Außen- und Sicherheitspolitik

Platzt der Deal oder fällt das Regime?

Iran geht unruhigen Zeiten entgegen, die transatlantischen Beziehungen ebenso
Platzt der Deal oder fällt das Regime? Cornelius Adebahr bei einer Veranstaltung der Atlantik-Brücke. Foto: Atlantik-Brücke

von Cornelius Adebahr, Non-Resident Fellow, Carnegie Europe

Die landesweiten Proteste ‚zwischen den Jahren’ überraschten iranische Offizielle ebenso wie ausländische Beobachter: Zu einem Zeitpunkt erstarkter regionaler Dominanz Irans, die wiederum eine Konfrontation mit den Vereinigten Staaten heraufbeschwor, entlud sich in den Provinzen des Landes der aufgestaute Frust der Bevölkerung. Dass es gerade die einfache Bevölkerung war, die Slogans gegen das Regime skandierte und staatliche Einrichtungen angriff, traf die Islamische Republik ins Mark. Gleichzeitig bleibt die Zukunft des Atomabkom­mens ungewiss. Die US-Regierung lehnt den „Deal“ ab und droht, ihn binnen vier Monaten zu kündigen, sollten die Europäer sich nicht ihrem härteren Kurs gegenüber Iran anschließen. Fast vierzig Jahre nach der Islamischen Revolution steht nicht nur das dortige Regime vor einer Zerreißprobe, sondern auch die europäisch-amerikanische Politik gegenüber Teheran.

Am Ende hieß es Galgenfrist statt Todesstoß: Widerwillig verlängerte US-Präsident Donald Trump am 12. Januar die im Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) vom Juli 2015 vereinbarte Aussetzung wichtiger US-Sanktionen um weitere 120 Tage. Im selben Atemzug stellte er den europäischen Verbündeten ein Ultimatum: Sollten diese nicht gemeinsam mit den Amerikanern gegen Irans „bösartige Aktivitäten“ vorgehen, werde er den Deal im Frühjahr aufkündigen. Konkret erwartet er Maßnahmen gegen die Revolutionsgarden des Landes, dessen Unterstützung für die libanesische Hisbollah-Miliz sowie das iranische Raketenprogramm. Nur so ließen sich die „verhängnisvollen Fehler“ des Deals beseitigen.

Aus seiner Ablehnung des iranischen Regimes im Allgemeinen und des Atomdeals im Besonderen hat Trump nie einen Hehl gemacht. Schon mit seiner ersten Auslandsreise im Mai 2017 hatte er begonnen, eine arabisch-israelisch-amerikanische Koalition gegen das Land zu schmieden. Zuletzt erklärte er Teheran in der Mitte Dezember verabschiedeten Nationalen Sicherheitsstrategie zum Hauptfeind der USA im Nahen Osten. Nun stellte er sich voll hinter die iranischen Demonstranten: Sein Ruf nach Wandel („time for change“) klingt ganz nach dem vor fast 15 Jahren im benachbarten Irak umgesetzten regime change.

Die Europäer hingegen trennen zwischen dem JCPOA, das sie bewahren wollen, weil es Iran den Weg zur Bombe versperrt, und der – auch für sie schwer erträglichen – Regionalpolitik des Landes. Für sie ist Teheran ein Schlüsselakteur im Nahen Osten, den es aktiv einzubinden und nicht zu isolieren gilt. Daher zielt die EU darauf, das Land durch wirtschaftlichen Austausch zu öffnen und es in mögliche regionale Konfliktlösungen zu involvieren. Sie sehen in der als gemäßigt geltenden Regierung von Präsident Hassan Rouhani die Möglichkeit für graduellen Wandel im Land. Entsprechend zurückhaltend reagierten die Europäer auf die am 28. Dezember 2017 einsetzenden Unruhen.

Das einseitige Infragestellen des Deals durch die USA untergräbt die Position des Westens.

Unabhängig von den Differenzen über die aktuellen Unruhen in Iran untergräbt jedoch das einseitige Infragestellen des Deals durch die USA die Position des Westens (Frankreich, Deutschland, Großbritannien – die E3 – und die EU sowie die Vereinigten Staaten) gegenüber den anderen JCPOA-Unterzeichnern (China, Russland und Iran selbst). Denn Washington vermischt wissentlich die im Abkommen getroffenen Vereinbarungen – grob gesagt: substanzielle Beschränkung und Überwachung des iranischen Atomprogramms gegen Aufhebung oder Suspendierung internationaler Wirtschaftssanktionen – mit Irans wachsender regionaler Machtposition, die es zurückdrängen will.

Gleichwohl wird umgekehrt ein Schuh daraus: Sollten die USA den Deal aufkündigen, an den sich Teheran laut der mit der Überwachung des Abkommens betrauten Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) bislang hält, wäre nicht nur die Nuklearfrage wieder offen. Auch hätten die iranischen Hardliner angesichts der Proteste im eigenen Land einen weiteren Grund, die inneren Reihen mit Gewalt zu schließen. Weitere Fortschritte Teherans in seinem zivilen Atomprogramm wären nunmehr wohl nur militärisch zu verhindern, mit unberechenbaren Folgen für die gesamte Region. Schließlich wäre die Glaubwürdigkeit der internationalen Diplomatie insgesamt stark untergraben, mit Konsequenzen für andere Konflikte wie den um Nordkorea oder die globale Rivalität mit China und Russland.

Was kann die EU als Hauptvermittler des Abkommens in dieser Situation tun? Die Europäer suchten bisher einen Weg, die USA vom Aufkündigen des Deals abzuhalten, ohne die angestrebten guten – auch wirtschaftlichen – Beziehungen zu Iran zu gefährden. Dies forderte bereits vor Beginn der Proteste und der neuerlichen Erklärung des Präsidenten eine noch zu erbringende diplomatische Meisterleistung. Doch bislang galt, dass die Beziehungen zwischen der EU und Iran nicht wichtig genug sind, um in einer Zeit der globalen Unsicherheit die (weitere) transatlantische Entfremdung zu riskieren.

Nun haben die USA mit ihrem Ultimatum den Einsatz erhöht: Die von ihnen geforderten Maßnahmen würden nicht nur die begrenzt-partnerschaftlichen Beziehungen der Europäer mit den Iranern unmöglich machen. Sie verstießen auch gegen die expliziten Bestimmungen des JCPOA (und nicht bloß dessen „Geist“, wie Trump es Teheran seinerseits vorwirft). Der öffentliche Charakter der Ankündigung des US-Präsidenten wiederum stellt ein besonderes Dilemma dar, da etwaige zukünftige europäische Maßnahmen nicht als in sich selbst begründet, sondern als bloßes Einknicken vor den Amerikanern gewertet würden.

Mit den Folgen eines im Chaos versinkenden Iran wären die Europäer konfrontiert, nicht die USA.

Somit könnte sich aus Sicht der EU die Frage bald umgekehrt stellen: Was nützt ihre Bereitschaft zum Kompromiss, wenn Washington die transatlantische Partnerschaft als solche in Frage stellt? Denn angesichts der Proteste in Iran zeigt sich erneut das Prinzip „America First“, ergänzt um „Trump First“: Die jahrzehntelange Feindschaft seines Landes gegenüber der Islamischen Republik sowie sein Bestreben, die Erfolge seines Vorgängers auszulöschen, machen den Präsidenten immun gegen die zu erwartenden Folgen eines erwartbar blutigen Umsturzes in Teheran. Kein Zweifel, mit den Folgen eines im Chaos versinkenden Iran wären die Europäer konfrontiert, nicht die USA – dafür sorgt neben der Geographie auch der anti-muslimische Einreisestopp, mit dem sich Trump die „great Iranian people“ – so sein Tweet zur Unterstützung der Demonstranten – aus dem Land hält.

Der Streit um die richtige Iranpolitik ist also weit über den eigentlichen Gegenstand hinaus ein sehr greifbares – und höchst gefährliches – Symptom für ein Auseinanderdriften der traditionellen Verbündeten.

Dr. Cornelius Adebahr ist selbständiger politischer Analyst und Berater. Er ist Non-resident Fellow bei Carnegie Europe in Brüssel, Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Fellow an der Hertie School of Governance, beide in Berlin. Er ist der Autor von „Europe and Iran: The Nuclear Deal and Beyond“ (Routledge 2017); zuletzt erschien von ihm „Im Iran: Wo Weltpolitik auf Menschen trifft“ (Culturbooks 2017). Kontakt zum Autor: CAdebahr@ceip.org.

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