Europas Verantwortung für sichere Seewege
Von Sigmar Gabriel, Vorsitzender der Atlantik-Brücke
Deutschland und die USA sind in diesen Tagen häufig unterschiedlicher Ansicht. Ob es um Einfuhrzölle oder den deutschen NATO-Beitrag geht, die Spannungen zwischen Berlin und Washington sind deutlich zu spüren. Und wenn der amerikanische Botschafter Richard Grenell nun angesichts der iranischen Beschlagnahmung eines britischen Tankers daran erinnert, dass Deutschland seine globale Verantwortung wahrnehmen muss, kann man ihm nur zustimmen. Wir können uns nicht auf dem militärischen Engagement der Amerikaner ausruhen, sondern müssen die internationale Ordnung selbst erhalten und mitgestalten.
Diese Erkenntnis muss und darf im Fall des Konflikts mit dem Iran aber nicht zwangsläufig dazu führen, dass Deutschland den USA bedingungslos folgt. Unser Land hat gemeinsam mit allen europäischen Partnern die Aufkündigung des Atomabkommens mit den USA von Anfang an kritisiert. Vor allem weil sich der Iran an alle Verpflichtungen aus dem Atomabkommen gehalten hatte, haben wir Europäer die US-Politik des „maximalen Drucks“ gegen den Iran für keinen erfolgversprechenden Weg gehalten. Die Europäer haben davor gewarnt, dass die einseitige Kündigung des Abkommens durch die USA zur Eskalation neuer Konflikte in der Region führen kann. Leider haben sich diese Sorgen als berechtigt erwiesen.
Obwohl auch wir – ebenso wie die USA – die Politik des Iran in der Region, seine Raketentests und seine Unterstützung militanter Organisationen kritisieren, haben Deutschland und seine europäischen Partner eine andere und eigenständige Iran Politik betrieben. Für uns ist und bleibt die Verhinderung einer nuklearen Bewaffnung dieses Staates ein vorrangiges Ziel, das der Sicherheit aller dient.
Bei dieser eigenständigen Politik Deutschlands muss es bleiben, wenn Europa weiter Vermittler in dem immer bedrohlicher werdenden Konflikt bleiben will. Aus diesem Grund wäre es angemessen, wenn es auch bei der Sicherung der Freiheit der Seeeschifffahrt an der Strasse von Hormus zu einem abgestimmten und eigenständigen europäischen Handeln käme. Dazu gehört vor allem, sich ein unabhängiges Bild von der Lage vor Ort zu verschaffen. Deutschland sollte dieser Aufgabe weder an die USA delegieren noch sich einer Beobachtungsmission verweigern, sondern sie gemeinsam mit europäischen Partnern annehmen.
Die Sicherung der internationalen Seeschifffahrt geht uns als drittgrößte Exportnation unmittelbar an. Über 90 Prozent des globalen Ferngüterhandels werden über den Seeweg abgewickelt; die Straße von Hormus ist ein Nadelöhr auf dem Weg in die und aus der Golfregion. Auch die Beeinträchtigungen im Öl- und Gastransport, für den die Meerenge eine der weltweit wichtigsten Routen ist, würde die deutsche und die europäische Wirtschaft zu spüren bekommen. Doch nicht nur aufgrund der Wirtschaftsinteressen Deutschlands muss uns das aggressive und militärische Vorgehen des Iran beunruhigen, sondern weil hier internationales Recht in Frage verletzt. Nicht zuletzt sollten wir unseren Partnern in Großbritannien zeigen, dass wir ihnen zur Seite stehen.
Wichtig ist, dass wir in diesem Konflikt unsere Verantwortung als Europäer wahrnehmen. Darüber sind wir uns im geschäftsführenden Vorstand der Atlantik-Brücke einig. Nicht in Konkurrenz zu den USA, aber eben doch eigenständig. Damit setzen wir ein starkes Signal hinsichtlich Europas Handlungsfähigkeit und bleiben Europas Interessen in der Region treu. Europa sollte es sich zur Aufgabe machen, besonnen gegen Rechtsverstöße des Iran vorzugehen, aber auch mäßigend auf den Konflikt zwischen den USA und Iran einzuwirken.
Ob es zu spät ist, eine gemeinsame Mission mit Großbritannien anzustreben, muss sich erst noch zeigen. Die Bundesregierung sollte deshalb auf ein europäisches Treffen mit der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik hinwirken, um ein europäisches Vorgehen abzustimmen.
Dieser Artikel erschien am 5. August 2019 als Gastkommentar in der FAZ.