Trumpismus ohne Trump
Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika zeigt: Normalerweise erhalten Wahlverlierer keine zweite Chance. Und Donald Trump ist ein krachender Verlierer. Schon 2016 erhielt er rund 2,8 Millionen Stimmen weniger als die Demokratin Hillary Clinton und wurde nur wegen des eigentümlichen Wahlsystems Präsident. Zwei Jahre später verloren seine Republikaner bei den Halbzeitwahlen die Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Und vernichtend verlor Donald Trump die Präsidentschaftswahl 2020, sein Herausforderer Joe Biden bekam acht Millionen Stimmen mehr. Wider Willen und trotz heftigster Gegenwehr musste Trump die Macht abgeben.
Und doch stehen die Wetten fünfzig zu fünfzig, dass Trump 2024 noch einmal antritt – und sogar, auf welche Weise auch immer, wieder ins Weiße Haus einzieht. David Frum, wortgewaltiger Kolumnist, ehemaliger Redenschreiber des republikanischen Ex-Präsident George W. Bush und entschiedener Trump-Gegner, wettet dafür und warnt schon jetzt in einem Beitrag für das Magazin The Atlantic, man möge sich für diesen Fall warm anziehen. Andere jedoch halten dagegen, führen unter anderem Trumps hohes Alter an, seine Faulheit, die offenbar zerrüttete Ehe mit Melania – und die vielen Gerichts- und Steuerverfahren, denen er sich derzeit stellen muss.
In der Republikanischen Partei dauert die Begeisterung für Trump unvermindert an.
Trotzdem dauert in der Republikanischen Partei die Begeisterung für Trump unvermindert an. Zehntausende pilgern weiterhin zu seinen Auftritten, und seine Hasstiraden gegen Widersacher bei den Demokraten oder in den eigenen Reihen entfachen bei seinen Zuhörern immer noch gewaltige Begeisterungsstürme.
Eine nicht kleine Zahl von Republikanern denkt deshalb ernsthaft darüber nach, wie sich dieses Feuer bewahren und weiter schüren ließe, falls Trump in drei Jahren nicht noch einmal in den Ring steigt. Manche hoffen sogar darauf, sehen sie in einer erneuten Kandidatur doch das große Risiko, dass der unberechenbare Trump die Wahl erneut vermasselt. „Trumpism without Trump“ lautet darum die Losung, und Ann Coulter, eine äußerst einflussreiche, ultra-konservative Kolumnistin und ehemalige Trump-Anhängerin, posaunte sie schon im vergangenen Winter laut heraus.
Was ist Trumps Botschaft ohne den Überbringer wert?
„Trumpismus ohne Trump“? Keine ganz einfache Aufgabe, denn was ist die Botschaft ohne den Überbringer wert? Einige halten dies für eine sinnlose Strategie, für ein hoffnungsloses Unterfangen. Ihr Argument: Der Trumpismus sei als politisches Phänomen nicht größer oder gar attraktiver als Trump selbst. Denke man ihn hinweg, bleibe vom Trumpismus nichts übrig.
Doch Vorsicht, Donald Trump wurde ja 2016 nicht Präsident, weil seine Wähler ihn persönlich so toll fanden. Er war weithin unbeliebt, viele stimmten nur mit zugekniffener Nase für ihn – und nur deshalb, weil sie sich für sein Versprechen einer konservativen Revolution, für den Trumpismus begeisterten: für eine harsche Einwanderungspolitik und den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko, für Schutzzölle und eine „America first“-Politik, für die Besetzung freier Richterstellen an Bundesgerichten mit in der Wolle gefärbten konservativen Juristen, für eine drastische Aufweichung der Umweltschutzgesetze und die stärkere Förderung heimischer Kohle, heimischen Öls und Erdgases.
Viele stimmten für Trump, weil sie sich für sein Versprechen einer konservativen Revolution begeisterten.
Vor allem: Mit der Wahl von Donald Trump hofften viele Menschen gerade in den Weiten des Mittleren Westens, in ländlichen Regionen und vernachlässigten Orten wieder auf größere Anerkennung ihrer Lebensart und Denkweise. Sie, die oft noch von ihrer Hände Arbeit leben, die sonntags zur Kirche gehen und mit ihren Pickups zur Jagd fahren, fühlten sich von den Städtern in Amerikas Metropolen belächelt und zurückgesetzt. In ihren Augen hatten sich Demokraten wie auch zu viele Republikaner eilfertig dem vorherrschenden liberalen Großstadt-Sound angepasst.
Diese Beweggründe sind nicht über Nacht verschwunden – und ebenso wenig der Wunsch nach einem nationalistischen und populistischen Konservatismus, einem sogenannten Paleo-Konservativismus, der vor allem in der ersten Hälfte es 20. Jahrhunderts Konjunktur hatte. Zu dessen eher zeitgenössischen ideologischen Vätern zählt unter anderem Pat Buchanan, Katholik, 1938 geboren, Journalist, Fernseh-Kommentator und Berater der republikanischen Präsidenten Nixon, Ford und Reagan.
Trump ist jedoch Trump. Er hat sich nie mit politischer Theorie, mit Staatskunde oder gar Philosophie befasst. Trump steht für sich selbst. Aber die Markenzeichen des Buchanan-Konservativismus sind auch die des Trumpismus und haben für viele Amerikanerinnen und Amerikaner nicht an Attraktivität verloren: strenge Begrenzung des Freihandels und eine Handelspolitik, die knallharten Eigeninteressen folgt; Schluss mit der politischen Korrektheit; ebenso Schluss mit Kriegen und amerikanischem Interventionismus, aber ebenso mit liberalem Multilateralismus; Stärkung des weißen, christlichen Amerikas; Ende der illegalen Einwanderung.
Auf der Suche nach Vorbildern in Ungarn und Polen
Jene, die derzeit dem „Trumpismus ohne Trump“ das Wort reden, schauen sich gerne in der Welt nach Vorbildern um. In den mehrheitlich katholischen Ländern Polen und Ungarn glauben sie, fündig geworden zu sein. Schon Trumps ehemaliger Einflüsterer Stephen Bannon empfahl die autokratischen Regierungen dort zur Nachahmung.
Kürzlich reiste eine kleine Gruppe konservativer amerikanischer Journalisten auf ungarische Einladung nach Budapest. Mit dem Hubschrauber flog man sie über den Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Serbien, jenen von Premierminister Viktor Orbán befohlenen „christlich-europäischen Schutzwall gegen muslimische Einwanderer“. Und im Familienministerium wurden die Gäste über die Segnungen einer Politik unterrichtet, die dank großer Steuernachlässe für heimischen Nachwuchs angeblich dafür sorgt, dass wieder sehr viel mehr ungarische Kinder geboren werden.
Beschwingt kehrten die Besucher nach Washington zurück, mehr denn je davon überzeugt, dass der „Trumpismus ohne Trump“ eine leuchtende Zukunft haben könnte. Nur fehlt noch jemand an der Spitze, der die Fackel zum nächsten Wahlsieg tragen könnte.
Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. In „Die 6. Stunde“ schreibt er für die Atlantik-Brücke seine Betrachtungen über ein Land auf, das sechs Zeitzonen entfernt und uns manchmal doch sehr nahe ist: die USA.
Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.
Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.