„Es gibt keine Alternative zur Nuklearvereinbarung“
Die Iranexpertin Dr. Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gibt im Interview einen Einblick in die politische Stimmung im Iran, ihre Einschätzung der Verhandlungen über das Atomabkommen JCPOA in Wien und die bleibende angespannte Stimmung zwischen Iran und den USA.
Frau Zamirirad, am 18. Juni sind Wahlen im Iran. Wie beurteilen Sie die politische Stimmung im Land?
Es herrscht enormer Frust im Land, aber auch Wut. Die Bevölkerung leidet unter Missmanagement und Korruption sowie der hohen Arbeitslosigkeit. Viele junge Menschen sind perspektivlos. Die angeschlagene iranische Wirtschaft wurde durch ein drakonisches US-Sanktionsregime, das noch unter Präsident Trump verhängt wurde, zusätzlich belastet. Unter dem weitreichenden Sanktionssystem konnten nicht einmal humanitäre Güter ungehindert importiert werden, darunter in der Pandemie dringend benötigte medizinische Ausrüstung und Pharmazeutika.
Es herrscht enormer Frust im Land, aber auch Wut. Die Bevölkerung leidet unter Missmanagement und Korruption sowie der hohen Arbeitslosigkeit.
Dabei hatten sich viele Iranerinnen und Iraner von dem Abschluss der Atomvereinbarung von 2015 genau das Gegenteil versprochen, eine rasche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und eine bessere Versorgung mit benötigten Waren. Doch weder in der Wirtschaft noch mit Blick auf politische Liberalisierung konnten Fortschritte erzielt werden. Die Wut und Verzweiflung der Bürger über die Zustände hat sich in den letzten Jahren deutlich auf der Straße gezeigt. Seit Ende 2017 sind in der Islamischen Republik gleich zweimal landesweite Massenproteste ausgebrochen. Der Staat hat mit erheblicher Gewalt reagiert. Demonstranten erlebten die gewaltsamste Niederschlagung von Protesten der letzten Jahrzehnte. Hunderte Menschen wurden getötet und tausende verhaftet.
Politisch sind viele längst desillusioniert und sehen nach zahlreichen gescheiterten Reformversuchen durch so genannte moderate Kräfte in Wahlen nicht länger ein geeignetes Mittel für politischen Wandel. Wie schon bei den Parlamentswahlen vom Februar 2020 könnte die Islamische Republik daher erneut ein historisches Tief bei der Wahlbeteiligung verzeichnen.
Nachdem die USA unter Präsident Trump aus dem JCPOA ausgestiegen waren, wollen nun sowohl der Iran als auch die USA wieder zu einem Einverständnis bezüglich des Atomdeals kommen. Doch die Verhandlungen sind zäh. Was sind die Konfliktlinien und halten Sie es dennoch für möglich, dass die Wiener Gespräche ein positives Ergebnis haben?
Ich bin derzeit zuversichtlich. Sowohl die neue US-Administration unter Biden als auch die Führung in Teheran unter Revolutionsführer Ali Khamenei sind daran interessiert, zu einem gemeinsamen Atomkompromiss zurückzufinden. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es keine effektive Alternative zur Nuklearvereinbarung gibt. Mit den Gesprächen in Wien ist nun erstmal eine wichtige Hürde genommen. Es geht nicht länger darum, welche Seite den ersten Schritt unternimmt. Stattdessen wird ein gemeinsamer Fahrplan dafür entwickelt, wie beide Seiten zu einer vollständigen Implementierung zurückkehren können, ohne dass eine Partei erheblich in Vorleistung gehen muss. In zwei Arbeitsgruppen werden die konkreten technischen Details und jeweils notwendigen Schritte diskutiert.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es keine effektive Alternative zur Nuklearvereinbarung gibt.
Das Format ist vielversprechend, nicht zuletzt auch deshalb, weil es erstmals seit 2017 wieder ein gemeinsames transatlantisches Vorgehen in der Atomfrage gibt. Es gibt also durchaus Gründe dafür, optimistisch zu sein. Dennoch wird es kein leichtes Unterfangen sein. Das bisherige Sanktionsregime ist äußerst weitreichend und komplex. Die Biden-Administration hat zwar in Aussicht gestellt, Sanktionen auszusetzen, die mit der Vereinbarung unvereinbar sind. Doch um welche es sich dabei handelt, ist Auslegungssache.
Auch ist nicht klar, ob die iranische Führung gewillt ist, noch vor den iranischen Wahlen einen diplomatischen Durchbruch zu erzielen. Sie könnte darauf setzen, erst unter einem neuen Präsidenten eine Einigung zu erreichen. Das würde wertvolle Zeit kosten. Auch wenn es bislang keine Anzeichen für ein waffenrelevantes Nuklearprogramm in Iran gibt, ist die Lage besorgniserregend. Teheran hat den Anreicherungsgrad auf über 60% erhöht und die Zusammenarbeit mit Inspekteuren der Internationalen Atomenergieorganisation in einigen Bereichen eingeschränkt. Es ist daher im Interesse aller übrigen Verhandlungsparteien, so schnell wie möglich zu einer Einigung zu finden.
Welche Bedeutung haben die unfreundlichen Begegnungen zwischen iranischen und US-amerikanischen Schiffen im und nahe dem Persischen Golf in den vergangenen Wochen für das Verhältnis der beiden Nationen?
Das Verhältnis beider Staaten bleibt weiter angespannt. Seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen 1980 gibt es immer wieder Zwischenfälle zwischen iranischen und US-amerikanischen Militärbooten im Persischen Golf. Die Sicherheitslage in der Region hat sich nach dem einseitigen Rückzug der USA aus der Atomvereinbarung im Mai 2018 zusätzlich verschlechtert. Die Islamische Republik hat auf die damalige Politik des „maximalen Drucks“ mit einer Politik des „maximalen Widerstands“ reagiert. Dies führte zu einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen Iran und seinen Verbündeten auf der einen Seite und den USA und seinen Partnern auf der anderen.
Um beidseitige Vorbehalte abzubauen, bedarf es einer längerfristigen Entspannungspolitik.
Unter anderem kam es zu Sabotageakten an Öltankern, dem Abschuss einer US-Drohne, Raketen- und Drohnenangriffe auf US-Militärbasen im Irak und Ölanlagen in Saudi-Arabien sowie zu Cyberangriffen auf kritische Infrastruktur und Nuklearanlagen in Iran. Die im Januar 2020 von Washington veranlasste gezielte Tötung von Qasem Soleimani, dem Kommandeur der iranischen Jerusalembrigaden, brachte die USA und die Islamische Republik an den Rand einer direkten militärischen Eskalation. Zuvor hatte Washington die iranischen Revolutionsgarden bereits in ihrer Gesamtheit auf die Liste ausländischer terroristischer Organisation gesetzt. Im Gegenzug erklärte Teheran das Zentralkommando der Vereinigten Staaten zu einer Terrororganisation.
Für das seit Jahrzehnten belastete Verhältnis ist auch im Falle eines Durchbruchs bei den Atomgesprächen in Wien kein rapider Wandel zu erwarten. Das Misstrauen gegenüber den USA ist in weiten Teilen der iranischen Eliten und der Revolutionsgarden hoch. Die Erfahrung der Atomvereinbarung unter Donald Trump hat dieses Misstrauen weiter verstärkt. Um beidseitige Vorbehalte abzubauen, bedarf es daher einer längerfristigen Entspannungspolitik.
Dr. Azadeh Zamirirad ist Irananalystin und Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.