New Bridge to the U.S.

What’s Your Theory of Change?

Bericht der ersten Kohorte des New Bridge Program to the U.S.

Verfasst von Feares Ben Hadj, Marie Künne und Polo Türk

Als erste Kohorte des New Bridge Program to the US besuchten zehn Fellows Ende September 2023 Berlin, Washington, D.C., und El Paso, Texas. In mehr als zwanzig Programmpunkten und mit weit mehr als dreißig Speaker:innen, galt es, Eindrücke zu gewinnen von den USA, als Land voller Vielfalt, Widersprüchen sowie aktuellen politischen Herausforderungen und Chancen, historischen Kontinuitäten und Brüchen.

Für die Fellows begann das New Bridge Abenteuer mitten im lebendigen Berlin, bei einem abendlichen Empfang, um in entspannter Atmosphäre die Förder:innen und Unterstützer:innen des Programms sowie sich untereinander kennenzulernen. Unter anderem konnten wir uns mit Verteter:innen der Joachim Hertz Stiftung, von ArbeiterKind.de, Netzwerk Chancen und dem Außenministerium austauschen. Nicht zuletzt war dies auch die erste Gelegenheit, die Mitreisenden der nächsten neun Tage kennenzulernen. Glücklicherweise stellte sich schnell heraus, dass hinter den beeindruckenden Lebensläufen der Teilnehmenden spannende und freundliche Menschen steckten, die allesamt voller froher Erwartung und Aufregung auf die kommenden Tage blickten. Eins war uns allen nämlich längst klar: Die bevorstehende Reise wird intensiv, lehrreich und fordernd.

Learning from the Past – Wissen, wo man herkommt

Bei der Reise geht es um ein besseres – vielmehr vielfältiges – Verständnis der Geschichte der USA und welche Bedeutung der transatlantische Dialog für Deutschland hat. Prof. Dr. Christian Lammert vom John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin übernahm die Mammutaufgabe, an nur einem Vormittag die Wissensgrundlagen hierfür bei den Teilnehmenden zu legen und aufzufrischen. Themen wie struktureller Rassismus in den USA, dessen historische Kontinuitäten und den parlamentarischen Widrigkeiten im Umgang damit, spielten eine große Rolle in diesem ersten Blick auf die USA und deren nationales Selbstverständnis. Zur komplexen Geschichte der USA gehört jedoch auch die Historie der indigenen Bevölkerung sowie die Bürgerbewegung, die der erste Schritt zur Demokratisierung des Landes war. Vor allem auch der Verweis darauf, dass strukturelle Diskriminierung immer noch Lebensrealität vieler US-Bürger:innen sei, sollte uns auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen des Landes vorbereiten. Tatsächlich sollten uns all diese Themen im sorgfältig vorbereiteten Programm in den nächsten Tagen mal deutlicher, mal subtiler begegnen.

Der Beginn unserer Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten vor Ort war ein stiller. Das erst 2016 eröffnete Museum of African American History & Culture bietet auf einem insgesamt fünf Hektar großen Areal einen eindrucksvollen Resonanzraum für Schwarze Geschichte, Schwarze Gegenwart und Zukunft. In kleinen Gruppen oder individuell versuchten wir, in zweieinhalb Stunden aufzusaugen, so viel wir konnten. Das erste gemeinsame Reflektieren in der Gruppe, das sogenannte Debrief, fand in der vom deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe entworfenen Martin Luther-King-Bibliothek statt. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Rassismus in den USA wurde uns Fellows deutlich, dass die Frage danach, wie mit diesem historischen Erbe in der Gegenwart umgegangen wird, zentral für das Verständnis aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse ist. Auch konnten wir an erinnerungspolitische Diskurse in Deutschland anknüpfen und feststellen, dass auf beiden Seiten des Atlantiks Kontinuitäten von Diskriminierung und Ausgrenzung fortwirken. Der Museumsbesuch machte deutlich: Wenn man sich auf eine tiefe Auseinandersetzung mit der gewaltvollen Geschichte der USA einlässt, dann muss auch auf die Lückenhaftigkeit von aktueller Erinnerungskultur kritisch hingewiesen werden. “Geschichte wird von denen erzählt, die an der Macht sind”, hatte Christian Lammert in seiner Einführungsveranstaltung schon festgehalten.

In einem Workshop an der prestige- und geschichtsträchtigen Howard University ging die Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart von Rassismus und struktureller Diskriminierung in den USA und in Deutschland noch weiter. Zusammen mit US- amerikanischen Alumni des Programms, sowie geleitet von einem der deutschen Fellows und Professor Justin Hansford von der Howard University, diskutierten wir, wie Anerkennung, Rechte und Reparationen für marginalisierte Personen in beiden Gesellschaften gehandhabt werden und welche Fragen sich aus dem Ist-Zustand für uns persönlich, aber auch für die Gesellschaften und den transatlantischen Dialog ergeben.

Narrating the Now – Gegenwart gestalten

In den politisch tief gespaltenen und gleichzeitig enorm diversen USA ist die Debatte rund um Minderheiten und ihre Eingliederung (oder Ausgliederung) in der Gesellschaft für uns allgegenwärtig. In Washington treffen wir Congresswoman Veronica Escobar, die El Paso vertritt. Sie ist selbst in der Grenzregion aufgewachsen und hat miterlebt, welche Herausforderungen, insbesondere die verschärfte Grenzpolitik der letzten Jahre, für das „Borderland” mit sich gebracht hat. Escobar setzt sich deshalb für die Reformation des Migrationsrechts ein und will Menschen auch über das Asylrecht hinaus rechtlich die Möglichkeit einräumen, über sichere Wege in die USA zu migrieren. Im Gespräch mit der Kongressabgeordneten wurde deutlich, dass nicht nur Migration, sondern auch regressive und autoritäre Politiken als Reaktion darauf, globale Phänomene sind, die uns sowohl in Europa als auch den USA beschäftigen.

County Judge von El Paso, Ricardo Samaniego, sowie Mauricio Ibarra Ponce de León, mexikanischer Generalkonsul in El Paso, wohnen in der texanischen Stadt. Sie setzen sich nach eigenen Angaben mit aller Macht für einen humanitären Umgang mit Migrant:innen ein. Auch lokale NGOs wie das Hope Border Institute oder das Abara House, deren beeindruckende Mitarbeiter:innen wir kennenlernen durften, setzen sich für die Einhaltung der Menschenrechte von Migrant:innen ein. Stolz berichteten uns diese vom starken Zusammenhalt der Community in El Paso und einer Stadt, die von Weltoffenheit und dem Besten vieler Kulturen lebt. Die Bewohner:innen von El Paso sind selbst zu einem großen Teil sogenannte Hispanics und hätten großes Verständnis für die vielfältigen Gründe von Migration. Gleichzeitig gehe El Paso der Platz aus, so die Vertreter der Stadt. Deshalb müssten sich Geflüchtete im Spätsommer bei knapp 40 Grad Celsius in Parks aufhalten, umringt von Polizist:innen. Wie es mit ihnen weitergeht? Unklar.

Diese Unklarheit nutzen das polarisierte Mediensystem aber auch reaktionäre politische Agitator:innen aus. Bei einem Besuch bei MSNBC zeigt sich, dass die Fernsehsender der USA ähnliche Schwierigkeiten haben wie ihre Pendants in Deutschland: Ein alterndes Publikum. Die US-amerikanische Antwort ist ein Nachrichtenprogramm, das auf deutsche Betrachtende in Teilen wirken könnte wie Vorabend-Shows. Eine gute Prise Unterhaltung, die richtigen Narrative und charismatische Anchors (Moderator:innen) ergänzen langjährige Erfahrung und das Beharren auf journalistische Standards. An diesen hält MSNBC so fest, dass sie in die steinernen Säulen des Newsrooms eingelassen sind. Wer einmal Talk Radio gehört hat, weiß auch warum. Wir hören mit eigenen Ohren, wie leicht es ist, mit Fake News in Berührung zu kommen. Von Geschichtsrevisionismus direkt übergegangen zum nächsten Werbespot. Was auf uns verstörend wirkt, scheint in diesem Radiosender ein legitimes Mittel, um Hass zu schüren. El Paso wurde 2019 trauriger Tatort eines rassistischen Shootings in einem Supermarkt. Die Schulen in Texas reagieren auf die steigende Gefahr durch Waffengewalt mit verpflichtend verschlossenen Türen. Nur ein Haupteingang ist geöffnet, Flure und Klassenzimmer können nach dem Gong nicht mehr ohne Schlüssel betreten werden. Das erklären uns Lehrkräfte der Bowie High School in einem der ärmsten Schulbezirke des Landes. 99% der Schüler:innen sind Hispanics. Ein großer Teil von ihnen lernt Englisch erst hier. Vom Schulhof ist der Grenzzaun nur wenige Meter entfernt und stets in Sichtweite. Die Herausforderungen für das öffentliche Bildungssystem in Texas erinnern uns an Probleme, die wir in anderer Dimension auch in Deutschland kennen.

What’s your Theory of Change? – Zukunft fördern

Die USA sind ein gespaltenes Land – so ein mittlerweile gängiges Bild und Narrativ auch in deutschen Medien. Was wir auf unserer Reise erlebt haben, hat uns gezeigt: Ja, es läuft ein tiefer, jahrhundertelang alter Riss durch die Gesellschaft der USA. Die rassistische Vergangenheit prägt das Land auch heute noch. Gleichzeitig haben uns der Besuch beim Millenial Action Project oder auch der Besuch in der Bowie High School jedoch auch eine ganz andere Seite der USA gezeigt: Engagierte Menschen und Demokrat:innen, die sich für eine Gesellschaft der Vielen einsetzen, die von Pluralismus und Diversität lebt. Was wir mitnehmen von dieser Reise ist also viel mehr als Eindrücke von Spaltung und Polarisierung. Vor allem sind es Eindrücke von einer Komplexität, die in wenigen Tagen kaum zu (be-)greifen ist. Eine Komplexität, die gewaltvolle einerseits und unglaublich starke und progressive Aspekte andererseits umfasst. Die älteste Demokratie der Welt, wie wir sie aus den Geschichtsbüchern kannten, hat viele Gesichter bekommen, die herausfordern und inspirieren.

Was bleibt, sind erste Ideen, Gedanken und Vorstellungen über die USA. Viel mehr, als dass wir uns ein Bild über die USA gebildet hätten, haben sich aus der Reise vor allem auch viele Fragen in Reflektion auf Deutschland und Europa ergeben. Globale Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede aufgrund von Historie und Demografie wurden deutlich. Aktuelle Herausforderungen transatlantischer Beziehungen liegen neben Aspekten einer gemeinsamen Sicherheitsbeziehung und dem Umgang mit der Klimakrise, vor allem auch in der Gestaltung demokratischer multilateraler Verhältnisse. Deutlich wurde auch, dass die Bedrohung der nationalen Demokratien durch autoritäre Bewegungen eben kein rein nationales Problem ist. Lücken in der Erinnerungskultur sowie rassistische Grenzpolitiken und ein polarisiertes Mediensystem sind Themen, die wir für den transatlantischen Dialog als drängend mitnehmen.

Was auch bleibt, ist eine große Dankbarkeit für die bewegenden Begegnungen und Eindrücke, die wir als Gruppe auf dieser Reise erleben durften. Mit Inspiration, Neugierde und Vorfreude schauen wir darauf, wo die Reise für uns nun als Alumni des New Bridge Programs hingehen wird.

Das NEW BRIDGE PROGRAM wird durch das Transatlantik-Programm der Bundesrepublik Deutschland aus Mitteln des European Recovery Program (ERP) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima- schutz (BMWK) sowie aus Mitteln des Auswärtigen Amts (AA) und der Joachim Herz Stiftung gefördert. 

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