Röttgen: „Sanktionen darf man niemals gegen Partner einsetzen“
Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, übt Kritik an der jüngsten Eskalation des US-Senats gegen Nord Stream 2. Im Interview erklärt er zudem seine Vorbehalte gegen Huawei beim Ausbau des 5G-Netzes.
Interview: David Deißner
Herr Röttgen, der US-Senat dreht weiter an der Sanktionsspirale gegenüber Nord Stream 2, und auch der Fall Nawalny wirft neues Licht auf das Projekt. Was ist dran an der Kritik der Amerikaner und wie steht es um Nord Stream 2?
Die Kritik der Amerikaner teile ich aus einer europäischen Sicht. Ich glaube, dass dieses Projekt allem widerspricht, was wir energiepolitisch beschlossen haben: Diversifizierung statt Steigerung von einseitigen Bezügen. Es wiederspricht der Einschätzung unserer östlichen Nachbarn wie der Polen und der Balten, dass dies eine Frage ihrer nationalen Sicherheit sei. Es wiederspricht darüber hinaus unserer Ukraine-Politik. Das ist seit langem meine Kritik, die inhaltlich so in den USA geteilt wird.
Hinzu kommt nun der brutale und menschenverachtende Giftanschlag auf den Oppositionellen Nawalny als weiteres Argument gegen Nord Stream 2. Wenn die Gaspipeline vor diesem Hintergrund trotzdem fertiggestellt wird, dann wäre das die maximale Bestätigung für Putin, genauso weiter zu machen wie bisher. Ich plädiere daher dafür, dass die EU gemeinsam beschließt, Nord Stream 2 zu stoppen. Das muss unsere Entscheidung sein und darf nicht auf Druck der Amerikaner passieren. Denn hier ist meine Meinung genauso klar: Wir müssen in Deutschland und Europa selbstbestimmt über unsere Energiepolitik entscheiden. Sanktionen sind ein Instrument, das man gegenüber Gegnern erwägen kann, aber niemals gegen Partner und Freunde einsetzen darf.
Die Sanktionen könnten sich auch gegen deutsche Behördenvertreter richten. Die Bundesregierung hat das Vorgehen als völkerrechtswidrig verurteilt. Was wären denn jetzt konkrete Maßnahmen von deutscher Seite, um sich gegen diese Sanktionen zu wehren?
Vorweg muss man einen Punkt klarstellen: Der Hafen in Sassnitz, der aktuell in die Diskussion geraten ist, unterliegt keiner amerikanischen Sanktion. Hier liegt lediglich ein Schreiben von drei republikanischen Senatoren vor. Das ist immer noch ein substanzieller Unterschied, den es zu beachten gilt.
Es wäre eine neue Qualität, wenn sich US-Sanktionen gegen den deutschen Staat – und sei es auch nur in Form einer einzigen Kommune – richten würden. Bisher geht es um Sanktionen, die sich an Unternehmen richten. Aber auch das kann nicht die Basis für unsere transatlantische Zusammenarbeit sein.
Wie geht es jetzt weiter, welches Szenario halten Sie für realistisch? Wird das ganze Projekt mit Milliarden Verlusten eingestellt, gibt es doch noch einen politischen Kompromiss oder gar eine Befriedung dieses Konflikts?
Ich sehe keinen Kompromiss, übrigens auch dann nicht, wenn es zu einem Wechsel im Weißen Haus kommen sollte. Die amerikanische Position wird sich nicht ändern. Darum gibt es an der Stelle auch keine Befriedung. Es bleibt die Frage, ob Gazprom technisch in der Lage ist, die letzte Strecke ohne ausländische Unternehmen selber zu verlegen. Da habe ich Zweifel. Eine Verzögerung geht damit ganz sicher einher, ob es aber unmöglich ist, weiß ich nicht.
Nicht minder belastend für das transatlantische Verhältnis wirkt sich die Debatte über Huaweis Rolle im Aufbau des 5G-Netzes aus. Westliche Demokratien befürchten, dass Huawei im Auftrag der Kommunistischen Partei über diese Technologie Spionage und Sabotage betreiben könnte. Sie sind ja bekanntlich ein dezidierter Gegner der Beteiligung Huaweis in Deutschland, weil es hier um politische Prinzipien geht. Können Sie das einmal ausführen?
Meine erste Aussage ist eine positive. Es ist in unserem Interesse, das digitale Nervensystem in Europa europäisch zu gestalten. Wir können es. Es gibt mit Ericsson und Nokia europäische Firmen, die international einen vergleichbaren Marktanteil wie Huawei haben.
Die Netzbetreiber in Deutschland halten dem entgegen, dass wir dann sehr viel Zeit verlieren beim Netzausbau.
Es gibt Staaten, die bereits ohne Huawei 5G ausbauen und trotzdem weiter sind als wir. Es geht also. Darüber hinaus muss es unser wirtschaftspolitisches Interesse sein, dass wir diese strategische Technologie in unserem großen und attraktiven Heimatmarkt industriell anwenden können. Der Zugang von ausländischen Unternehmen soll nach allgemeinen Regelungen stattfinden. Solche Unternehmen dürfen den Einfluss, den sie in unserem Land erringen würden, nicht in den Dienst eines ausländischen Staates stellen, noch dazu eines nicht-demokratischen, autoritären Regimes. Das liegt im Wiederspruch zu unseren nationalen Sicherheitsinteressen.
Sie haben bei „Hart aber fair“ sinngemäß mit Böckenförde argumentiert, dass die liberale freiheitliche Demokratie auf Grundlagen fußt, die sie selber nicht schaffen kann und dass Sie diese Fundamente der Demokratie und ihrer Funktionsfähigkeit in den USA derzeit bedroht sehen, weil mit Spaltung und Polarisierung aktiv Politik gemacht wird. Sind sie mit Blick sowohl auf die USA als auch auf Deutschland besorgt, dass die Basis der Demokratie im sittlichen Sinne gerade erodiert und in Gefahr gerät?
In Deutschland sehe ich das überhaupt nicht. In den USA sind die demokratischen Lebensgrundlagen bereits angegriffen, hier kommt man langsam an die Böckenfördische Schwelle heran. Man muss sich klar machen, dass Demokratie nicht nur im Vollzug von Verfahren besteht, sondern gesellschaftliche und diskursive Prämissen hat. Wenn sich Hass festfrisst und sozusagen Teil der Verfassung einer Gesellschaft wird, dann untergräbt das die Möglichkeit von gelebter Demokratie. Die Spaltung, der Antagonismus, auch der Hass im amerikanischen politischen System haben nicht mit Trump begonnen. Das hat schon einige Jahre zuvor begonnen, und das halte ich wirklich für lebensgefährlich. Im Übrigen unterminiert eine solche Polarisierung auch jede Möglichkeit, eine internationale Führungsrolle wahrzunehmen.