„Ohne Vertrauen ist sehr wenig zu erreichen“
Erleben wir derzeit eine politische Wende? Ziehen sich die USA von der Bühne der Weltpolitik zurück, während Russland die Gelegenheit nutzt, seinen internationalen Einfluss auszuweiten? Diese Fragen bildeten die Grundlage für eine Podiumsdiskussion zwischen Andrew Weiss, Vice President for Studies, Russia and Eurasia Program, Carnegie Endowment for International Peace, Dr. Andrey Kortunov, Generaldirektor des Russian International Affairs Council, und Botschafter Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Katja Gloger, Autorin des STERN, moderierte den Abend, zu dem rund 80 Gäste gekommen waren. Gloger, die einige Jahre als Korrespondentin in Moskau verbracht hat und mehrere Bücher über Wladimir Putin veröffentlichte, beschrieb das derzeitige Klima zwischen Russland und den USA als eines der Konfrontation und des Misstrauens. Europa befinde sich in einer ungünstigen Lage zwischen beiden Mächten. Katja Gloger zeigte eine Reihe von Fragen auf, die sich nun stellen: Werden wir derzeit Zeugen einer neuen weltpolitischen Ära? Was sind die Risiken? Ist es möglich, dass wir die Entwicklung überschätzen?
„Ohne Vertrauen ist sehr wenig zu erreichen“
Dr. Kortunov sprach über diverse Investitionen, die Russland an verschiedenen Orten der Welt getätigt hat. Neben relativ kleinen Investitionen in Syrien, die Kortunov unter Berücksichtigung des russischen Einflusses in der Region als sehr profitabel einschätzte, nannte er auch umfangreiche Investitionen in Venezuela und in der Ukraine, die nicht unbedingt als gewinnversprechend seien. Aus seiner Sicht solle Präsident Putin abwägen, wie er seine Investitionen langfristig einsetzen kann.
Andrew Weiss betonte das Ausmaß des Misstrauens zwischen der amerikanischen und der russischen Regierung. Insbesondere kritisierte er, dass alle Kommunikationskanäle zusammengebrochen seien. Daher waren Entscheidungsträger in der Russischen Föderation für US-Beamte nicht erreichbar. Botschafter Ischinger unterstrich die Wichtigkeit einer offenen Kommunikation mit den Worten: „Ohne Vertrauen ist sehr wenig zu erreichen“. Während Ischinger nicht glaubte, dass die heutigen Beziehungen zwischen den USA und Russland mit derjenigen während des Kalten Krieges vergleichbar seien, stimmte er mit der unter Experten verbreiteten Ansicht überein, dass ein hohes Risiko einer Eskalation bestehe.
Zudem wies Ischinger darauf hin, dass sowohl Trump als auch Putin sehr unberechenbar seien. Vor diesem Hintergrund schlug er vor, dass das kurzfristige Ziel sein solle, „dafür zu sorgen, dass sich die Dinge nicht verschlechtern“. Dr. Kortunov ging noch weiter, indem er darauf hinwies: „Es reicht nicht aus, das zu erhalten, was wir haben“. Er stützte diese These auf Innovationen im Bereich der Kriegsführung und eine sich ständig verändernde internationale Machtstruktur mit China und anderen Mächten, die mehr Einfluss gewinnen.
Ein neues atomares Wettrüsten?
Kortunov ist der Meinung, dass sich die Beziehungen verschlechtern könnten. Er zitierte Experten, die glauben, dass Russland den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) verletzt hat. Sollte sich das Worst-Case-Szenario bewahrheiten und der Vertrag für ungültig erklärt werden, könne ein neues atomares Wettrüsten die Folge sein. Dies könne die internationale Sicherheit ernsthaft gefährden. Andrew Weiss stimmte zu, dass eine Verschlechterung der Lage durchaus möglich sei.
Doch die Panelisten hatten auch Hoffnung: „Internationale Diplomatie ist keine Mathematik“, so Botschafter Ischinger. „Nichts ist unmöglich“. Andrew Weiss sah in den strategischen Stabilitätsgesprächen, die im Oktober begannen, eine Chance, den Dialog wiederaufzunehmen. Strategische Stabilität wird üblicherweise als die Kombination von Krisenstabilität und Rüstungswettlaufstabilität definiert. Da weder der Kreml noch das Weiße Haus an einer Eskalation des Rüstungswettlaufs oder der Krise interessiert sind, können strategische Stabilitätsgespräche ein guter erster Schritt auf dem Weg zumDialog sein.
Was sind die nächsten Schritte?
Am Ende der Diskussion stellten sich die Podiumsteilnehmer der Frage, was getan werden kann und sollte, um die Eskalation zu stoppen. Die Gespräche zwischen Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Putin und Präsident Poroschenko über die Deeskalation des Krieges in der Ostukraine kommen laut Botschafter Ischinger nicht voran. Er wies darauf hin, dass es schwierig sei, mit Russland zu verhandeln. Dennoch sieht er das Hauptproblem im falschen Format. So sollten statt der Bundeskanzlerin die USA ihre internationale Verantwortung wahrnehmen und in die Verhandlungen eintreten. Europa, so betonte Ischinger, habe erhebliche Mengen an militärischem Potenzial und Verantwortung an die Vereinigten Staaten ausgelagert.
Die Podiumsdiskussion über die Beziehungen zwischen den USA und Russland wurde in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Osteuropastudien (DGO) und der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropäische Studien an der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt.