Guido Goldman wäre hoffnungsvoll
Vor einem Jahr, am 30. November 2020, verstarb Guido Goldman im Alter von 83 Jahren. Goldman, der mit seinen Eltern und seinem Bruder 1940 vor den Nazis aus der Schweiz in die USA geflohen war, zählte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der wichtigsten transatlantischen Brückenbauer. Goldman war Geburtshelfer vieler bedeutender europäisch-amerikanischer und deutsch-amerikanischer Institutionen.
Würde er noch leben, hätte ihn der Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung beglückt, räumt er doch dem Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika – nach den Erschütterungen der Trump-Präsidentschaft – hohe Priorität ein.
Goldman war Geburtshelfer vieler bedeutender europäisch-amerikanischer und deutsch-amerikanischer Institutionen.
Ohne Guido Goldman gäbe es heute nicht das renommierte Center for European Studies an der Universität Harvard, nicht die europäisch-amerikanische Denkfabrik German Marshall Fund of the United States und wohl auch kaum das American Institute of Contemporary German Studies an der Johns Hopkins Universität in Washington. Nicht die Kennedy- und McCloy-Stipendien oder die Förderung durch den Marshall Memorial Fund. Goldman half auch an vorderster Front mit, die Atlantik Brücke zu einem wichtigen Pfeiler der deutsch-amerikanischen Beziehungen zu machen.
Einer breiteren Öffentlichkeit war Goldman jedoch nicht bekannt. Obwohl nicht uneitel, scheute er zeitlebens die große Bühne, zog lieber Strippen im Hintergrund. Im Rampenlicht stand hingegen sein Vater Nachum Goldmann. Als Präsident des Jüdischen Weltkongresses handelte er nach 1945 mit der Adenauer-Regierung die sogenannten „Wiedergutmachungszahlungen“ an die Überlebenden des Holocaust aus. Bei den Goldmanns in New York gaben sich damals namhafte Emigranten, Politiker und Wissenschaftler, Künstler und Bankiers die Klinke in die Hand.
Doch nicht nur die Verdienste des Vaters, auch die Errungenschaften des Sohnes sind überlebensgroß. Guido Goldman, der bei seiner amerikanischen Einbürgerung das zweite „n“ im Nachnamen fallen ließ, war fest davon überzeugt, dass die liberale westliche Nachkriegsordnung, das gemeinsame Bekenntnis zu Demokratie, Menschenrechten, Freihandel und Rechtsstaatlichkeit, der beste Garant gegen autoritäre Versuchungen ist. All sein Streben galt, diese Ordnung durch ein starkes Geflecht aus Verträgen, Allianzen und Institutionen langfristig abzusichern, sozusagen möglichst dauerhaft krisenfest zu machen.
Es schmerzte Goldman darum zutiefst, dass der irrlichternde Autokrat Donald Trump die Präsidentschaftswahlen 2016 gewann und ins Weiße Haus einzog. Und es schmerzte ihn ebenso, dass auch in einigen europäischen Staaten Rechtspopulisten Wahlsiege errangen und versuchen, die liberale Ordnung mit der Abrissbirne zum Einsturz zu bringen. Das gemeinsame Wertefundament zeigt inzwischen große Risse, zwischen Warschau und Washington hat sich ein verstörender Relativismus breitgemacht, der keine Normen, keine Verbindlichkeiten und kein gefestigtes Wissen mehr respektieren will.
Umso mehr freute sich Guido Goldman, dass im November 2020 die große Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler Donald Trump von der Macht vertrieb. Den eigenen Tod bereits vor Augen äußerte Goldman die Hoffnung wie auch die Zuversicht, dass die transatlantische Achse – unter kräftiger Mithilfe der von ihm begründeten Institutionen – wieder neue Stärke und Anziehungskraft entfalten werde.
Goldman äußerte die Hoffnung, dass die transatlantische Achse wieder neue Stärke und Anziehungskraft entfalten werde.
Goldmans Wunsch scheint Gehör zu finden. Der amerikanische Präsident Joe Biden hat inzwischen die Allianz der Demokratien wiederbelebt, und die neue deutsche Ampel-Koalition wünscht sich eine besonders enge Kooperation mit den Vereinigten Staaten.
„Die transatlantische Partnerschaft und die Freundschaft mit den USA sind ein zentraler Pfeiler unseres internationalen Handelns“, steht im Koalitionsvertrag.
Man wolle die transatlantischen Beziehungen mit den USA und Kanada mit neuem Schwung versehen und gemeinsam mit der Regierung in Washington „die regelbasierte internationale Ordnung stabilisieren, autoritären Entwicklungen begegnen und in der östlichen und südlichen Nachbarschaft der EU verstärkt zusammenarbeiten“. In der Klima- und Energiepolitik wie bei der globalen Gesundheitspolitik strebe man eine „ambitionierte“ Partnerschaft an.
SPD, Grüne und FDP sagen deutlich, dass die Volksrepublik China ein Systemkonkurrent und auch das Verhältnis zu Russland schwierig sei. Darum: Das westliche Verteidigungsbündnis NATO bleibe „unverzichtbare Grundlage unserer Sicherheit“, man werde einstweilen an der nuklearen Teilhabe festhalten und sich in der China-Politik transatlantisch eng abstimmen.
Außerdem strebe man mit den USA ein neues Handelsabkommen an und werde mit der Biden-Regierung „in einen intensiven Austausch zur Förderung von Handel und Investitionen mit hohen Umwelt- und Sozialstandards“ eintreten, „um mit dem transatlantischen Wirtschaftsraum globale Standards setzen zu können“.
Diese Aussicht hätte Guido Goldman hoch erfreut. Aber auch er wusste, dass solch vollmundige Versprechen nicht mehr als Schall und Rauch sind, wenn ihnen nicht unverzüglich greifbare Taten folgen. Goldman war nicht nur ein Idealist, sondern ebenso ein in der Wolle gefärbter Realist. Und aus eigener Erfahrung wusste er nur zu genau, dass selbst bis ins Detail ausformulierte Verheißungen jederzeit von unvorhergesehenen Ereignissen überholt werden können.
Kein zweiter Koalitionsvertrag hat in den vergangenen 70 Jahren derart ausdrücklich betont, wie essentiell das westliche Bündnis ist.
Angela Merkel schien nach der Wahl von Joe Biden wenig geneigt, den Hebel umzulegen und die transatlantische Partnerschaft nach den traumatischen Trump-Jahren mit neuem Leben und neuen Ideen zu füllen. Ihrem Nachfolger Olaf Scholz und der neuen Außenministerin Annalena Baerbock fällt das offenbar leichter.
Bereits bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags hob Scholz hervor, wie wichtig ihm angesichts der unübersichtlichen Weltlage und gewaltiger politischer Herausforderungen gerade ein Schulterschluss demokratischer Staaten sei. Baerbock kennt die Vereinigten Staaten seit Langem gut, sie war schon als Austauschschülerin dort und erhielt später ein Stipendium des Marshall Memorial Fund.
Auch wenn die Ampel im grauen Regierungsalltag erst noch den Beweis antreten muss, wie ernst es ihr tatsächlich um enge transatlantische Beziehungen ist: Kein zweiter Koalitionsvertrag hat in den vergangenen 70 Jahren derart ausdrücklich betont, wie essentiell das westliche Bündnis und ebenso einvernehmliche wie intensive Abstimmungen mit Washington sind.
„Das macht zumindest Hoffnung“, würde jetzt Guido Goldman sagen.
Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. In „Die 6. Stunde“ schreibt er für die Atlantik-Brücke seine Betrachtungen über ein Land auf, das sechs Zeitzonen entfernt und uns manchmal doch sehr nahe ist: die USA. Er verfasste die Guido-Goldman-Biographie „Amerikas Mr. Germany“.
Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.
Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.