Per Strategie zu höherer Wettbewerbsfähigkeit
Wettbewerbsfähigkeit als fundamentale volkswirtschaftliche Eigenschaft erhält im Super-Wahljahr 2024 in Deutschland, Europa und den USA besondere Aufmerksamkeit. Diesem Themenkomplex widmete sich eine Strategy Session der Atlantik-Brücke in Kooperation mit Microsoft in Berlin.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Diskussion beschäftigten sich zunächst mit der Fragestellung, an welchen Stellschrauben für mehr Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa gedreht werden muss und was dies für das transatlantische Verhältnis bedeutet. Dr. Katrin Kamin, stellvertretende Leiterin des Forschungszentrums Trade Policy und Leiterin der Geopolitics and Economics Initiative am Kiel Institut für Weltwirtschaft, und Stefan Rouenhoff, MdB (CDU/CSU) und ordentliches Mitglied im Wirtschaftsausschuss, sprachen darüber mit Mitgliedern der Atlantik-Brücke in einer von Geschäftsführerin Julia Friedlander moderierten Diskussion unter der Chatham-House-Regel. Als ersten Schritt gelte es, die Schlüsseltechnologien der Digitalisierung in der Bundesrepublik und in der Europäischen Union voranzutreiben, das bedeute, auch ein grundlegendes Verständnis darüber in der Gesellschaft zu entwickeln und die Aufmerksamkeit der Politik zu haben. Daneben müsse ein Austausch zwischen Politik und Wirtschaft über die langfristige Strategie zur Wettbewerbsfähigkeit stattfinden, und zwar entlang der Bedarfe wie etwa Investitionen in kritische Rohstoffe und in Forschung und Entwicklung von Halbleitern.
Solche Vorhaben umzusetzen, dürfte zunehmend herausfordernd werden. Denn strategische Handelspartner wie die USA würden durch ihre Wirtschafts- und Industriepolitik immer schwieriger für Deutschland und Europa. Der Umgang mit anderen Handelspartnern wie beispielsweise Indien sei indes nicht weniger schwierig und müsse geklärt werden. Nötig sei eine breit angelegte handels- und investitionspolitische Strategie. Initiativen wie der Handels- und Technologierat der USA und EU (TTC) sollten auch mit anderen Staaten zum Tragen kommen; der TTC könne jedoch kein Ersatz für ein Freihandelsabkommen wie die nicht realisierte transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sein. Zwingend erforderlich seien darüber hinaus in Deutschland ein reformiertes Bildungssystem und in Europa Bemühungen, die Demokratie zu stärken. Unternehmen in demokratischen Marktwirtschaften seien resilienter als etwa stark subventionierte staatseigene Betriebe in China. Auf lange bestehende Allianzen – wie vor allem mit den Vereinigten Staaten – könnten sich Deutschland und Europa nicht verlassen. Beide müssten sich auf Import-Zölle von 10 Prozent auf europäische Produkte und einen Handelsstreit einstellen, sollte Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten gewählt werden. Die Runde war sich einig, dass dies Implikationen für die europäische Sicherheitsarchitektur mit Rückkopplungen für die Wirtschaft und das Investitionsklima mit sich bringen würde.
Deutschland hat seine Rahmenbedingungen vernachlässigt
Die enorm herausfordernde Wirtschaftslage habe Deutschlands mangelnde Wettbewerbsfähigkeit deutlich gemacht: 2023 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent. 2024 rechnen führende Forschungsinstitute mit einem Wachstum von nur 0,1 Prozent. Der Kapitalabfluss aus Deutschland betrug 2022 dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge 125 Milliarden Euro. Ursächlich dafür seien nicht nur externe Faktoren wie Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Corona-Pandemie, sondern vernachlässigte Rahmenbedingungen: Planungs- und Genehmigungsverfahren sollten einfacher und schneller werden, Bürokratie sollte abgebaut werden. Im Gegensatz dazu trieben die USA vor allem mit dem Inflation Reduction Act (IRA) eine Re-Industrialisierung voran. Unternehmen kämen mit den passenden Vorhaben in der Forschung, Entwicklung und Produktion in Hochtechnologie-Sektoren und im Bereich der erneuerbaren Energien schnell in den Genuss steuerlicher Erleichterung. Dies sei ein prominentes Beispiel für neu geschaffene Wettbewerbsfähigkeit.
Die Wirtschaftspolitiken von Präsident Biden und seinem Vorgänger Trump unterschieden sich nur punktuell, betonten sämtliche Sprecherinnen und Sprecher. Die US-Zölle auf Stahl und Aluminium aus Europa seinen lediglich ausgesetzt, ebenso wie die Tarife im Subventionsstreit um die Flugzeugbauer Boeing und Airbus. Unabhängig vom nächsten Präsidenten der USA werde es für Europa in der Wettbewerbspolitik nicht einfacher. Dies hänge auch damit zusammen, dass die Vereinigten Staaten in China mit seinem nicht marktkonformen Verhalten den großen Systemrivalen sehen. Sowohl die Demokratische als auch die Republikanische Partei tragen diese Position mit. Dies gelte etwa für das Screening von Auslandsinvestitionen und Zölle im Hochtechnologiebereich. Die viel stärker auf Export orientierte deutsche und europäische Wirtschaft habe anders gelagerte Interessen in Bezug auf China als die USA. Dennoch gebe es Schnittmengen, wie sich etwa an dem gelungenen Antisubventionsinstrument zeige. Insbesondere Deutschland habe sich industriepolitisch sehr spät mit der problematischen Rolle Chinas auseinandergesetzt.
Die EU hat lange Zeit nicht geostrategisch gedacht
In der anschließenden Frage- und Antwort-Runde hielt die Gruppe fest, dass das Prinzip Wandel durch Handel längst nicht das Ergebnis erzielt habe, wie es sich Deutschland und Europa erhofft hatten. Lange habe die Annahme bestanden, dass demokratisch verfasste Marktwirtschaften gegenüber staatskapitalistischen Systemen überlegen seien. Wandel durch Handel habe in autokratischen Staaten wie Russland und China versagt. Gerade die Volksrepublik habe die Grundregeln der Welthandelsorganisation (WTO) systematisch und strategisch von innen ausgehöhlt. Nun müssten Deutschland und die EU eine Politik des De-Riskings verfolgen, um zu einem Marktumfeld mit einheitlichen Wettbewerbsbedingungen zu kommen. Inzwischen produzierten Unternehmen in fragmentierten Märkten nach dem Muster „local for local“. In Bezug auf das De-Risking müsse in beide Richtungen gedacht werden, zum einen in ein Re-Shoring der Lieferketten und Absatzmärkte. Zum anderen sollten alle westlichen Partner Chinas empfindliche handelspolitische Abhängigkeiten von ihnen aufrechterhalten. Während sich die USA lange mit einer eng verknüpften Wirtschafts- und Sicherheitspolitik auf Chinas Erstarken vorbereitet hätten, habe die EU zu lange nicht geostrategisch gedacht und gehandelt. Alle relevanten Szenarien zeigten jedenfalls, dass ein De-Coupling westlicher Staaten von China keinen Lösungsansatz darstelle, da dieses sehr kostspielig für alle drei Blöcke wäre, also für die USA, EU und China.
Für eine höhere Wettbewerbsfähigkeit in Europa sei außerdem eine Strategie für Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI) erforderlich, um konkrete industriepolitische Bausteine zu koordinieren. So sei die EU etwa im Bereich der Cyberabwehr und der Cloud-Dienste abhängig von den USA und China. Der Bedarf sei gewaltig: Ein Drittel aller Cyberangriffe weltweit finde in Europa statt, und zwei Drittel der Cyberangriffe in Deutschland richteten sich gegen die kritische Infrastruktur. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten dringend eine KI-Kompetenz aufbauen – im Sinne einer höheren Wettbewerbsfähigkeit.
Reformen versäumt und zu wenig investiert
Ein Kommentar von Robin Fehrenbach
Deutschlands wirtschaftliche Misere ist offensichtlich. Nach einer Rezession im vergangenen Jahr bewegt sich das Wachstum der größten Volkswirtschaft Europas in 2024 entlang der Null-Linie. Der Abfluss von ausländischen Direktinvestitionen bewegt sich im dreistelligen Milliardenbereich, im Standort-Ranking der OECD hat die Bundesrepublik etliche Plätze eingebüßt. Diese Ergebnisse spiegeln in erster Linie mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit wider. Deutschland hat sich auf seinen ökonomischen Erfolgen aus den ersten zwei Jahrzehnten des neuen Jahrtausends ausgeruht, Reformen in der Bildungspolitik versäumt und zu wenig in Forschung, Entwicklung und Produktion in der digitalisierten Hochtechnologie investiert. Ein langer Kraftakt von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird nötig sein, um die Bundesrepublik wieder wettbewerbsfähiger zu machen.
Dazu braucht es in einer globalisierten Welt aber Partner und in einer multipolaren Ordnung Strategien für Konkurrenten. Deutschland und Europa können sicherlich vom Inflation Reduction Act der USA lernen, wie man mit groß angelegten Subventionen bestimmte Industriezweige konsequent fördert. Viel wichtiger als ein reines Nachahmen dieser Politik ist aber für die EU mit ihrem starken Binnenmarkt, Handelspartnerschaften auszubauen. Der TTC ist dazu ein wichtiges Gremium, um internationale Standards in bestimmten Bereichen der Spitzentechnologie zu setzen. Mit Blick auf die Herausforderung durch China gilt es für Europa, so viel wirtschaftliche Zusammenarbeit wie möglich aufrechtzuerhalten und die Verwundbarkeiten zu minimieren.