Ein rauerer Wind aus Washington
Von Martin Klingst
In zwei Wochen, am 3. Januar 2023, tritt im Kapitol zu Washington erstmals das neugewählte Parlament zusammen. Fortan wird es der demokratische Präsident Joe Biden in einer der zwei Kammern, im Repräsentantenhaus, mit einer republikanischen Mehrheit zu tun haben. Was bedeutet diese Gewichtsverschiebung? Wird der republikanische Machtzuwachs Auswirkungen auf Bidens bisherige Außenpolitik und damit auch auf das transatlantische Verhältnis haben?
Im Großen und Ganzen: Nein! Zum einen genießen amerikanische Präsidenten in der Außenpolitik weitgehende Handlungsfreiheit. Zum anderen beträgt der republikanische Vorsprung im 435-köpfigen Repräsentantenhaus gerade einmal 9 Sitze. Vor allem aber: Demokraten und Republikaner ziehen schon seit einiger Zeit in jenen zwei brennenden außenpolitischen Fragen, die insbesondere Deutsche und Europäer betreffen, an einem Strang: bei der Unterstützung der Ukraine und der konfrontativen Haltung gegenüber China. Wir wissen also im Grunde, was in Washington Sache ist.
Dennoch wird es für Deutsche und Europäer, für die transatlantischen Beziehungen in nächster Zeit ungemütlicher werden. Angesichts der finanziellen Belastung und des näher rückenden Präsidentschaftswahlkampfes werden die Amerikaner von ihren Verbündeten sowohl mehr Unterstützung für die Ukraine als auch den Schulterschluss gegenüber China verlangen. Und diese Forderungen werden Politiker beider Parteien erheben, die Republikaner unverblümter und schroffer, die Demokraten verdeckter und freundlicher.
Natürlich wird auch der nächste, der 118. US-Kongress, der Ukraine nicht Amerikas Hilfe versagen. Trotz einiger Abweichler, vor allem in den Reihen der Trump-Anhänger, sind Republikaner und Demokraten mehrheitlich in ihrem Widerstand gegen Putins imperiale Gelüste vereint. Das zeigte sich auch jetzt, als Demokraten und Republikaner in der vergangenen Woche mit überwältigender Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses gemeinsam dem Verteidigungshaushalt zustimmten, der erhöhte Ausgaben für NATO und Ukraine vorsieht.
Der Unmut unter Amerikanern, dass sie bislang die Hauptlast der finanziellen und militärischen Ukraine-Hilfe tragen, wächst.
Doch der Unmut unter Amerikanern, dass sie bislang die Hauptlast der finanziellen und militärischen Ukraine-Hilfe tragen, wächst. Vor allem unter Republikanern machen sich erste Ermüdungserscheinungen breit. So ergab jüngst eine Umfrage des renommierten Chicago Council on Global Affairs, dass gegenwärtig nur noch 55 Prozent der befragten Republikaner unverbrüchlich hinter der amerikanischen Militärhilfe für Kiew stehen, im Juli waren es 68 Prozent, im vergangenen März sogar noch 80 Prozent. Und während im Juli noch 58 Prozent aller befragten Amerikanerinnen und Amerikaner dafür waren, der Ukraine, so lange es erforderlich ist, im gleichen Umfang wie bisher zu helfen, sind es jetzt nur noch 40 Prozent. 47 Prozent meinen, Biden sollte größeren Druck auf Friedensverhandlungen ausüben.
Anlässlich der Winterhilfe und des künftigen, wahrscheinlich billionenschweren Wiederaufbauprogramms, dem sogenannten Marshall-Plan für die Ukraine, hat auch die Biden-Regierung signalisiert, dass sie nunmehr vor allem die Europäer in der finanziellen Pflicht sieht. Und der ab Januar neue republikanische Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, Kevin McCarthy, hat schon vor einiger Zeit kundgetan, dass seine Partei keine Blankoschecks für die Ukraine ausstellen und außerdem auf eine strengere Kontrolle der Auszahlungen pochen werde. Das zeigte sich auch schon jetzt bei den Verhandlungen über den Militärhaushalt, sind doch das Pentagon und der für die Ukraine-Hilfe zuständige Generalinspekteur künftig verpflichtet, dem Kongress regelmäßig Bericht zu erstatten über die ordnungsgemäße Übersendung und Verwendung von Geldzahlungen und militärischem Gerät an die Regierung in Kiew.
Republikaner und Demokraten stimmen auch weitgehend in ihrer harschen Gangart gegenüber Peking überein.
Republikaner und Demokraten stimmen auch weitgehend in ihrer harschen Gangart gegenüber Peking überein, beide sehen nicht in Russland, sondern in China die größte Herausforderung und Bedrohung im 21. Jahrhundert. Und weil ihre harte Haltung gegenüber der Volksrepublik auch in der amerikanischen Bevölkerung populär ist, werden sich wohl beide Parteien im bald beginnenden Präsidentschaftswahlkampf mit Forderungen nach noch strengeren Handelsrestriktionen überbieten. Zwei neue Gesetze, der Chips und Science Act sowie der Inflation Reduction Act (IRA), sind nur ein erster Vorgeschmack auf das, was Europäer und die restliche Welt aus den Vereinigten Staaten zu erwarten haben. Vor allem der IRA, der im gleichen Atemzug die Inflation in den Vereinigten Staaten eindämmen, den Klimaschutz forcieren und Chinas technologisches Hegemoniestreben stoppen soll, droht europäische Unternehmen stark zu benachteiligen.
Außerdem hat Kevin McCarthy angekündigt, mit Hilfe der neuen republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus eine China-Kommission ins Leben zu rufen. Dieses sogenannte Select Committee soll ein besonders kritisches Auge auf die China-Politik der Biden-Regierung werfen und Druck auf den Präsidenten ausüben, weitere Sanktionen gegen Peking zu verhängen. Vor allem fordert McCarthy engmaschigere Kontrollen amerikanischer und europäischer Investitionen in China wie auch chinesischer Investitionen in den USA und Europa.
Ebenso wollen Demokraten wie Republikaner gegenüber der Volksrepublik mehr militärische Stärke zeigen. Auch hier droht im Wahlkampf ein Überbietungswettbewerb. Der republikanische Abgeordnete Mike Rogers, der wahrscheinlich nächste Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Repräsentantenhaus, hat bereits versprochen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Amerikas militärische Präsenz und Potenz im Indopazifik zu erhöhen. Und Mike Gallagher, der wahrscheinlich dem Select Committee on China vorsitzen wird, fordert dies ebenso.
Der neue Verteidigungshaushalt zeigt bereits, wo es künftig langgehen soll. So werden die Ausgaben für die Pacific Deterrence Initiative, die in erster Linie die Einhegung Chinas zum Ziel hat, im kommenden Jahr von bislang 7 auf nunmehr 11 Milliarden Dollar erhöht. Weitere 2 Milliarden Dollar sollen außerdem jährlich für die Ausrüstung und Schulung der taiwanesischen Verteidigungskräfte ausgegeben werden.
Es wird aus Washington auf jeden Fall ein rauerer Wind wehen, und Europäer und Deutsche wären darum gut beraten, sich schon jetzt darauf vorzubereiten. Indem sie zum Beispiel nicht nur weiter ihre guten Kontakte zu den demokratischen Vorsitzenden der wichtigen Senatsausschüsse für Verteidigung, Außenpolitik und Nachrichtendienste pflegen, sondern ebenso zügig gute Beziehungen zu den mindestens ebenso wichtigen neuen republikanischen Ausschussvorsitzenden im Repräsentantenhaus aufbauen. Die „vier Mikes“, die Abgeordneten Mike McCaul aus Texas (Außenpolitik), Mike Rogers aus Alabama (Verteidigung), Mike Turner aus Ohio (Nachrichtendienste) und Mike Gallagher aus Wisconsin (Chinapolitik) sind erfahrene Außenpolitiker und sowohl standhafte Unterstützer der Ukraine als auch Hardliner gegenüber Peking.
Deutschland sollte in Washington mit einer europäisch abgestimmten China-Strategie aufwarten.
Auch sollten gerade deutsche Regierungsvertreter und Abgeordnete bei ihren Besuchen in Washington deutlich machen, dass die Bundesrepublik nicht nur bereit ist, größere militärische und finanzielle Verantwortung für die Ukraine zu übernehmen, sondern beim künftigen Wiederaufbau eine Führungsrolle übernehmen wird. Im Weißen Haus und im Kongress wartet man auf solche Signale.
Ebenso sollte Deutschland in Washington mit einer europäisch abgestimmten China-Strategie aufwarten, die – trotz aller Unterschiede und Differenzen im Detail – zweierlei Erkenntnisse in den Mittelpunkt rückt: das Eingeständnis, dass das alte Prinzip „Wandel durch Handel“, also die Hoffnung, dass enge wirtschaftliche Verflechtungen mit Staaten wie Russland und China dort zwangsläufig zu Freiheit und Demokratie führen, ein Irrtum war. Und die Einsicht, dass Chinas unverblümtes Machtstreben eine existenzielle Bedrohung der liberalen Weltordnung ist.
Gerade deutsche Regierungsvertreter sind oft geneigt, bei ihren Besuchen in Washington herauszustreichen, was sie schon alles für die Ukraine getan haben, vor allem an humanitärer Hilfe und Flüchtlingsaufnahme. Doch diese unbestreitbaren Leistungen überzeugen verständlicherweise nicht ein Land wie die Vereinigten Staaten, das nicht wie wir in untermittelbarer Nachbarschaft zur kriegsgeschüttelten Ukraine liegt – und trotzdem bislang Kiew ein Vielfaches mehr an militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung gewährt als Deutschland oder gar Europa insgesamt.
Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. In „Die 6. Stunde“ schreibt er für die Atlantik-Brücke seine Betrachtungen über ein Land auf, das sechs Zeitzonen entfernt und uns manchmal doch sehr nahe ist: die USA. Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.
Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.