Interviewreihe Zukunft der NATO

Contra 2-Prozent-Ziel der NATO: Mehr Geld ist nicht gleich mehr Effizienz

SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold bei einem Truppenbesuch von Bundeswehrsoldaten im Jahr 2012.


Teil VIII unserer Serie: Rainer Arnold hält das 2-Prozent-Ziel der NATO für überschätzt. In der Interviewreihe der Atlantik-Brücke zur Zukunft des Bündnisses plädiert der langjährige verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion dafür, dass Deutschland seine Wehrausgaben vor allem qualitativ einsetzt.

Auch die gescheiterten Sondierungsgespräche über die Bildung einer Jamaika-Koalition haben sich unter anderem um das 2-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben gedreht, wie es die NATO auf ihrem Gipfel 2014 als Absichtserklärung formuliert hat. Zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt: Damit sind Griechenland und Estland mit an der Spitze der NATO-Beitragszahler, ihre Bedeutung für das Militärbündnis ist indes relativ gering. Deutschland hingegen mit seiner starken Wirtschaftskraft müsste bald mehr als 30 Milliarden Euro zusätzlich aufwenden. Sollte die Wirtschaft bei uns wieder schlechter laufen, sinken auch das BIP und damit die zwei Prozent für Militärausgaben. Dies zeigt deutlich: Das 2-Prozent-Ziel hat wenig Aussagekraft. Viel wichtiger ist es zu klären, welche Fähigkeiten die europäischen NATO-Staaten in das Bündnis einbringen sollen und welches Land in Europa diese Fähigkeiten hat. Daran sollten sich meiner Auffassung nach die Beiträge für das Bündnis ausrichten.

Die NATO ist in ihrer Bedeutung für unsere Sicherheit unverzichtbar. Die Anstrengungen der europäischen Mitglieder für die Verteidigung müssen unbestritten finanziell erhöht werden, mittlerweile sind wir auch auf einem guten Weg dahin. Aber bessere Ergebnisse erzielt das Militärbündnis nicht allein durch Mehrausgaben. Wenn es darum geht, die NATO sinnvoller zu unterstützen, dann sollte das Kriterium auf den mangelnden Fähigkeiten und nicht auf der 2-Prozent-Marke liegen. Denn die NATO hat ihre Defizite längst benannt und eine Liste mit kritischen Fähigkeiten vorgelegt. So fehlen unter anderem Aufklärungs- und Lufttransportfähigkeiten, aber auch bessere Kommunikation oder mobile Lazarette.

Der Löwenteil fließt direkt in Verpflichtungen für die NATO

Deutschland leistet einen bedeutenden Beitrag für eine glaubhafte Abschreckung, im letzten Jahr haben wir die Ausgaben für Verteidigung um 7,9 Prozent erhöht. Das sind 11 Prozent des Bundeshaushaltes. Der Löwenanteil daran fließt direkt in Verpflichtungen für die NATO. Das ist keineswegs bei allen Mitgliedern der Fall. So stellen die USA gerade mal viereinhalb Prozent ihres gigantischen Wehretats in den Dienst der anderen NATO-Staaten, circa 30 Milliarden von insgesamt rund 664 Milliarden US-Dollar. Im Gegenzug erhalten sie von den Europäern Stützpunkte, Kommunikationszentren und Lazarette, auch für Einsätze, die nicht von der NATO unterstützt werden. In Frankreich sind 24 Prozent des nationalen Verteidigungshaushalts reine Pensionszahlungen, dazu kommen noch die enorm hohen Ausgaben zur eigenen nuklearen Abschreckung. Dem Bündnis helfen diese Ausgaben wenig.

Wir können unseren Partnerländern selbstbewusst in Erinnerung rufen, wie verlässlich Deutschland bei der Bewältigung internationaler Krisen hilft. Das ist nicht nur eine quantitative Frage. Die Bundeswehr ist in vielen Einsätzen dabei, zum Teil zwar nur mit kleinen Kontingenten, die damit verbundene Logistik ist aber eine Riesenherausforderung für die derzeitige Bundeswehr. Und wir unterscheiden uns positiv von so manchem Partner in der NATO, der zwar einen Einsatz mitmacht, aber schnell wieder geht, wenn er länger dauert. Anders Deutschland, wir sind ein verlässlicher Player bei internationalen Stabilisierungsmissionen. Die Hochwertfähigkeiten, die Deutschland in das Bündnis einbringt –  MedEvac (Medizinische Evakuierung), elektronische Aufklärung, U-Boote und mehr –, sollten mehr Gewicht bekommen als das Schielen auf Zahlen und Prozente. Es wäre ein kluger Beitrag Deutschlands, sich besonders auf die teuren hochtechnologischen Fähigkeiten zu fokussieren, anstatt personalintensive Truppenteile weiter aufzubauen.

Bundeswehr-Depots werden auf Jahre hinaus unterversorgt sein

Trotzdem ist es richtig und notwendig, dass wir unsere Ausgaben für Verteidigung erhöhen. In den nächsten fünf Jahren sind Steigerungen des Etats um jeweils circa zwei Milliarden Euro jährlich notwendig, um bestehende Lücken zu füllen. Das ist das Resultat der verfehlten Reform zweier ehemaliger Unionsverteidigungsminister, durch die es der Bundeswehr seit 2008 an fast allem fehlt, an Personal, Ausrüstung und Ausstattung. Tatsächlich wird es nach der vorliegenden Planung noch Jahre dauern, bis die Depots der Bundeswehr mit Gerät, Ersatzteilen oder Munition wieder so befüllt sind, dass unsere Streitkräfte das haben, was sie eigentlich haben müssten. Zwei Milliarden Euro im Jahr nur, um die Bundeswehr so auszurüsten, wie sie der Papierform nach längst sein müsste. Die Trendwenden beim Personal und bei der Finanzierung sind der richtige Weg, allerdings geht alles viel zu langsam.

Ja, Deutschland muss mehr Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik übernehmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Erkenntnis, dass internationale Krisen und Konflikte nur vernetzt gelöst werden können. Die europäische Kommission ist mit ihren zivilen und militärischen Komponenten die prädestinierte Institution zur Konfliktbewältigung; sie verfügt über die nötigen Strukturen und Mittel. Hierin liegt die eigentliche Stärke Europas im Vergleich zur NATO.

Wenn es gelingt, zwischen NATO und EU auch politisch einen Prozess der Arbeitsteilung auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik zu organisieren und ihre enormen Möglichkeiten zur Lösung von externen Konflikten frühzeitig einzusetzen, wäre dies ein tatsächlicher Gewinn für die Sicherheit in der Welt. Die NATO als Instrument der Abschreckung und für Konflikte hoher Intensität und die EU als geeigneter Akteur bei der Stabilisierung fragiler Regionen.

Eine Lösung der vielen sicherheitspolitischen Herausforderungen allein durch die Anhebung der Verteidigungsausgaben in den NATO-Mitgliedstaaten ist dagegen kaum zu erwarten.

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