Governor Carney: Klimatragödie lässt sich abwenden
Die internationale Finanzdiplomatie befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Strukturwandels. Mit dieser zentralen These eröffnete Mark Carney, Governor der Bank of England und Vorsitzender des Financial Stability Board (FSB), die XXIV. Arthur F. Burns Memorial Lecture der Atlantik-Brücke am 22. September 2016. Nach Einführungen von Friedrich Merz, Vorsitzender der Atlantik-Brücke e.V., und Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, skizzierte Carney vor etwa 200 Mitgliedern und Gästen der Atlantik-Brücke im Museum für Kommunikation in Berlin die Risiken des Klimawandels für die Stabilität internationaler Finanzmärkte. Als Initiator einer von Repräsentanten der privaten Industrie geführten Taskforce des FSB gab Governor Carney Einblicke in die Initiativen der G20 und des FSB, mit denen während des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft die Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit internationaler Finanzmärkte so effizient wie möglich gewährleistet werden soll.
Seit dem Kollaps des Bretton-Woods-Systems gelten für Finanzmarktregulierer sowohl Mechanismen der Beobachtung und Kontrolle als auch flexible, auf aktuelle Entwicklungen hin anzupassende Prinzipien mit dem Ziel, einen Konsens für Lösungen gemeinsamer globaler Probleme zu finden, wie Governor Carney ausführte. Der markanteste Unterschied zum Regelwerk von Bretton-Woods bestehe darin, dass heute keine Sanktionen mehr verhängt würden. Der Zentralbanker wies mit Blick auf die vielen Querverbindungen und Interdependenzen zwischen Klimarisiken und Finanzmärkten auf zwei grundlegende Paradoxe hin. Das erste besagt, dass die Menschheit in der Zukunft durch Kosten belastet werden wird, die von heute lebenden Generationen verursacht werden. Diese haben zunächst keinen unmittelbaren Anreiz, daran etwas zu ändern, also in die Nachhaltigkeit von Umwelt, Klima und Märkten zu investieren. Sobald allerdings eine Klimakatastrophe eintritt, ist es für die dann betroffenen Menschen zu spät, die Ursachen dieses Negativszenarios grundlegend zu beeinflussen, und es ist ihnen kaum möglich, für die dann notwendigen Kosten aufzukommen. Dem zweiten von Governor Carney angeführten Paradox zufolge können bestimmte Erfolge systemisch gefährlich wirken. Vor allem ein zu schneller Wechsel zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft kann den sensiblen und volatilen Finanzmärkten Schaden zufügen.
„Zentralbanken müssen auf Finanzrisiken reagieren“
Aus beiden Paradoxen ergäben sich bereits heute drei konkrete Folgen, stellte Carney fest. Erstens müssten Versicherungen aufgrund der physischen Risiken des Klimawandels ihre Modellrechnungen permanent aktualisieren. Zweitens gebe es eine dringende Notwendigkeit, Regeln zur Zuverlässigkeit des Agierens von verantwortlichen Unternehmen zu implementieren. Bisher versagten Unternehmen schließlich häufig darin, klimabezogene Finanzrisiken offenzulegen. Drittens würden allen beteiligten Akteuren Kosten zur Finanzierung des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft entstehen.
Der Kanadier Carney konstatierte, dass der anstehende G20-Vorsitz Deutschlands dabei helfen könne, den grünen Finanzsektor in den Mainstream einzubinden. Auch wenn das internationale Finanzsystem nach der Wirtschaftskrise von 2007 und 2008 substanziell repariert worden sei, herrsche unter Investoren in den USA, Europa und Asien eine tiefe Risiko-Aversion. Daraus resultierten Wachstumsprobleme. Ursächliche Faktoren des schwachen Wachstums und der geringen Inflation seien der technologische Fortschritt, der demografische Wandel und der Grad an sozioökonomischer Ungleichheit. „Zentralbanken müssen also auf Klimarisiken und Finanzrisiken reagieren“, betonte der neben Bundesbank-Präsident Weidmann derzeit am längsten amtierende Zentralbanker der G7. Zwar hänge gesellschaftlicher Wohlstand nicht ursächlich vom Wirken der Zentralbanken ab, jedoch könnten sie Strukturreformen anregen. Dazu zähle zuallererst, klare politische Rahmenbedingungen für langfristige Investitionen aus dem privaten Sektor in umweltfreundliche Technologien zu setzen. Dies treffe insbesondere auf Staaten zu, die überwiegend CO2-intensive Industrien beheimateten.
Zu einer globalen Strukturreform könne sich das noch nicht vollständig ratifizierte Pariser Klima-Abkommen der UN-Konferenz COP 21 entwickeln. Dies bringe die internationale Zusammenarbeit zum Ausdruck, sich in allen Nationalstaaten an das 2-Grad-Ziel der Erderwärmung zu halten, indem die Treibhausgase reduziert werden. Carney unterstrich, dass dieser politische Rahmen jedoch noch wesentlich konkreter ausgestaltet und verstärkt werden müsse, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Klimafachleute gingen davon aus, dass die Erde sich im Jahr 2100 um 2,7 Grad erwärmt haben würde, wenn keine weiteren Maßnahmen zu denen auf der COP 21 vereinbarten getroffen und umgesetzt würden. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA schätze, dass 45 Billionen Euro investiert werden müssen, um das 2-Grad-Ziel zu realisieren. Das Abkommen hole den Zeithorizont des Zusammenhangs von Klimawandel und Finanzmarktrisiken gewissermaßen näher an die Gegenwart heran – aber auch die damit verbundenen Chancen des Wachstums bei klugen Investitionen in grüne Technologien.
Mehr als 400 Regelwerke für Transparenz-Standards
Governor Carney, der in seiner zweiten Amtszeit bei der Bank of England ist, führte weiter aus, dass im Jahr 2015 weltweit mehr als 400 Regelwerke für Transparenz-Standards klimabezogener Finanzrisiken herrschten, die auf unklaren Definitionen beruhten und nicht miteinander vergleichbar seien. Da der FSB unter anderem die langfristigen Implikationen des Klimawandels für den internationalen Finanzsektor analysiert, schuf dieser die bereits erwähnte Taskforce unter der Leitung des amerikanischen Unternehmers Michael Bloomberg. In der Taskforce engagieren sich private Investoren, Industrievertreter und Experten für Klimarisiken. Im April 2016 veröffentlichte das Gremium einen Bericht, der zu dem Schluss kommt, dass die vielen nebeneinander bestehenden Transparenz-Regime nicht anwendbar sind. Eine weitere Erkenntnis besteht darin, dass nur ein Drittel von US-Unternehmen klimabezogene Finanzrisiken offenlegt.
Drei Beobachtungen in Bezug auf die Arbeit der Taskforce seien derzeit offensichtlich, sagte Carney. Erstens besitze der Kohlenstoffdioxid-Fußabdruck von Unternehmen wenig Aussagekraft. Benötigt würden vielmehr differenzierte qualitative und quantitative Aussagen beispielsweise über das Risikomanagement eines Unternehmens. Zweitens böten Szenario-Analysen entscheidende Informationen für Investoren. Diese Berichte sollten die technologische Weiterentwicklung und Risiko-Analysen einbeziehen. Ein Investor müsse zudem genau wissen, welches Niveau an klimapolitischen Ambitionen ein Land verfolge, in dem das jeweilige Unternehmen seinen Hauptsitz habe, betonte der Governor. Drittens müssten die Risiken skalierbar und zuzuordnen sein. Danach könne die Frage beantwortet werden, wie viele Unternehmen in welcher Branche für welche Klima- und Finanzrisiken sorgen.
Für die nächsten Jahre und Jahrzehnte komme es darauf an, privates Kapital zu klimafreundlichen Investitionen zu mobilisieren, sagte Carney. Green Bonds seien bereits eine Anlagemöglichkeit. Noch aber fehlten gemeinsame und klare Rahmenbedingungen und Standards für freiwillige Transparenz-Regeln, neue Kennziffern im Berichtswesen von Unternehmen und die Harmonisierung der Green Bonds. Dieser Umbau werde am ehesten gelingen, wenn Finanzpolitiker, Märkte und Zentralbanken zusammenarbeiteten. Auf diesem Fundament lasse sich eine klima- und finanzpolitische „Tragödie“ abwenden. Dieser regelrechte „Markttest“ müsse sich in einem dynamischen Lernprozess bewähren, schloss Carney.
Die Arthur F. Burns Memorial Lecture bietet Entscheidern aus Politik und Wirtschaft ein Forum, ausführlich insbesondere über wirtschafts- und finanzpolitische Themen der transatlantischen Beziehung zu sprechen. Die Atlantik-Brücke ehrt mit ihrer traditionsreichen Vortragsreihe Arthur F. Burns, den früheren Präsidenten der Federal Reserve der Vereinigten Staaten von Amerika und US-Botschafter in Deutschland von 1981 bis 1985. Gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank hatte die Atlantik-Brücke die Arthur F. Burns Memorial Lecture 1987 ins Leben gerufen.