MSC: Der Westen rückt zusammen, doch es bleiben offene Fragen
Am Vorabend der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz, die – unter dem Eindruck des Ukrainekrieges – eine Demonstration westlicher Verbundenheit war, kamen rund 80 Mitglieder und prominente Gäste (darunter auch Bundespräsident a.D. Joachim Gauck) zu einem Side Event der Atlantik-Brücke zusammen. „Tackling Unconventional Risks“ war das Thema. Paul Rosen vom US-Finanzministerium und John Carlin, ehemaliger stellvertretender Generalstaatsanwalt im US-Justizministerium und als solcher zuständig für die Reaktion auf den Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021, sprachen mit der Atlantik-Brücke-Geschäftsführerin Julia Friedlander über unkonventionelle Herausforderungen für die transatlantischen Partner. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf China, Cybersicherheit und Industriepolitik – und darauf, welche Antworten die transatlantischen Partner auf diese Risiken geben können.
Im Anschluss fand das Auftakttreffen des Frauennetzwerks der Atlantik-Brücke statt; mit zwei Panels, bei denen es um einen „Reality Check“ der Prinzipien feministischer Außenpolitik ging, um die Sicherheitslage im Iran und der Region sowie die Proteste gegen das iranische Regime. Die Gesprächspartnerinnen waren Hina Rabbani Khar, ehemalige Staatsministerin im Außenministerium der islamischen Republik Pakistan, Helga Maria Schmid, Generalsekretärin der OSZE und Kristina Lunz, CEO des Centre for Feminist Foreign Policy. Pegah Ferydoni, deutsch-iranische Schauspielerin und Aktivistin, und Mina Khani, iranische Publizistin, gaben bewegende Berichte über die Situation im Iran. Ziel des Frauennetzwerks ist es, die Repräsentation von Frauen in der Atlantik-Brücke und den Austausch unter ihnen zu stärken und Diversität zu fördern.
Wir haben im Anschluss an die Sicherheitskonferenz drei Mitglieder der Atlantik-Brücke um ihre Eindrücke gebeten. Katja Gloger, Journalistin und Russlandexpertin, Anja Langenbucher, Europa-Direktorin bei der Bill & Melinda Gates Foundation, sowie der Politologe und Sicherheitsexperte Peter Neumann legen im Folgenden ihre Sicht auf die Tagung dar.
Katja Gloger, freie Journalistin und Buchautorin
In diesem Jahr moderierte ich drei Veranstaltungen auf der MSC; eine schöne Aufgabe. Und wieder einmal ging es im Bayerischen Hof um Putins Welt. Ich war bereits 2007 dabei, als er die vermeintliche Hegemonie der USA kritisierte – knapp 30 Minuten Brandrede. Schon damals zeichnete sich ab: Putins Russland würde den Westen verlassen. Und herausfordern.
Bei aller transatlantischen Solidarität – die USA sind zurück – wurde wieder einmal schmerzhaft deutlich, wie weit die Europäer entfernt sind von strategischer Souveränität. Ohne die USA und ihr commitment – politisch, finanziell und natürlich militärisch – hätte die Ukraine, dieses europäische Land, das erste Jahr des Krieges vielleicht nicht überlebt. Wo bleiben die von einigen EU-Staaten so lautstark angekündigten Panzerlieferungen?
CIA-Direktor William Burns, lange einer der Top-Diplomaten im State Department und US-Botschafter in Moskau, berichtete in seiner trocken-freundlichen Art von seinem Besuch in Moskau im November 2021, als er Putin einige US-Geheimdiensterkenntnisse über den bevorstehenden allumfassenden russischen Angriff auf die Ukraine wissen ließ. „Putin war völlig ablehnend, herablassend.“ Burns betonte aber auch: „Es mag im Moment anders aussehen. Aber die höchste Priorität der CIA ist China. Diese Herausforderung ist größer als jede andere.“
Emmanuel Macron sprach nach Olaf Scholz, auch in seiner Gestik so ganz anders als der Kanzler. Er bekräftigte die Unterstützung für die Ukraine – sie brauche eine Position der Stärke, um Verhandlungen über einen möglichen Frieden zu beginnen. Macron forderte viel mehr Engagement für die Länder des globalen Südens, eine echte solidarische Partnerschaft zwischen Nord und Süd. Es gelte, die „doppelten Standards“ zu überwinden, die Vernachlässigung des globalen Südens. „Das ist meine Top-Priorität.“ Und über den Krieg: „Wir müssen den Frieden vorbereiten. Dies ist unsere Verantwortung.“
Die offizielle iranische Delegation war nicht eingeladen, ebenso wenig wie die russische und auch nicht die AfD; dies sorgte für Gesprächsstoff. Zum ersten Mal auf dieser Konferenz debattierte das „Andere Russland“, Vertreterinnen und Vertreter der russischen Opposition; sie müssen im Exil leben. Yulia Navalnaya war gekommen, diese scheue, stille Frau, die um das Leben ihres im Straflager inhaftierten Mannes Aleksei bangt. Dazu der Leiter von Navalnys Anti-Korruptions-Stiftung; Irina Sherbakova von der mit dem Friedensnobelpreis 2022 geehrten und in Russland verbotenen NGO Memorial; auch Michail Khodorkovsky, Garry Kasparov, Zhanna Nemtsova. Auf die Zeit nach Putin hoffend, skizzierten sie Chancen auf demokratischen Wandel, manchmal klang es wie eine Utopie. Es wäre Russlands letzte große Chance. Sie erklärten sich solidarisch mit den Menschen in der Ukraine: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.“ Mit Putin kann es keinen Frieden geben, sagten sie.
So viel kluge Stimmen, so viel engagierte Politikerinnen und Politiker, Expertinnen und Experten. Und doch blieb die Ungewissheit, die große Sorge vor einem lang anhaltenden Stellungs- und Zermürbungskrieg in der Ukraine, den Eskalationsrisiken. Welche Sicherheitsgarantien will – und kann – der Westen der Ukraine geben? Waffen, Technologie, Ausbildung – eine hochgerüstete, hochmoderne ukrainische Armee als Bollwerk gegen Russland? Was ist zu verstehen unter der geforderten „strategischen Niederlage“ Russlands? Rasch wurden diese Worte in Moskau aufgegriffen; Wladimir Putin zitierte sie in seiner Rede zur Lage der Nation – als Beweis für den angeblichen „Angriff“ des Westens auf Russland. Russland aber werde sich niemals ergeben.
Und Frauen, mehr und mehr Frauen. Premierministerinnen auf der Bühne, Expertinnen in den Gesprächsrunden, Moderatorinnen. Und gleich zum Auftakt die erste Veranstaltung des Female Network der Atlantik-Brücke. Intensive Gespräche, Netzwerken bis weit nach Mitternacht. Danke.
Anja Langenbucher, Europa Direktorin der Bill & Melinda Gates Foundation
„David gegen Goliath“ – so hat der ukrainische Präsident Selenskyj in seiner Eröffnungsrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz den russischen Angriffskrieg gegen sein Land beschrieben. Dieses Sprachbild hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, weil es die große Ungleichheit ausdrückt, aber auch Hoffnung vermittelt. Ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine stand der Krieg natürlich im Zentrum der Konferenz. Ungleichheit und Hoffnung waren allerdings auch prägende Motive in den Diskussionen über die Herausforderungen des Globalen Südens.
In vielen afrikanischen Ländern müssen die Menschen zurzeit vielschichtige, sich überlappende Krisen bewältigen. Die Covid-19-Pandemie hat vielerorts Gesundheitssysteme nachhaltig geschwächt, und die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise führen zu einer dramatischen Hungerkrise. Ungleichheit befeuert immer auch Unsicherheit – es war daher wichtig, dass sich die Sicherheitskonferenz diesen Themen gewidmet hat und viele Vertreter aus dem Globalen Süden anwesend waren. Die Botschaft war klar: Die Regierungen reicher Länder dürfen in der Entwicklungszusammenarbeit nicht nachlassen. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit afrikanischen Ländern ist angesichts der vielen globalen Herausforderungen zudem mehr geboten als je zuvor. Gerade in ärmeren Ländern leiden häufig Frauen besonders stark unter den Auswirkungen globaler Krisen. Gleichzeitig wissen wir, dass Frauen das größte Potenzial haben, ihre Gesellschaften positiv voranzubringen. Umso wichtiger ist es, dass die zentrale Bedeutung von Frauen in der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik immer mehr Beachtung findet.
Für mich war es daher ein besonderer Moment, im Namen der Bill & Melinda Gates Stiftung und in Kooperation mit der Sicherheitskonferenz den Start des „Women Parliamentarians Program“ ankündigen zu dürfen. Mit diesem neuen Projekt soll ein parteiübergreifendes Netzwerk von jungen Politikerinnen aus dem Deutschen Bundestag und dem Europäischen Parlament entstehen und ihre Rolle in der internationalen Politik stärken. Die Energie und Motivation der ersten Teilnehmerinnen stimmen mich sehr hoffnungsvoll! Nur in Zusammenarbeit verschiedener Menschen können wir die großen Herausforderungen unserer Zeit angehen und für mehr Frieden und Gerechtigkeit sorgen.
Peter Neumann, Professor of Security Studies at the Department of War Studies, King’s College, London
Dies war die wichtigste Konferenz seit Jahren. Selten war transatlantische Einigkeit so entscheidend, und niemals hat die Münchner Sicherheitskonferenz eine so tragende Rolle dabei gespielt, sie herzustellen. Man konnte förmlich spüren, wie ernsthaft die Atmosphäre war. Gleichzeitig wurden andere Themen nicht vernachlässigt. Obwohl das Hauptprogramm von Russlands Krieg in der Ukraine bestimmt war, gab es viele Side Events, die sich mit Themen wie Afrika, Entwicklung, Energie und Asien beschäftigten. Das ist wichtig, denn trotz der Zentralität des Ukrainekonflikts für uns darf nicht aus dem Blick geraten, dass sich der Rest der Welt auch für andere Themen interessiert. Meiner Meinung nach war dies die wichtigste und spannendste der zwölf Sicherheitskonferenzen, an denen ich bislang teilnehmen durfte. Glückwunsch an Botschafter Heusgen für diese tolle Leistung!
Klar wurde, dass sich der Westen, zumindest für absehbare Zeit, wieder enger zusammenrauft und sich westliche Regierungen auch und gerade in Bezug auf China wieder mehr Mühe geben, gemeinsame Positionen zu formulieren. Das ist gut und richtig. Die offene Frage, die auch in München lebhaft diskutiert wurde, ist, wie man sogenannte „Fencesitters“, also traditionelle Verbündete wie etwa Indien, Saudi-Arabien oder Indonesien, die sich den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen haben, stärker an den Westen bindet. Was haben wir diesen Staaten zu bieten? Wie kommen wir zu einer neuen Ordnung, in der China (zusammen mit Russland) nicht den „globalen Süden“ repräsentiert, so wie China es momentan versucht? München hat gezeigt: Dies wird die entscheidende Herausforderung für die transatlantische Allianz und erhebliche Anstrengungen erfordern.