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Statements zur Lage im Nahen Osten

Statements zur Lage im Nahen Osten Der Nahe und Mittlere Osten rückt einmal mehr in den Fokus der Weltpolitik. Foto: Unsplash

Durch die Ereignisse der vergangenen Tage im Irak hat sich die Situation im Nahen Osten und der Konflikt zwischen den USA und dem Iran dramatisch zugespitzt. Lesen Sie dazu im Folgenden Statements von Mitgliedern des Vorstands der Atlantik-Brücke und von US-Botschafter Richard Grenell.

Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel, Vorsitzender der Atlantik-Brücke.

Welche Bedeutung haben die jüngsten Vorgänge im Nahen Osten für die geostrategische Situation in der Region?

Die Tötung des iranischen Generals Soleimani im Irak durch einen gezielten amerikanischen Drohnenangriff stellt einen Wendepunkt in den regionalen Spannungen im Nahen und Mittleren Osten dar. Unabhängig davon, dass der Iran seine Vergeltungsmaßnahmen offenbar so kalibriert hat, dass die USA darauf nicht erneut mit einer steigenden militärischen Gewalt antworten mussten und eine akute Kriegsgefahr gebannt zu sein scheint, drohen sich die Kräfteverhältnisse im Irak und im schiitischen Teil des Nahen Osten dramatisch zu verändern: Wo sich eben noch massenhaft Demonstrationen vor allem der jüngeren irakischen Bevölkerung gegen den dauerhaften Missbrauch ihres Landes für Stellvertreterkriege und gegen die Rolle des iranischen Militärs unter General Soleimani richteten, wendet sich dieser Protest jetzt gegen die USA. Die Forderung des irakischen Parlaments nach Abzug aller ausländischen Truppen zeigt, wie schnell der Westen und seine Führungsnation USA in Gefahr sind, jeden Einfluss auf diese Region zu verlieren und zugleich der Einfluss des Irans im Irak weiterwachsen kann. Immerhin zwei Drittel seiner arabischen Bevölkerung sind Schiiten. Wachsender Einfluss der Schiiten kann aber einerseits wieder die Abspaltungstendenzen der Kurden im Nordirak und die Gefahr einer innerirakischen bewaffneten Auseinandersetzung vergrößern, andererseits auch die ohnehin schon marginalisierten sunnitischen Teile der Bevölkerung erneut in die Arme der Terrororganisation des IS treiben. Denn der sogenannte „Islamische Staat“ ist ja gerade ein Produkt der Ausgrenzung der alten irakischen sunnitischen Eliten des Regimes von Saddam Hussein nach dem zweiten Irak-Krieg. Die Keimzellen dieses IS existieren bis heute innerhalb des Irak. Das halbwegs geopolitische Gleichgewicht der Region geräte erneut ins Wanken. Von besonderer Wirkung wäre dies für die bisherigen Verbündeten der USA und des Westens: Israel und Saudi Arabien. Ein Rückzug der USA aus dem Irak oder auch auch nur eine drastische Verringerung amerikanischer Präsenz – wie schon in Syrien – ist nach wie vor eine der denkbaren mittelfristigen Perspektiven und beeinträchtigt die Sicherheit dieser beiden Staaten enorm. Es wäre erneut Russland, dem dann die Rolle der Ordnungsmacht und der Begrenzung iranischen Einflusses in der Region zufallen würde. Für den Westen wäre auf absehbare Zeit vor allem der schiitische Teil des Nahen Ostens verloren.

Was heißt dies für die Sicherheitsinteressen der transatlantischen Partnerschaft?

Ein solche Entwicklung betrifft auch die Sicherheitsinteressen Europas und Deutschlands. Zum einen durch die mögliche Intensivierung des regionalen Konfliktes in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas. Zum anderen ganz konkret dadurch, dass nicht nur die USA, sondern auch ihre Verbündeten Ziele von iranischen Vergeltungsmaßnahmen sein könnten. Dies gilt insbesondere für die europäischen Staaten, die Truppen im Rahmen des NATO-Einsatzes gegen den Islamischen Staat in der Region stationiert haben. Auch terroristische Anschläge mit iranischer Unterstützung in Europa sind denkbar. Damit würde der Iran vor allem auf die Spaltung des transatlantischen Bündnisses abzielen.

Welchen diplomatischen Beitrag können die transatlantischen Partner zur Deeskalation der Krise leisten?

Trotz aller Widersprüche zwischen Europa und den USA in der Nah- und Mittelost-Politik muss Europa – und hier vor allem Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich – sich um Abstimmung mit den USA bemühen. Ein militärischer Rückzug der USA aus dem Irak könnte durch Europa nicht ersetzt werden. So schwer es auch sein mag: Es braucht die Zusammenarbeit Europas mit den USA. Denn bislang bislang gilt Europa in diesem Konflikt am Golf nicht viel. Zu sehr hat sich in den letzten zwei Jahren gezeigt, dass die Europäische Union ein Papiertiger ist, wenn es ernst wird. So hat die EU zwar – ebenso wie Russland und China – immer wieder darauf verwiesen, dass das Atomabkommen mit dem Iran weiterhin Bestand habe und in Kraft sei, auch wenn die USA es auf fahrlässige Weise 2018 gekündigt haben – mehr aber auch nicht. Die Europäische Union ist bis heute nicht in der Lage, ihr Versprechen einzuhalten, im Gegenzug zum Verzicht des Iran auf die Entwicklung von Nuklearwaffen wirksame Wirtschaftshilfe zu leisten.

Wenn Europa zumindest beim Erhalt des Atomabkommens etwas bewirken und zur Deeskalation beitragen will, dann muss es ins politische Risiko gehen.

Dazu hat der französische Staatspräsident Macron vor einigen Monaten einmal einen Vorschlag gemacht, der zwar bislang noch nicht vorangekommen ist, trotzdem aber der einzig denkbare Weg ist, um dem Iran ein Angebot zu machen, das ihn daran hindern könnte, in die Eskalationslogik weiter einzusteigen: Macron wollte über die französische Nationalbank dem Iran einen zweistelligen Milliardenkredit zur Verfügung stellen. Die europäischen Signatarstaaten des Atomabkommens mit dem Iran – Frankreich, Deutschland und das Vereinigte Königreich – könnten diese Idee zusammen mit der Europäischen Zentralbank erneut aufgreifen und gemeinsam ein solches Angebot ihrer Nationalbanken oder über die EZB formulieren.

Im Gegenzug dazu müsste der Iran zur Einhaltung des Atomabkommens zurückkehren und sich zu einem ernsthaften Dialog über Sicherheit und Stabilität in der Region bereit finden. Diesen Dialog hatte die Europäische Union auf Antrag Deutschlands bereits 2018 begonnen. Der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen und insbesondere die Unfähigkeit der EU, die wirtschaftliche Stabilität des Iran gegen die Sanktionspolitik der USA zu unterstützen, hat diesen Dialog aber praktisch wieder zum Erliegen gebracht. Es gibt ein Beispiel aus der jüngeren europäischen Vergangenheit, dass europäische Initativen durchaus einen exkalierenden Konflikt zumindest eindämmen und befrieden helfen können: Stellvertretend für Europa handelten 2014 die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige französische Präsident Francois Macron das Minsker Abkommen aus, um die drohende Eskalation des Krieges in der Ost-Ukraine und um die Ukraine zu stoppen – mit Erfolg. Solche mutigen gemeinsamen Initiativen braucht es heute auch.


Norbert Röttgen

Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigem Ausschusses des Bundestages.

Welche Bedeutung haben die jüngsten Vorgänge im Nahen Osten für die geostrategische Situation in der Region?

Die jüngsten Vorgänge im Irak haben eine neue Unsicherheit und Unberechenbarkeit in der Region begründet. Zu den möglichen Entwicklungen könnte das endgültige Scheitern des JCPOA gehören. Damit würde die alte Frage nach iranischen Nuklearwaffen wiederaufleben – mit all den Konsequenzen, die dies nachzieht. Dazu gehören die Sorgen um ein potenzielles nukleares Wettrüsten oder die militärische Zerstörung dieser Infrastruktur.

Der schiitisch-iranische Druck könnte zudem darin resultieren, dass sich die irakische Regierung gegen die Präsenz ausländischen Militärs auf irakischem Boden wendet, was zum einen zu einem Wiederaufleben des IS, zum anderen zu einem aufgehenden Machtvakuum innerhalb des Iraks führen würde. Dieses Vakuum würde der Iran, möglicherweise unter Einfluss Russlands, ausfüllen.

Was heißt dies für die Sicherheitsinteressen der transatlantischen Partnerschaft?

Für die transatlantische Partnerschaft bedeutet dieses neue Risiko zugleich eine Chance, sich im weiteren diplomatischen Vorgehen besser abzustimmen und neu zusammenzufinden, wobei insbesondere die Europäer mehr Verantwortung übernehmen sollten. Gerade sie müssen sich jetzt bemühen, auf weitere Staaten einzuwirken und gemeinsam mit diesen den Iran dazu zu bewegen, Handlungen zu unterlassen, die eine Gegenreaktion der USA unausweichlich machen würde.

Welchen diplomatischen Beitrag können die transatlantischen Partner zur Deeskalation der Krise leisten?

Prinzipiell gilt auch hier: Je enger abgestimmt die USA und die EU trotz ihrer divergierenden Iran-Positionen in dieser Sache agieren, desto besser.


Alexander Graf Lambsdorff

Alexander Graf Lambsdorff, stv. Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag.

Welche Bedeutung haben die jüngsten Vorgänge im Nahen Osten für die geostrategische Situation in der Region?

Die Region ist ein Pulverfass. Nun hat der Iran US-amerikanische Stützpunkte bombardiert. Der Irak ist nicht irgendein Land – er grenzt nicht nur an die sunnitische Vormacht Saudi-Arabien und den schiitischen Iran, sondern auch an die Türkei, einen unmittelbaren Nachbarn der EU. Ein Stellvertreterkrieg wie in Syrien, der die Region weiter destabilisiert, kann nicht in unserem Interesse liegen. Die menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen könnten dramatisch ausfallen, auch für Europa. Das hat das Jahr 2015 gezeigt.

Was heißt dies für die Sicherheitsinteressen der transatlantischen Partnerschaft?

Europa muss im engen Austausch mit den USA zum Iran und zur Lage in der Region bleiben. Deshalb sollten Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Maas nicht nur wie jetzt am Samstag nach Moskau, sondern auch nach Washington reisen. Die Ziele sind dabei klar: Die Befriedung der Region durch die dauerhafte Zurückdrängung des Terrors von IS und Iran sowie die Verhinderung eines nuklearen Wettrüstens in der Region. Ein Wiedererstarken des IS würde die Region weiter destabilisieren. Deshalb ist es ein schwerer Fehler der Bundesregierung, die deutschen Tornados aus Jordanien abzuziehen, die einen wertvollen Beitrag in der Anti-IS-Koalition leisten.

Welchen diplomatischen Beitrag können die transatlantischen Partner zur Deeskalation der Krise leisten?

Deutschland muss jetzt eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen und die sicherheitspolitische Lage in der Region auf die Tagesordnung setzen. Wir sollten die USA dazu auffordern, ihr weiteres Vorgehen mit den europäischen Partnern und in der NATO abzustimmen. Auch Israel, das besonders unter einer Eskalation leiden würde sowie Saudi-Arabien müssen gehört werden. Für die längerfristige Stabilität und Sicherheit in der Region wäre es zudem gut, wenn Bundeswehr und NATO die Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte fortsetzen könnten. Jetzt ist die Stunde der Diplomatie.

Auch wenn der Iran auf absehbare Zeit schwer zugänglich für diplomatische Initiativen sein wird, ist der europäische Ansatz, den Iran mit diplomatischen Mitteln dazu zu bewegen, seine Aggression in der Region aufzugeben, nach wie vor erfolgversprechender als ein militärischer Ansatz. Heiko Maas muss jetzt eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates fordern und die Eskalation der Lage auf die Tagesordnung setzen.


Omid Nouripour

Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.

Welche Bedeutung haben die jüngsten Vorgänge im Nahen Osten für die geostrategische Situation in der Region?

Qassem Soleimani war ein Kriegsverbrecher. Aber sein Tod wird erhebliche Auswirkungen auf die geostrategische Lage der Region haben. Gerade in den vergangenen Monaten haben Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) begonnen, den Dialog mit Iran und auch einigen seiner Proxyakteure zu suchen, um die Spannungen mit Iran zu reduzieren. Hintergrund sind Zweifel daran, dass ihr jahrzehntelanger Sicherheitsgarant gegen Iran, die USA, beiden Golfstaaten im Falle eines eskalierenden Konflikts umfassend militärisch beistehen würden. Diese Verbündeten der USA wurden so gezwungen, ihre bisherige aggressive Regionalpolitik, z.B. im Jemen, zu entschärfen und aktiver nach politischen Lösungen zu suchen. Auch mit Iran direkt gab es vermehrt Gespräche. Im Falle einer weiteren militärischen Eskalation wäre diese Entwicklung leider hinfällig.

Ganz generell kann man zudem sagen, dass der Irak nun noch weiter als ohnehin schon in den Einflussbereich Irans rutschen wird. So nahmen in den Wochen vor dem Tod Soleimanis die im Irak stattfindenden Proteste gegen Korruption, Vetternwirtschaft und das politische System insgesamt vermehrt auch einen anti-iranischen Charakter an. Durch den Angriff werden die Demonstranten nun weitaus einfacher delegitimiert, indem sie als pro-amerikanische Agenten dargestellt werden. Reformen des politischen Systems aufgrund gesellschaftlichen Drucks werden so unwahrscheinlicher und Iran und kann den Staatsapparat noch mehr unterwandern.

Was heißt dies für die Sicherheitsinteressen der transatlantischen Partnerschaft?

Diese geostrategischen Verschiebungen bedeuten eine Verschleppung dringend notwendiger Reformen im Irak und damit ein Ausbleiben einer Verbesserung der Lebenssituation der Irakerinnen und Iraker. Auch die Bekämpfung des IS wird darunter leiden. Beides dürfte mittel- und langfristig zu einer weiteren Destabilisierung des Irak führen. Auch andere Konfliktherde, in die iranische Proxyakteure involviert sind, z.B. Syrien, Libanon oder Jemen, werden bei einer weiteren militärischen Eskalation verstärkt aufflammen und weitere Konfliktherde könnten komplett neu entstehen. In der Folge würde sich der Nährboden für die Aktivitäten terroristischer Akteure in der gesamten Region erheblich verbessern, was auch in Europa und den USA zu spüren wäre. Neben den negativen wirtschaftlichen Folgen würden insbesondere für die Länder der EU auch neue Fluchtbewegungen wahrscheinlicher werden.

Welchen diplomatischen Beitrag können die transatlantischen Partner zur Deeskalation der Krise leisten?

Diplomatische Beiträge der USA zur Deeskalation der Krise sind eher unwahrscheinlich. Innerhalb der transatlantischen Partnerschaft liegt es daher vor allem an den Staaten der EU zu versuchen, Iran von einer weiter eskalierenden Reaktion gegen die USA abzuhalten. Angesichts der Sekundärsanktionen der USA gegen Iran, aufgrund derer auch die Länder der EU Iran nicht zu der erhofften Dividende des Nuklearabkommens verhelfen konnten, bleiben die Chancen dafür jedoch eher gering. Die Europäer haben mit INSTEX zwar einen Mechanismus entwickelt, der solche Handelsgeschäfte ermöglichen soll. Doch sie haben nie ausreichend politischen Mut bewiesen, diesen Mechanismus auch tatsächlich zu aktivieren. Dies ist auch ein schweres Versäumnis der deutschen Bundesregierung, das sich jetzt rächt, weil man nur sehr wenig Einfluss auf Iran hat. Dennoch müssen die Europäer all ihre Gesprächskanäle nutzen, um eine weitere Eskalation zu verhindern.

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