„Es gibt auch mit Präsident Trump Anknüpfungspunkte“
Sigmar Gabriel rät zu einem sachlichen Umgang mit dem US-Präsidenten angesichts der Vielzahl an transatlantischen Konflikten. Der ehemalige Bundesaußenminister spricht im Transatlantic Call der Atlantik-Brücke über die deutsche Verantwortung in der Weltpolitik, Nord Stream 2 und die geostrategische Herausforderung durch China.
Interview: David Deißner
Herr Gabriel, würden Sie sich als Transatlantiker bezeichnen?
Ich bin an der früheren Zonengrenze aufgewachsen. Die Freiheit, die ich damals genossen habe, wurde im Wesentlichen durch die Alliierten und vor allem durch die Amerikaner gewährleistet. Ich bin aus diesem Grund später auch in die USA gereist. Ich habe am Senator-Fulbright-Programm teilgenommen und bin heute Senior Fellow in Harvard. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe an Beziehungen. Ich bin aber nicht in dem Sinne ein Transatlantiker, dass ich in den USA studiert hätte oder dass ich dort Geschäftbeziehungen hätte. Ich bin kein geborener, sondern vielmehr ein gelernter Transatlantiker. Später ist es natürlich auch beruflich in all meinen Funktionen so gewesen, dass ich viel mit den USA zu tun hatte.
Ich bin kein geborener, sondern vielmehr ein gelernter Transatlantiker.
Gehen wir die großen Konfliktthemen zwischen Deutschland und den USA einmal der Reihe nach durch. Da wäre zunächst der Streit über das 2-Prozent-Ziel der NATO. Warum tut sich die Bundesregierung so schwer, trotz der wirtschaftlichen Stärke und der Bedeutung des Landes mehr sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen?
Wir hatten uns daran gewöhnt, dass sich die Amerikaner für wesentliche Teile der Sicherheitspolitik für zuständig erklärt haben. Wir haben auch nicht früh genug bemerkt, dass sich spätestens mit dem Fall des Eisernen Vorhangs die Welt dramatisch verändert hat. Henry Kissinger hat beim Jubiläum zum 40-jährigen Bestehen der Atlantik-Brücke in Hamburg darauf hingewiesen, dass sich Amerika und das transatlantische Verhältnis verändern werden. Und dass mehr Verantwortung auf Europa und Deutschland zukommen wird. Wir haben lange in der bequemen Situation verharrt, dass sich die Briten, Franzosen und vor allem die Amerikaner um die schwierigen Dinge in der Welt kümmern.
Wir haben lange in der bequemen Situation verharrt, dass sich die Briten, Franzosen und vor allem die Amerikaner um die schwierign Dinge in der Welt kümmern.
Hinzu kommt ein zweiter Punkt. Wenn es um Geld geht in der Politik, gibt es automatisch Verteilungskämpfe. Es geht um 40 Milliarden Euro, die man mehr ausgeben müsste, um das 2-Prozent-Ziel zu erreichen. Ich denke, dass es dennoch gelingen wird, das Ziel zu erreichen. Meine persönliche Vorstellung ist allerdings nicht, dass wir 2 Prozent für die Bundeswehr ausgeben, sondern 1,5 Prozent für die Bundeswehr und 0,5 Prozent für die NATO-Verteidigungsfonds für Osteuropa. Wenn Deutschland helfen würde, die Verteidigungsfähigkeit der NATO im Osten zu stärken, würden wir zum ersten Mal Verantwortung übernehmen, die bislang die USA übernommen haben.
Kommen wir zu einem zweiten Problemfeld: Präsident Trump hat wiederholt mit höheren Importzöllen auf Automobile aus der EU gedroht. Sehen Sie eine realistische Chance, in einem schlanken, auf Industriegüter konzentrierten transatlantischen Freihandelsabkommen eine Null-Zoll-Lösung für den Automobilsektor zu erzielen?
Aus deutscher Sicht wäre dies auf jeden Fall eine kluge Lösung. Aber das sehen andere Länder in Europa aufgrund sehr unterschiedlicher Wirtschaftsinteressen ganz anders. Zuständig ist das Handelskommissariat der EU. Frankreich legt sehr viel mehr Wert auf die Öffnung der Agrarmärkte. Dass wir Zölle gegen amerikanische Automobile haben, liegt ja nicht daran, dass Amerika Zölle gegen deutsche Autos hätte. Im Gegenteil, die sind relativ niedrig. Der Grund ist, dass die USA Agrarprodukte nicht in ihr Land hineinlassen. Ich gehe nicht davon aus, dass sich an dieser Position der Vereinigten Staaten etwas grundlegend verändert.
Die US-Administration kritisiert die deutsche Beteiligung am Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 auf das Schärfste. Ist die Sorge um eine unabhängige und diversifizierte Energieversorgung in Europa berechtigt oder stecken nicht doch auch wirtschaftliche Interessen hinter dieser Politik, um das amerikanische Flüssiggas verstärkt in Europa abzusetzen?
Beides. Natürlich gibt es wirtschaftliche Interessen. Die USA interessieren sich für Gasexporte nach Europa und Deutschland erst, seitdem sie selbst ein großer Nettoproduzent geworden sind. Das verheimlichen sie auch gar nicht. Aber es gibt auch ein Argument, dem man nicht ausweichen kann, und das ist die Frage der Abhängigkeit. Wahrscheinlich sind die Russen abhängiger davon, dass wir ihr Gas abnehmen als umgekehrt.
Mein Rat ist, nicht die Liberalisierung des Gasmarktes in Europa zurückzunehmen und politisch nicht in den Gasmarkt einzugreifen. Unternehmen wissen besser als Politiker, bei wem sie sich Gas bestellen. Eine verbesserte und gut vernetzte Gasinfrastruktur ist unabdingbar, deshalb ergibt auch der Ausbau von Flüssiggasterminals in Europa sehr viel Sinn.
Mein Rat ist, nicht die Liberalisierung des Gasmarktes in Europa zurückzunehmen und politisch nicht in den Gasmarkt einzugreifen.
Kommen wir von der Energieinfrastruktur zur Telekommunikation der Zukunft. Mitten im Handelskonflikt mit China hat die US-Regierung Technologie-Unternehmen wie Google untersagt, mit Huawei zusammenzuarbeiten. Dessen 5G-Technologie öffnet den USA zufolge Tür und Tor für Spionage und Sabotage. Deutschland und weitere europäische Staaten wollen sich dagegen nicht diktieren lassen, welcher Anbieter am Ende den Zuschlag zum Aufbau des neuen 5G-Netzes bekommt. Welchen Lösungsansatz würden Sie hier verfolgen?
Bei aller Kritik an den Instrumenten, die der amerikanische Präsident anwendet, muss man Chinas Verhalten in der Handelspolitik deutlich kritisieren. Man kann nicht von einem fairen Handel reden, wenn zwei Fünftel der Weltwirtschaft von einem Land organisiert werden, das sich an keinerlei Spielregeln hält. China fördert staatliche Subventionen, öffnet seine Märkte nicht und verletzt die Rechte des geistigen Eigentums. Mir wäre lieber, mit einem transatlantischen Schulterschluss die Chinesen gemeinsam zu einem anderen Verhalten zu bewegen.
Man kann nicht von einem fairen Handel reden, wenn zwei Fünftel der Weltwirtschaft von einem Land organisiert werden, das sich an keinerlei Spielregeln hält.
Was Huawei betrifft, geht es um Geopolitik, technologischen Vorsprung und Sicherheitsinteressen. In der derzeitigen amerikanischen Administration wird die Geopolitik höher bewertet als die wirtschaftlichen Vorteile der Kooperation mit Huawei. Das ist wirklich bemerkenswert und sehr ernst zu nehmen. Deutsche und Europäer sind in einer anderen Lage. Wir können es uns wegen unserer Exportstärke nicht leisten, eine so scharfe Attacke auf Huawei zu fahren. Daher arbeitet die Bundesregierung daran, Huawei aus bestimmten sensiblen Bereichen aus Sicherheitsgründen herauszuhalten und die Kontrolle zu erhöhen.
Derzeit sieht es so aus, als ob die USA aus ihrem laufenden Einsatz in Afghanistan ausscheiden wollen – mit allen Konsequenzen für das Land, seine Menschen und neue Flüchtlingsströme durch ein weiteres Erstarken der Taliban. Was kann die Bundesrepublik, die EU und der europäische Pfeiler der NATO unternehmen, um die afghanische Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen und die Zivilgesellschaft einzubinden?
Wir Europäer machen sehr viel im Bereich des zivilen Aufbaus. Das eigentliche Problem tritt zutage, sobald es darum geht, militärische Sicherheit zur Verfügung zu stellen. Das deutsche Engagement hat sich hier drastisch reduziert. Wir bilden afghanische Sicherheitskräfte aus, aber sind seit einigen Jahren nicht mehr Teil von harten Kampfeinsätzen. Wenn sich die Amerikaner wirklich zurückziehen würden, dann hätte das zur Folge, dass das Sicherheitsrisiko für alle anderen dort verbleibenden Einheiten bis hin zur Polizei dramatisch steigen würde. Das hätte also schwere Konsequenzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir unser Engagement in Afghanistan ohne die Amerikaner so aufrechterhalten können. Die Taliban wetten darauf, dass wir Hals über Kopf abziehen. Unser Engagement sollte man aber nicht leichtfertig aufgeben.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir unser Engagement in Afghanistan ohne die Amerikaner so aufrechterhalten können.
Die einseitige Verhärtung innerhalb des transatlantischen Verhältnisses mit den USA bereitet große Sorge. Wie kann die Atlantik-Brücke hier einen sinnvollen Beitrag zur weiteren, kontinuierlichen Aufrechterhaltung des transatlantischen Bündnisses leisten?
Die Sorge ist berechtigt. Es beginnt damit, dass die Atlantik-Brücke die Vereinigten Staaten von Amerika nicht mit dem Präsidenten verwechseln darf. Aber es gibt auch mit Trump Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit. All das, was die Atlantik-Brücke bislang tut, müsste man erfinden, wenn sie es noch nicht täte. Es muss aber etwas hinzutreten. Wir sind alle sehr traditionell geprägt in unseren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Wir reisen häufig an die Ost- und Westküste und besuchen Washington, D.C. Wir sollten sehr viel mehr mit dem Amerika von morgen in Austausch treten, mit den jungen Latinos, Asiaten und Afroamerikanern. Dies ist nicht das Amerika von Donald Trump – es ist aber auch nicht das Amerika, das wir 70 Jahre lang kannten. In nicht allzu ferner Zukunft wird die Mehrheit der Amerikaner keine europäischen Wurzeln mehr haben. Darauf müssen wir uns einstellen, und das sollten wir als große Chance betrachten.
Wir sollten sehr viel mehr mit dem Amerika von morgen in Austausch treten, mit den jungen Latinos, Asiaten und Afroamerikanern.