Trump First – America Last?
Die erste Amtszeit von US-Präsident Donald Trump neigt sich dem Ende zu. Unser Mitglied Thomas Speckmann hat aus diesem Anlass in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung das Buch „America First“ von Stephan Bierling rezensiert.
Was bleibt von Donald Trump? Für Amerika, für Europa, für Asien? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit seiner Wahl zum amerikanischen Präsidenten eine allmählich kaum noch zu überblickende Reihe von Analysen und Kommentaren. Hinzu kommen Dutzende von sich als Enthüllungsbücher erfolgreich vermarktenden Rückblicken ehemaliger Mitarbeiter Trumps, die vor allem auch über seine augenscheinlichen charakterlichen Schwächen in der Amtsführung berichten. Bis zur Präsidentenwahl am 3. November dürfte die Taktung derartiger Publikationen noch einmal zunehmen.
Wer in dieser Fülle an Material nach einer kompakten, klar strukturierten und vor allem gut abgewogenen Bilanz sucht, der sollte zum Buch Stephan Bierlings greifen. Seit nunmehr zwanzig Jahren hat er die Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft der Universität Regensburg inne. Zu seinem Markenzeichen hat sich seitdem die regelmäßige Vorlage pointierter Analysen nicht nur der amerikanischen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und ihrer Geschichte, sondern auch ihrer Wechselwirkungen mit den Entwicklungen in Deutschland und Europa entwickelt.
Ob in „Vormacht wider Willen“, einem Blick aus dem Jahr 2014 auf die deutsche Außenpolitik von der Wiedervereinigung bis zur Gegenwart, oder in seinem Appell 2007 für eine „Huckepack-Strategie“, in dem er das Ungenügen von Europas „weicher“ Macht verdeutlichte und Argumente für eine Juniorpartnerschaft mit den Vereinigten Staaten versammelte, oder 2010 in seiner Einordnung des Irak-Krieges in die Geschichte der Vereinigten Staaten, deren Außenpolitik seit 1917 er darüber hinaus eine grundlegende Darstellung 2003 gewidmet hatte: Stets hält Bierling Deutschland, Europa und Amerika wechselseitig den Spiegel vor und schlägt dadurch eine Brücke wertvoller transatlantischer Erkenntnis – eine Fähigkeit, die angesichts der starken Spannungen der vergangenen Jahre zwischen Washington, Berlin und Brüssel nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Von der Marke Trump zum Präsidenten der USA
Nun nimmt sich Bierling die Präsidentschaft Trumps vor. In fünfzehn Kapiteln fächert er dessen bisherige Handlungsfelder auf. Zunächst geht es um den Mann und die Marke Trump, um seinen Hintergrund und Werdegang, dann um den Weg vom Kandidaten zum Präsidenten. Hier arbeitet Bierling heraus, wie stark Polarisierung und Zukunftsangst von Beginn an als Treibstoff für Trumps Kampagnen gedient haben. Angekommen im Weißen Haus folgt eine treffende Charakterisierung des Führungsstils und des Umgangs mit Mitarbeitern durch Trumps eigene Aussage aus dem Januar 2018: „Ich bin der Einzige, der zählt.“ Die Folge: Inzwischen hat er mehr Minister und Berater entlassen als jeder seiner Vorgänger.
Aufbauend auf der Beschreibung von Trumps Persönlichkeit, seines Denkens und seiner Arbeitsweise, beleuchtet Bierling die zentralen Politikfelder nicht nur des ersten Milliardärs im Weißen Haus, sondern auch des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, der zuvor noch nie eine Funktion in Politik oder Militär innehatte. Diese strategischen wie operativen Defizite spiegeln sich in sämtlichen politischen Schwerpunkten, die Bierling benennt: angefangen bei der Illusion von Sicherheit und einem „weißen“ Amerika in der Einwanderungspolitik und von angeblich einfach zu gewinnenden Handelskonflikten, insbesondere mit Blick auf China, über den selbst ausgerufenen Trump-Boom der „besten Wirtschaft der Geschichte“, für die Deregulierung und Steuersenkungen als Allheilmittel gesehen werden, bis hin zu den gesellschaftspolitischen Kulturkriegen, die Trump immer wieder aufs Neue anheizt.
Und schließlich das desaströse Management der außen- und sicherheitspolitischen Baustellen – ob in Bezug zu den europäischen Verbündeten in EU und Nato, ob gegenüber geopolitischen Wettbewerbern wie Russland oder China, ob im Mittleren Osten mit den Brennpunkten Syrien, Iran und Afghanistan und in Ostasien mit Nordkorea oder nun in der globalen Corona-Pandemie: Bierling ordnet Trump konsequent in das Handeln seiner Amtsvorgänger ein und ermöglicht dadurch den erhellenden Vergleich. So erinnert er wohltuend daran, dass schon Barack Obama die Verpflichtungen der Vereinigten Staaten reduzieren und den Verbündeten mehr Lasten aufbürden wollte, jedoch dabei am liberalen Multilateralismus festhielt, der zusammen mit den Prinzipien Demokratie und Marktwirtschaft ein Ordnungssystem bildete, das die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg in der westlichen Welt etabliert hatten.
Isolationismus und Unilateralismus in radikaler Form
Trump hingegen führte nach Bierlings Beobachtung die ohnehin bereits vorhandene Frustration seiner Wähler über die amerikanische Rolle in der Welt in eine neue Dimension. Mit dem innenpolitischen Rückenwind der Interventionsfiaskos in Afghanistan und im Irak, von Weltfinanzkrise und IS-Terror rückte Trump zwei alte außenpolitische Ideen wieder in den Mittelpunkt: Isolationismus und Unilateralismus. Zwar erlebten beide Traditionen den bisherigen Höhepunkt ihres Einflusses im 19. Jahrhundert, aber Bierling führt vor Augen, wie wenig sie jemals verschwunden waren, insbesondere im Mittleren Westen Amerikas, und wie sehr sie seit dem Ende des alten Kalten Krieges eine Renaissance erlebten: In den Wahlkämpfen Clinton gegen Bush senior, Al Gore gegen Bush junior und Obama gegen McCain hatte jeweils der Präsidentschaftskandidat gewonnen, der den Wählern weniger außenpolitisches Engagement der Vereinigten Staaten versprach.
Neu sind folglich nicht die Ideen von Trump. Neu – und dies wird bei Bierling wunderbar sichtbar – ist die Radikalität seiner Außenpolitik: Zum einen sollten zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte Isolationismus und Unilateralismus nicht auf bestimmte Bereiche und Regionen begrenzt bleiben, sondern sogar zur einzigen Handlungsoption der Vereinigten Staaten werden. Zum anderen erhielten die amerikanischen Forderungen nun eine überaus aggressive Note – gegenüber Feind wie Freund. Dabei standen der globale Führungsanspruch, an dem auch Trump weiter festhielt, und seine Ablehnung internationaler Institutionen, multilateraler Kooperationen und gewachsener Allianzen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Und so gelangt Bierling zu seiner Prognose, dass der amerikanische Wähler am 3. November nicht zuletzt darüber entscheiden wird, ob es in der Politik seines Landes nicht ein Mindestmaß an Rationalität, Kompetenz, Anstand und Würde geben soll – in der westlichen Welt vor Trump eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Stephan Bierling: America First. Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz. C. H. Beck Verlag, München 2020. 271 S., br., 16,95.
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