Gemeinsam Verantwortung übernehmen: Die Atlantik-Brücke und die deutsch-amerikanischen Beziehungen
Interview mit Friedrich Merz
„Der Westen“ trat während des Kalten Krieges als starke, wertebasierte Gemeinschaft auf. Gibt es, trotz unterschiedlicher Auffassungen – zum Beispiel über das Verständnis von Staat, die Beziehung zu Religion oder auch die Haltung zur Todesstrafe – eine Verbindung, die auch nach dem Ende des Konfliktes zwischen Sozialismus und freier Marktwirtschaft über gemeinsame Interessen hinausgeht?
Für mich gibt es unverändert diese Wertegemeinschaft des Westens. Sie wird angesichts der Bedrohungen und Herausforderungen, denen sich unsere freiheitlichen Gesellschaften ausgesetzt sehen, auch wieder wichtiger. Europäer und Amerikaner sollten daher noch intensiver versuchen, gemeinsame Maßstäbe und Orientierungen für ihr außen- und sicherheitspolitisches Handeln zu entwickeln. Wenn wir wirklich von der überragenden Qualität unserer Freiheitsordnungen überzeugt sind, dann müssen wir unser Leben und Handeln auch nach den Grundsätzen ausrichten, die wir uns selbst gegeben haben.
Wie erklären Sie sich den Anti-Amerikanismus, der zurzeit in Deutschland bis in die Mitte der Gesellschaft akzeptiert ist?
Eine gewisse Skepsis gegenüber Amerika hat es in der deutschen Politik und Gesellschaft immer gegeben, zum Teil sind es Wellenbewegungen, die dann besonders hoch ausschlagen, wenn bestimmte Entscheidungen anstehen. Das war bei der Nachrüstungsdebatte in den 80er Jahren ähnlich wie bei der Diskussion um den Handelsvertrag TTIP mit den USA. Die fundamentalen Kritiker und die prinzipiellen Gegner unserer Partnerschaft mit den USA sind dabei aber immer in der Minderheit geblieben. Trotzdem müssen wir uns mit den Argumenten auseinandersetzen, und hin und wieder geben die USA ja auch Anlass zur Kritik und zum Widerspruch. Wir legen allerdings Wert darauf, dass diese Kritik und dieser Widerspruch in einem offenen Dialog ausgetauscht werden, der am Ende das Gemeinsame sucht und nicht das Trennende vertieft. Im Übrigen ist meine Erfahrung, dass die Amerikaner Partner in der Regel dann besonders ernst nehmen, wenn sie ihnen auch einmal deutlich und klar widersprechen. Erst dann besteht die Partnerschaft der Europäer zu den Amerikanern auf gleicher Augenhöhe – und da gehört sie hin.
Welche besonderen Möglichkeiten haben Nichtregierungsorganisationen, um den Dialog zwischen Europa und Nordamerika zu fördern? Welche Rolle spielt die Atlantik-Brücke in diesem Dialog?
Die Atlantik-Brücke ist in der Tat eine Nicht-Regierungsorganisation, wir sind von staatlichen Zuwendungen und Einflüssen vollkommen unabhängig und bilden uns unsere Meinung im Dialog untereinander und mit unseren amerikanischen Partnern. Hierbei fließen sehr unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen und Auffassungen zusammen, aus denen nicht unbedingt eine Meinung „der“ Atlantik-Brücke entstehen muss. Im Gegenteil, wir verstehen uns als Plattform für Dialog und Meinungsaustausch, durchaus kontrovers, aber immer von dem Ziel geprägt, die transatlantische Partnerschaft zu stärken und nicht zu schwächen. Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik kommt es wie selten zuvor darauf an, dass Europäer und Amerikaner zu gemeinsamen Beurteilungen und Schlussfolgerungen finden. Auch dafür ist die Atlantik-Brücke eine seit Jahrzehnten erprobte und respektierte Plattform.
Die Atlantik-Brücke ist einigen Traditionen seit ihrer Gründung in den fünfziger Jahren treu geblieben. Anderes hat sich gewandelt: Die Mitgliedschaft ist vielfältiger geworden, neue Themen wie Digitalisierung und Klimaschutz werden ausführlich diskutiert, und die Atlantik-Brücke tritt bei der Kooperation mit Partnern und in der eigenen Kommunikation stärker nach außen. Welche weitere Entwicklung sehen Sie für die Atlantik-Brücke in Zukunft?
Die Atlantik-Brücke ist – wie viele andere Institutionen auch – einem ständigen Wandel ausgesetzt. Spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass ohne eine abgestimmte Finanzpolitik auf dieser Welt große Verwerfungen drohen – also sprechen wir auch über Wirtschafts- und Finanzpolitik im transatlantischen Verhältnis. Die Umwelt- und Energiepolitik ist ein ähnliches, globales Thema, zu dem weder Amerikaner noch Europäer allein Lösungen finden können. Und schließlich ist die Digitalisierung ein solches Megathema, dass wir auch hier genügend Themen für den transatlantischen Dialog finden. Die Themen bestimmen schließlich auch die Zusammensetzung unserer Mitgliedschaft sowohl für die Unternehmen als auch für die interessierten Einzelpersönlichkeiten. Wichtig ist uns schließlich, dass wir auch in der Zusammensetzung unserer Mitglieder Schritt halten mit diesen Entwicklungen. So öffnen wir uns für junge Technologieunternehmen genauso wie für jüngere Mitglieder, die etwa im Bereich der Wissenschaft und der Kunst ihren Platz sehen. Die Welt verändert sich, und wir verändern uns mit ihr – genau das ist unser Anspruch an uns selbst.