Transatlantischer Überblick über den Umgang mit der Corona-Pandemie
Von Robin Fehrenbach
Der in seiner Verbreitung von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Pandemie eingestufte Erreger Sars-CoV-2 und die daraus resultierende Atemwegserkrankung Covid-19 betreffen inzwischen die gesamte Welt. Die transatlantischen Partner haben teils sehr unterschiedlich auf die weltweite Krise reagiert. Dieser Beitrag vergleicht zunächst die Maßnahmen der USA und Deutschlands, um die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen. In einem zweiten Schritt wird dargestellt, wie die Vorbereitung der jeweiligen Gesundheitssysteme auf den Umgang mit einer solchen Pandemie ausfällt. Schließlich werden die möglichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser globalen Gesundheitskrise für die Vereinigten Staaten von Amerika und die Bundesrepublik beleuchtet.
Welche Maßnahmen ergreifen die USA und Deutschland zur Eindämmung der Verbreitung von Sars-CoV-2?
In seinen ersten Reaktionen auf die Verbreitung des Corona-Virus hat US-Präsident Donald Trump den Versuch unternommen, die amerikanischen Staatsbürger zu beschwichtigen. Die amerikanische Administration unter der Führung von Trump setzte auf eigene, zunächst fehlerhafte Tests der US-Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control (CDC) anstelle von denjenigen Test-Kits der WHO. Der Präsident verwies in der Frühphase der Reaktion auf das Corona-Virus des Weiteren auf aus seiner Sicht beherrschbare Fallzahlen von Infizierten und Toten in den Vereinigten Staaten.
Am 11. März 2020 – also am Tag, als die WHO die Verbreitung von Sars-CoV-2 zur Pandemie hochstufte – griff der US-Präsident zu einer ersten härteren Maßnahme. Trump lässt seit jenem Tag alle Einreisen von Bürgern aus dem Schengen-EU-Raum für 30 Tage aussetzen. Zunächst waren davon britische Staatsangehörige nicht betroffen. US-Bürger dürfen nach wie vor kontrolliert und nach einem Test auf das Corona-Virus an den Ankunftsflughäfen in ihre Heimat einreisen. Unter anderem äußerten sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel kritisch in Bezug auf diesen Schritt der amerikanischen Regierung. Dass die Lagebewertung zur Corona-Pandemie hochdynamisch ist, zeigt auch die Tatsache, dass Präsident Trump nur zwei Tage nach dem Verkünden der neuen Einreiseregelung den nationalen Notstand ausrief.
Im Hintergrund startete die US-Regierung den Versuch, eine Vereinbarung mit dem Tübinger Biotechunternehmen Curevac abzuschließen. Curevac ist auf die Erforschung und Herstellung von Impfstoffen spezialisiert. Die Trump-Administration beabsichtige, exklusive Nutzungsrechte für einen möglichen Impfstoff gegen das Corona-Virus allein in den USA zu erwerben. Dieses Vorhaben kam allerdings auch durch eine Intervention des Curevac-Haupteigentümers und SAP-Mitbegründers Dietmar Hopp nicht zustande.
Parallel zur Ausbreitung des Corona-Virus in den USA finden nach wie vor Vorwahlen der Demokratischen Partei statt. Die beiden verbliebenen Bewerber um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat ihrer Partei, der frühere Vizepräsident Joe Biden und Vermonts Senator Bernie Sanders, nahmen in einer Fernsehdebatte in Washington, D.C. eine Bewertung der Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen Covid-19 vor. Während Biden von einer „nationalen Krise“ sprach und für ihn die Reaktion der Regierung auf die Pandemie ohne Sorgfalt ausgeführt wurde, hob Sanders die „unglaubliche Schwäche und Dysfunktionalität des amerikanischen Gesundheitssystems“ hervor.
Auch Deutschland durchläuft eine Lernkurve, was den gesundheitspolitischen Umgang mit der Corona-Pandemie angeht. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten bildeten allerdings hierzulande das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium des Innern frühzeitig einen gemeinsamen Krisenstab. Unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel koordinierten auch das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das Bundesministerium der Finanzen ihre Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung von Sars-CoV-2. Der Krisenstab, das Bundeskanzleramt und die Runde der Ministerpräsidenten der Länder passten ihre Handlungen stufenweise an die Verbreitung des Virus an.
Die erste Eskalationsstufe sah vor, Großveranstaltungen aller Art mit mehr als 1.000 erwarteten Teilnehmern abzusagen. Die zweite markante Stufe der Maßnahmen mündete in die Einführung von Kontrollen an den Grenzen zu Frankreich, Österreich, Schweiz, Luxemburg und Dänemark. Die dritte und vorläufig letzte Stufe war die klare Empfehlung an die 16 Bundesländer, alle Geschäfte und Einrichtungen des öffentlichen und kulturellen Lebens, sämtliche Kitas, Schulen und Universitäten zu schließen. Davon ausgenommen sind Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Apotheken, Tankstellen, Banken und Restaurants in engen Öffnungszeiten. Die Bundesregierung informiert die deutsche Bevölkerung fortlaufend über neue Regeln, Maßnahmen, Verordnungen und Tipps im Umgang mit der Corona-Pandemie.
Kanzlerin Merkel rief ihre Mitbürger mehrmals dazu auf, soziale Kontakte maximal zu vermeiden. Dies sei in der derzeitigen Situation Ausdruck von Solidarität. Das Prinzip des social distancing wird mittlerweile auf der ganzen Welt als Verhaltensregel dringend empfohlen. Wo immer dies möglich ist, heißt das für Arbeitnehmer, ihrer Tätigkeit im Home Office nachzugehen und sich im Privatleben in eine freiwillige Selbstquarantäne zu begeben. In einer Ansprache an die Nation appellierte Merkel an die deutsche Bevölkerung: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Sie forderte die Mitbürger auf, sich an die Regeln zu halten, die für die nächste Zeit gelten.
Wie fällt die jeweilige Vorbereitung der Gesundheitssysteme auf den Umgang mit einer derartigen Pandemie aus?
In den USA setzten die Probleme im Umgang mit dem Corona-Virus damit ein, dass über mehrere Wochen im internationalen Vergleich nur sehr wenige Tests auf Covid-19 durchgeführt wurden. Jedoch liegen die Ursachen für die Schwierigkeiten des amerikanischen Gesundheitssystems in Bezug auf die aktuelle Pandemie tiefer und sind grundsätzlicher, struktureller Art. Trotz des Affordable Care Act aus der Regierungszeit von Präsident Barack Obama, das die Pflicht zur Krankenversicherung aller Amerikaner zur neuen Leitlinie erhob, sind immer noch 28 Millionen US-Bürger nicht versichert.
Hinzu kommt für die versicherten Angestellten die Herausforderung, dass eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im amerikanischen Gesundheitswesen nicht üblich ist. Bei einer Erkrankung droht also potenziell nicht nur ein schnellerer Arbeitsplatzverlust als etwa in Deutschland. Bei der Konsultation eines Arztes und einer etwaigen längeren Abwesenheit vom Arbeitsplatz brechen auch die einzigen Einnahmen vieler Haushalte und Familien schnell weg. Daher erscheinen etliche Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten eher krank zur Arbeit, als die finanzielle und berufliche Existenz zu gefährden.
Das deutsche Gesundheitssystem gilt als ein qualitativ hochwertiges im internationalen Vergleich, was die Zahl der Krankenhäuser und Universitätskliniken, der Intensivstationen mit 28.000 Betten, von Ärzten und Pflegern, aber auch die Ausstattung insbesondere mit 25.000 Beatmungsgeräten angeht. Dass die Corona-Pandemie jedoch als außergewöhnliches medizinisches Notfallereignis nicht in den Kapazitäten und der Resilienz im deutschen System eingepreist war, zeigt allein die Tatsache, dass sich Bund und Länder darauf verständigt haben, die Zahl der Betten auf Intensivstationen in Deutschland so schnell wie möglich zu verdoppeln.
Die Wucht der Pandemie ist für das deutsche Gesundheitswesen höchstwahrscheinlich nur dann zu kompensieren und gesamtgesellschaftlich zu verkraften, wenn die zeitliche Dauer der Infektionen – insbesondere der älteren, alten, vorerkrankten und mit einem angeschlagenen oder schwachen Immunsystem ausgestatteten Menschen – so weit wie möglich gestreckt wird. Der dazugehörige Hashtag Flattenthecurve in sozialen Netzwerken verdeutlicht sehr anschaulich, worum es als Abwehrmaßnahme in sämtlichen Staaten der Welt nun geht.
Welche wirtschaftlichen und sozialen Folgen der weltweiten Corona-Krise zeichnen sich in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik ab?
Im Falle der USA zeigen allein schon die dramatischen Kursverluste des Dow Jones Index, des S&P 500 und des Nasdaq für Technologiewerte an der New Yorker Wall Street, dass die Realwirtschaft nicht nur einen temporären Schock erlitten hat, sondern dass mit erheblichen Substanzverlusten in den Geschäftszahlen und in den Belegschaften amerikanischer Unternehmen zu rechnen ist. Es droht zumindest eine Rezession.
Die US-Regierung legte in Zusammenarbeit mit dem Kongress ein milliardenschweres Maßnahmenpaket auf, vor allem um kleinen und mittleren Unternehmen mit direkten Ausfallzahlungen und Krediten zu helfen und Arbeitnehmern ausnahmsweise paid sick leave – also Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – über zehn Tage zu ermöglichen. Mit weiteren Maßnahmen muss man angesichts der Tragweite der Pandemie rechnen. Der Administration und Finanzminister Steven Mnuchin zufolge könnte sich das Hilfspaket für die amerikanische Wirtschaft auf bis zu eine Billion US-Dollar belaufen. Die US-Zentralbank Federal Reserve senkte derweil den Leitzins um einen Prozentpunkt auf einen Korridor von null bis 0,25 Prozent.
Was weitere soziale Folgen der Covid-19-Krise angeht, sind die ohnehin schon zahlreichen Obdachlosen in vielen Großstädten der USA in besonderem Maße von der Situation betroffen, da sie noch viel seltener an Corona-Tests gelangen und kaum Zugang zu hygienischen Einrichtungen haben. Darauf weist der National Healthcare for the Homeless Council hin.
Auch in Deutschland reagierte die Frankfurter Börse ähnlich wie die Leitindizes in New York. Der Dax verzeichnete an mehreren Tagen erhebliche Verluste. Erinnerungen an die Finanzkrise von 2008 und 2009 wurden wach, wobei dieses Mal die Realwirtschaft direkt in Mitleidenschaft gerät und nicht indirekt durch das Platzen einer Kreditblase auf dem US-Immobilienmarkt ins Straucheln gerät.
Die Bundesregierung hat ebenso wie die US-Administration ein milliardenschweres Maßnahmenpaket in enger Zusammenarbeit und in höchstem Tempo mit dem Bundestag auf den Weg gebracht. Dieses sieht unter anderem vor, über die Bundesagentur für Arbeit schnell und unbürokratisch Kurzarbeitergeld auszuzahlen, Steuerzahlungen zu stunden, Kredite über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an kleine und mittlere Unternehmen sowie Solo-Selbstständige zu vergeben und Insolvenzfristen zu verlängern. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach in diesem Zusammenhang von milliardenschweren Reserven, auf die die Bundesregierung zurückgreifen könne. Sein Kabinettskollege, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, sagte, kein Arbeitsplatz sollte durch die Corona-Pandemie in Deutschland verloren gehen.
Durch die Pandemie des Corona-Virus wird generell sowohl für die Bundesrepublik als auch für die Vereinigten Staaten offensichtlich, wie empfindlich global verzahnte Produktions- und Lieferketten für externe Schocks sind. So hat beispielsweise Volkswagen seine Produktion von Fahrzeugen in Europa für zwei bis drei Wochen ausgesetzt und Daimler für zwei Wochen. Auch BMW stoppte die Produktion von Automobilen in den europäischen Werken. Ebenso wie die Automobilindustrie sind aber auch der Maschinenbau, die Chemie- und Pharma-Industrie betroffen. Der Verkehrssektor und die Reise- und Tourismusbranche sind ebenfalls direkt von den Auswirkungen der Pandemie beeinträchtigt.
Als Fazit dieses Beitrags muss klar festgehalten werden, dass ein Ende der Corona-Krise kurzfristig nicht in Sicht ist. Daher müssen alle gesundheitspolitischen Maßnahmen, sämtliche Nachbesserungen in der Resilienz der Systeme und die absehbaren Folgen für die Ökonomie und den Sozialstaat als absolut vorläufig betrachtet werden. Weitere entschiedene und gravierende Schritte der politischen Entscheidungsträger in Kooperation mit Wirtschaftslenkern und jedem Einzelnen in den westlichen Gesellschaften und darüber hinaus sind jederzeit zu erwarten.
Quellen und weiterführende Lektüre
Robert P. Baird: What Went Wrong With Coronavirus Testing in the U.S. The New Yorker, 16. März 2020.
Der Spiegel: Altmaier rechnet mit anhaltender Krise. Der Spiegel, 17. März 2020.
Die Bundesregierung: Coronavirus in Deutschland. Die Bundesregierung, abgerufen am 17. März 2020.
Die Bundesregierung: Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen. Die Bundesregierung, 15. März 2020.
Amy Lauren Fairchild: Science Can’t Save Us From Coronavirus Panic. But Trump’s Information Crackdown Can Certainly Make Things Worse. Foreign Affairs, 10. März 2020.
Matt Flegenheimer, Sydney Ember: Biden and Sanders Assume Fighting Stances, a Healthy Six Feet Apart. The crisis brought them together for an unusual debate. And the debate highlighted their distance. The New York Times, 15. März 2020.
Martin Greive, Jan Hildebrand: Olaf Scholz: „Wir werden die Wirtschaft nicht hängen lassen“. Handelsblatt, 16. März 2020.
David Leonhardt: A Complete List of Trump’s Attempts to Play Down Coronavirus. He could have taken action. He didn’t. The New York Times, 15. März 2020.
Christen Linke Young: What do I do if I lose my job-based health insurance? USC-Brookings Schaeffer Initiative for Health Policy, 17. März 2020.
James McAuley, Michael Birnbaum: Europe blindsided by Trump’s travel restrictions, with many seeing political motive. The Washington Post, 12. März 2020.
Lennart Pfahler: Soziale Kontakt meiden – warum das jetzt entscheidend ist. Welt, 16. März 2020.
Susanne Preuss, Christian Geinitz, Bernd Freytag: Trump kassiert Korb im Kampf um Impfstoffhersteller. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. März 2020.
Alan Rappeport, Emily Cochrane, Nicholas Fandos: ‘Go Big’ on Coronavirus Stimulus, Trump Says, Pitching Checks for Americans. Treasury Secretary Steven Mnuchin made the case to Republican senators on Tuesday for a $1 trillion plan, including $250 billion. The New York Times, 17. März 2020.
Johanna Roth: „Eine soziale Krise mit einer Gesundheitskrise obendrauf“. Zeit Online, 15. März 2020.
Michael Sauga: „Eine weltweite Rezession“. Der Spiegel 12/2020, 14. März 2020.
Süddeutsche Zeitung: Bund und Länder wollen Zahlen der Intensivbetten verdoppeln. Süddeutsche Zeitung, 17. März 2020.
The Economist: How to deal with a new sort of financial shock. The Economist, 12. März 2020.
The White House: Remarks by President Trump in Address to the Nation. The White House, 11. März 2020.
The White House: Proclamation on Declaring a National Emergency Concerning the Novel Coronavirus Desease (COVID-19) Outbreak. The White House, 13. März 2020.
T3n Digital Pioneers: Corona grafisch: Die Story hinter #Flattenthecurve. T3n, 15. März 2020.
Welt: Dax fällt unter 9000 Punkte – Regierung sieht „gravierenden Schock“ für Industrie. Welt, 16. März 2020.
World Health Organization: WHO Director-General’s opening remarks at the media briefing on COVID-19. WHO, 11. März 2020.