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Selbst verschuldet

Selbst verschuldet

Die Börsenturbulenzen vom August zeigen, wie wenig sich Volkswirtschaften steuern lassen – von Roman Pletter, stellvertretender Ressortleiter Wirtschaft, DIE ZEIT

Als die an den Börsen der Welt gehandelten Unternehmen an einem Montag im August Hunderte Milliarden Euro an Wert verloren, war Paul Krugmans Kolumne schon gedruckt. Die Weltwirtschaft musste sich deshalb zunächst ohne den Rat des US‐ Ökonomen erholen, der sie sonst zweimal die Woche mit Beiträgen in der New York Times aufrichtet. Meistens ist die deutsche Regierung daran schuld, wenn ihm das nicht vollständig gelingt. Immer ist sie gegen die von Krugman geforderten Schulden und Staatsausgaben, um den Euro und die Welt zu retten. Krugman macht das ganz fertig. Schließlich hat er einen Nobelpreis, und die deutschen Politiker haben keinen. Den ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück nannte er schon einen „Holzkopf“, die deutsche Regierung zieh er der „Rachsucht“ gegenüber Griechenland.

Krugman weiß sich unterstützt von einem Heer einflussreicher Publizisten, die in der internationalen Finanzpresse gegen den teutonischen Sparwahn anschreiben. Die Ereignisse an den Börsen vom Montag werfen nun aber Fragen auf. Es könnte nämlich sein, dass die deutsche Regierung etwas weniger holzköpfig ist als unterstellt.

Die jüngsten Kurseinbrüche schreiben die Krisen der vergangenen Jahre in Europa und Amerika fort, die allesamt die Überschuldung von Banken, Haushalten und Staaten zur Ursache hatten. Seitdem gibt es sogenannte Rettungspakete. Teilweise retten Staaten Banken, teilweise investieren sie in Infrastruktur, um Arbeit zu schaffen. Außerdem haben die Zentralbanken in Europa und Amerika die Zinsen auf nahe null Prozent gesenkt, auf dass die Unternehmen wieder investieren und Leute einstellen. In Europa haben Zentralbankalchemisten zudem das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenpresse bis an die Grenze des Erlaubten ausgereizt.

Kurz gesagt: Mehr Keynes war nie, oder was die Ökonomen um Krugman eben als Lehre des John Maynard Keynes interpretieren. Die Weltwirtschaft erholte sich aber nicht. Der einzig mögliche Grund aus Sicht der Krugman‐Keynesianer: Immer noch zu wenig Keynes! Die Lösung: Mehr Schulden, mehr Staatsausgaben, ihr Holzköpfe!

Die jüngsten Börsenereignisse lassen nun aber auch andere Schlüsse zu. Die keynesianischen Rettungsprogramme haben ein System der Fraglität geschaffen. Es reichte schon ein bisschen kalter Wind aus Fernost, damit es wackelt.

Die chinesische Wirtschaftsleistung wächst weniger schnell als erwartet, und die Kurse chinesischer Unternehmen brechen ein. Außerdem gehen die Exporte aus Industriestaaten nach China ebenso zurück wie jene von Rohstoffen aus Schwellenländern, jenen Staaten, die seit 2001 mehr als die Hälfte zum Weltwirtschaftswachstum beitrugen. Dadurch haben sich überall auf der Welt die Aussichten für Unternehmen verschlechtert und damit auch die für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Die roten Kurstafeln zu Beginn der Woche spiegelten diese Entwicklungen.

Die Zentralbanken können nicht mehr helfen – und sie schaffen neue Gefahren

Vor allem aber herrscht Unsicherheit darüber, wie Staaten reagieren können, falls alles noch schlimmer wird. Der Schuldenstand der Welt ist zwischen 2007 und 2014 von 141 auf 199 Billionen Dollar gestiegen, auch wegen der Rettungsprogramme. Es dürfte deshalb schwieriger werden, noch einmal mit staatlichen Ausgaben zu helfen. Die Zentralbanken können zudem die Zinsen nicht weiter senken, es steht sogar zu befürchten, dass ihre Politik des billigen Geldes Spekulationsblasen bei Aktien und Immobilien befeuert, weil Anleger in diese Werte flüchten.

Nichts spricht gegen die keynesianische Idee, dass der Staat in schlechten Zeiten Schulden macht und der Wirtschaft mit Aufträgen hilft. Doch in der aktuellen Situation geht es wohl nicht nur um kurzfristige Schwankungen. Es geht auch um strukturelle Probleme. Deshalb nimmt es nicht wunder, dass ausgerechnet China und Griechenland im Zentrum der Krise stehen. Sie sind idealtypische Beispiele für eine Welt, der es wahrlich nicht an Schulden mangelt, sehr wohl aber an guten und unabhängigen Institutionen, die nicht korrupt sind und freies Unternehmertum fördern.

Institutionen zu reformieren ist anstrengend. Es nicht zu tun ist politisch‐gesellschaftliche Arbeitsverweigerung. Denn ohne gute Institutionen lässt sich geliehenes Geld nur wenig produktiv einsetzen. Auch daran haben die Börsen jetzt erinnert. Das sollten vor allem diejenigen nicht vergessen, die gerade davon träumen, keynesianische Unterwerfungsfantasien auszuleben. Ihr Erfolg machte neue Krisen nicht nur wahrscheinlicher, sondern auch weniger kontrollierbar.

Der Artikel erschien als Leitartikel in der ZEIT vom 27. August 2015 und wurde für die Atlantik-Brücke leicht angepasst. Roman Pletter ist stellvertretender Ressortleiter Wirtschaft der ZEIT und Alumnus des Young Leaders-Programms der Atlantik-Brücke.

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