„Gemeinsames Interesse, den Airbus/Boeing-Streit schnell zu bereinigen“
Die aufgrund von Subventionen der EU und USA verhängten Strafzölle belasten Industriezweige auf beiden Seiten des Atlantiks, erklärt der Handelsexperte Berend Diekmann. Der Leiter des Referates Außenwirtschaftspolitik, Nordamerika, G8/G20, OECD im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie spricht im Interview zudem über die nach wie vor wirksamen US-Importzölle auf Stahl und Aluminium aus Europa, transatlantische Handelskooperationen jenseits von TTIP und den dringenden Reformbedarf der WTO unter deren neuen Generaldirektorin Okonjo-Iweala.
Von Robin Fehrenbach
Herr Diekmann, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation um Strafzölle der USA insbesondere gegen deutsches Werkzeug und die verhängten Gegenzölle der EU auf US-Güter im Zuge des Subventionsstreites zwischen den USA und der EU in Bezug auf Boeing und Airbus?
Die Europäische Kommission und die Bundesregierung setzen sich weiter nachdrücklich für eine einvernehmliche Lösung ein, die zu einem dauerhaften, beiderseitigen Verzicht auf Strafzölle in dieser Sache führt. Insbesondere unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Umständen sind wir der Auffassung, dass es im gegenseitigen Interesse der EU und der USA liegt, schädliche Zölle, die jeweils unsere Industrie sowie unseren Nahrungsmittel- und Agrarsektor unnötig belasten, abzuschaffen. Wir werden uns zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit der neuen US-Regierung in Verbindung setzen, um die Verhandlungen fortzusetzen und eine dauerhafte Lösung für den Streit zu finden.
Wann, schätzen Sie, werden die transatlantischen Handelsgespräche bzw. Verhandlungen wieder aufgenommen?
Bis die neue US-Regierung vollständig handlungsfähig ist, wird es noch einige Zeit dauern. Die Bildung der neuen Regierung wird nach gegenwärtiger Schätzung voraussichtlich bis mindestens Frühsommer 2021 dauern, da etwa 4.000 politische Beamte benannt werden müssen; etwa ein Viertel davon bedarf einer Senatsbestätigung. Dies betrifft insbesondere auch die für Handelsgespräche wichtigste Ministerin, die designierte US-Handelsbeauftragte Katherine Tai, die noch auf ihre Senatsbestätigung wartet. Unabhängig davon finden erste Sondierungen und informelle Gespräche aber jetzt schon statt.
Die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) liegt seit 2016 auf Eis. Mit Blick auf die öffentliche Auftragsvergabe in den USA, das Public Procurement, hat die Biden-Regierung bereits Schritte eines robusten „Buy American“-Ansatzes eingeleitet. Ergeben in dieser Situation sektorale Freihandelsverhandlungen der transatlantischen Partner mehr Sinn als ein umfassendes Abkommen?
Von einer Neuauflage von Verhandlungen für ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen geht nach den TTIP-Erfahrungen niemand realistischerweise aus. Erschwerend kommt hinzu, dass die handelspolitische Ermächtigung des Kongresses für die US-Regierung (Trade Promotion Authority, TPA) Anfang Juli ausläuft. Insofern erscheinen auf Sektoren bezogene Gespräche in der Tat deutlich zielführender. Aber auch unterhalb der Schwelle von Handelsabkommen gibt es vielfältige Möglichkeiten zur Kooperation, etwa im Bereich technischer Standards. Der von der EU-Kommission vorgeschlagene EU-US Trade and Technology Council könnte ein guter Ansatz werden.
Auch unterhalb der Schwelle von Handelsabkommen gibt es vielfältige Möglichkeiten zur Kooperation, etwa im Bereich technischer Standards.
Welche Lösungsstrategie verfolgt die Bundesrepublik im weiter bestehenden Handelskonflikt mit den USA?
Zwar dürfte die Handelspolitik zunächst keine Priorität von Präsident Biden sein, wir sehen dennoch die Möglichkeit, eine Reihe von bestehenden Problemen im gemeinsamen Interesse schnell zu bereinigen, darunter fällt unter anderem der Airbus/Boeing-Streit, die Stahl- und Aluminiumzölle sowie das Thema Digitalsteuern. Erste positive Signale haben die USA durch ihre Unterstützung bei der Benennung der neuen WTO-Generaldirektorin Okonjo-Iweala gesetzt. Weitere große Potenziale bestehen bei der WTO-Reform, regulatorischer Kooperation, Energie und Klima sowie dem Umgang mit China.
Wann werden die Strafzölle der Vereinigten Staaten auf Stahl und Aluminium aus der Europäischen Union aufgehoben?
Es ist die Haltung Deutschlands und der EU, dass die Lieferung von Waren und Dienstleistungen aus der EU in die USA grundsätzlich keine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA bedeuten kann und darf. Dies gilt ganz besonders, wenn die neue US-Regierung wieder den Schulterschluss mit ihren Verbündeten sucht, zum Beispiel mit Blick auf China. Die Biden-Administration hat sich in dieser Frage bisher noch nicht festgelegt, aber bereits angekündigt, das Thema einer umfassenden Überprüfung inklusive Konsultation der Partnerländer zu unterziehen.
Ähnlich wie im Falle von Stahl und Aluminium argumentierte die Trump-Administration, dass Automobile und Autoteile aus der EU die nationale Sicherheit der USA gefährden. Ist mit dem Amtsantritt von Präsident Biden die Gefahr höherer Einfuhrzölle auf europäische Autos grundsätzlich gebannt?
Nachdem das Thema bereits unter der Trump-Administration weitgehend an Dynamik verloren hatte, gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass es unter der Biden-Administration, die den engen Schulterschluss mit ihren Alliierten sucht, noch einmal aufleben wird.
Zum Abschluss eine grundsätzlichere Frage: An welchen Punkten benötigt die Welthandelsorganisation (WTO) substanzielle Reformen?
Die EU-Vorschläge zur Modernisierung der WTO zielen darauf, die WTO als Zentrum eines offenen und regelbasierten Handelssystems zu stärken. Ein Schlüsselthema für die WTO-Modernisierung ist deshalb die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Streitschlichtung. Zugleich muss das WTO-Regelwerk modernisiert werden, etwa zu Industriesubventionen, erzwungenen Technologietransfers oder mit Blick auf die Digitalisierung.