer starken demokratischen Zivilgesellschaft.
Dr. Anna Herrhausen ist Politikwissenschaftlerin, Young Leaders Alumni und Mitglied der Atlantik-Brücke. Sie ist zudem Mitglied des Vorstands der Phineo gAG, die sich als gemeinnütziges Analyse- und Beratungshaus für eine starke Zivilgesellschaft einsetzt.