Außen- und Sicherheitspolitik

Großmachtambitionen und gesellschaftliche Opposition in Russland

Diskussion mit Katja Gloger, Journalistin und Autorin, und Mikhail Zygar, Founding Editor-in Chief, Dozhd

 

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der ganzen Welt die russischen Großmachtansprüche deutlich vor Augen geführt und jegliche zuvor gehegten Illusionen über die Intentionen Wladimir Putins zerstört. In einer digitalen Diskussionsrunde mit der Journalistin und Autorin Katja Gloger, die frühere langjährige Korrespondentin des Magazins Stern in Moskau, und dem Journalisten Mikhail Zygar, Gründer und Chefredakteur des einzigen unabhängigen russischen Fernsehsenders Dozhd, wurde insbesondere über aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Russland gesprochen. Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Peter Eitel, Leiter Außen- und Sicherheitspolitik bei der Atlantik-Brücke.

Katja Gloger argumentierte, dass sich Anzeichen eines Wandels in der politischen Ausrichtung Putins vor allem seit seiner Wiederwahl zum russischen Präsidenten im Jahr 2012 beobachten ließen. Im Nachgang der Wahl nahmen die Repressionen gegen kritische Stimmen stark zu. Außerdem wandelte sich Putins Narrativ über Russland deutlich: Vermehrt bediente er sich einer populistischen Argumentation, die das russische Volk ethnisch bestimmte und so auch viele Menschen außerhalb des Staatsgebietes als Russen definierte. Sein nuklear aufgerüstetes, orthodox geprägtes Russland präsentierte Putin zunehmend als Gegenspieler westlicher Staaten und Werte. Damit einher geht auch ein verklärter Blick auf die Geschichte. Eine bedeutsame Rolle spielt dabei die als heroisch interpretierte sowjetische Beteiligung am Zweiten Weltkrieg; dabei werden die historischen Fakten nach Putins Gutdünken manipuliert. Die Gefahren, die dieses neue Selbstverständnis Russlands mit sich bringe, seien von der westlichen Welt zu lange unterschätzt worden, so Gloger.

Mikhail Zygar beschrieb die veränderte Einstellung Putins gegenüber dem russischen Volk: Während er sich zunächst besonders auf die Unterstützung der russischen Mittelschicht verlassen konnte, fühlte er sich verraten, als diese einen Großteil der Demonstrierenden bei den Protesten nach der Präsidentschaftswahl 2012 ausmachte. Er begann, sich stärker auf die Arbeiterklasse als neue Zielgruppe zu konzentrieren. Zygar zeichnete das Bild einer stark polarisierten russischen Gesellschaft. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Generationen sei hier maßgeblich. Die jüngere, digital affine Bevölkerung stehe dem Angriff auf die Ukraine ablehnend gegenüber, so der Journalist. Dies zeige auch die Tatsache, dass zahlreiche Russinnen und Russen inzwischen das Land verlassen haben. Die ältere Generation sei hingegen deutlich stärker durch die staatlichen Medien beeinflusst und stehe zu einem Großteil hinter dem Autokraten. Große Teile der russischen Bevölkerung mittleren Alters haben eine grundsätzlich ablehnende, zynische Haltung gegenüber jeglichen Medien. Sie stehen dem Krieg neutral gegenüber.

Bezüglich der umfangreichen Sanktionen gegen Russland betonte Katja Gloger, es müsse sichergestellt werden, dass Güter für die Grundbedürfnisse wie Arzneimittel und Lebensmittel in Russland verfügbar bleiben. Der Westen dürfe nicht den Fehler machen, die russische Bevölkerung mit Putins Regime gleichzusetzen.

Eine Eskalation des Konflikts hielten sowohl Gloger als auch Zygar für unwahrscheinlich. Gloger verwies auf aktuelle US-Geheimdienst-Informationen, die nahelegen, dass es momentan keine Vorbereitungen für den Einsatz von Nuklearwaffen auf russischer Seite gebe. Putin könne sich ferner nicht sicher sein, ob die Anordnung eines Nuklearschlages von den zuständigen russischen Offizieren befolgt werden würde, und schrecke daher davor zurück, ergänzte Mikhail Zygar.

 

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