„Es gibt nicht das Amerika, es gibt mehrere Amerikas“
Freiheitsstatue, Golden Gate Bridge, Beyoncé oder doch ein Trump-Anhänger mit MAGA-Mütze: Was für ein Bild haben die Deutschen vor Augen, wenn sie an die USA denken? Ist Amerika noch ein Sehnsuchtsort oder ist das Bild vom großen coolen Bruder im Westen mittlerweile dem eines aggressiven Redneck mit vorlautem Mundwerk und einer Aversion gegen die Verwandtschaft aus Übersee gewichen?
Die Sicht der Deutschen auf die USA war schon immer starken Schwankungen unterworfen. Seit Jahrzehnten wechseln sich Faszination und Bewunderung (etwa während der Bill Clinton- oder Barack Obama-Jahre) mit Abscheu und Skepsis (unter George W. Bush und Donald Trump) ab. Die starke Polarisierung und der raue Ton der öffentlichen Debatte, die parteipolitischen Grabenkämpfe und zuletzt der Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol am 6. Januar 2021 prägen in den vergangenen Jahren die Meinung der Deutschen von den USA.
Von links nach rechts: Franka Ellman (Leiterin Programme, Atlantik-Brücke), Christian Hirte (MdB CDU/CSU), Tina Hassel (Leiterin ARD-Hauptstadtstudio), Dr. Gesine Lötzsch (MdB Die Linke), Martin Klingst (Journalist), Katja Hoyer, (Visiting Research Fellow, King’s College London) und Julia Friedlander (Geschäftsführerin Atlantik-Brücke).
„Zu Amerika hat jeder eine Meinung“, stellt Moderatorin Tina Hassel fest, als sie die Diskussionsrunde zum Thema „Der deutsche Blick auf Amerika im Wandel“ eröffnet. Die Altantik-Brücke ist an diesem Abend (27.2.2024) zu Gast bei der Commerzbank in Berlin, auf dem Panel sitzen Dr. Gesine Lötzsch, MdB (Die Linke), Katja Hoyer, Visiting Research Fellow, King’s College London, Christian Hirte, MdB (CDU/CSU) und Martin Klingst, Journalist & Autor.
Katja Hoyer sagt: „Ich bin mit dem Disney-Club aufgewachsen“. Ihre Generation verbinde die ganzen romantisierenden Sachen mit den USA. Gesine Lötzsch fällt zu Amerika „Vielfalt“ und „Direktheit“ ein. „Die Amerikaner sagen immer ganz schnell, was sie wollen“, findet sie. Christian Hirte erinnert sich, dass er mit 16 Jahren zum Weltjungendtag nach Denver, Colorado, gefahren ist. „Für jemanden aus dem Osten schon beeindruckend, alles war größer als in Deutschland“, erinnert er sich lachend. Und Martin Klingst stellt fest: „Es gibt nicht das Amerika, es gibt mehrere Amerikas.“ Er war 1971 zum ersten Mal zum Schüleraustausch in den USA. „Das war das prägendste Jahr meines Lebens. Ich war auf den Demos gegen den Vietnam-Krieg, in meiner Nachbarschaft brannten Schulbusse wegen der Rassentrennung.“
Wie verlässlich sind die USA überhaupt noch?
Und obwohl jede*r in der Runde andere Eindrücke aus den USA mitgenommen hat, sind sich alle einig, dass der Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 eine Zäsur darstelle. Spätestens seit jenem Tag frage man sich in Deutschland: Wie verlässlich sind die USA überhaupt noch?
Die grundlegende Frage führt die Diskutierenden schnell zum virulenten Thema dieser Tage: Was passiert, wenn Donald Trump im Herbst die Wahl gewinnt und zum zweiten Mal als US-Präsident ins Weiße Haus einzieht? Und wie muss sich Europa auf dieses Szenario vorbereiten?
„Trumps Äußerung zur NATO: Ist das Wahlkampf oder müssen wir das ernst nehmen?“, fragt Hassel in die Runde. Gemeint ist die Aussage Trumps, dass er säumige NATO-Länder bei Eintritt eines Bündnisfalles nicht verteidigen wolle und Putin sogar empfehlen würde, „mit diesen zu machen, was er wolle“.
Die Meinungen auf dem Panel gehen hier stark auseinander. Während Hoyer meint: „Das ist ein typischer Spruch von Donald Trump. Ich bin mir nicht sicher, ob da strategisches Denken dahintersteckt“, warnt Klingst: „Ich glaube, das muss man sehr ernst nehmen.“ Und fügt hinzu: „Trump mag Deutschland nicht, da müssen wir uns warm anziehen.“
Ist Biden der letzte transatlantische Präsident?
Doch wie sollen sich nun Deutschland und Europa vorbereiten auf eine mögliche zweite Trump-Präsidentschaft? Natürlich werde Amerika auch unter einem Präsidenten Trump weiterhin wichtig für uns bleiben, ist sich das Panel einig. Aber Europa müsse selbst für sich sorgen, das sei das Gebot der Stunde. Handel, Technologie und Klima/Umweltschutz seien die wichtigsten Themen für die amerikanisch-deutschen Beziehungen, hier müsse man sich um Verbindungen bemühen, wirft Klingst ein. Und Lötzsch beschwört den Austausch auf kultureller, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene. Und dann stellt Hassel noch die bange Frage, auf die (noch) keine*r auf dem Podium eine eindeutige Antwort hat: „Ist Biden der letzte transatlantische Präsident?“
Am Ende des Abends gewinnen die Gäste zumindest die Erkenntnis, dass das Amerika-Bild der Deutschen seit Jahrzehnten starken Schwankungen unterliegt und es letztlich stark von einer Sache abhängt: wer im Weißen Haus sitzt.