„Uns Latinos ging es unter Trump ökonomisch besser“
Von Martin Klingst
Der Treffpunkt ist Programm. Zum Gespräch Ende April 2022 empfängt mich Yesli Vega um die Ecke vom amerikanischen Kapitol. Denn dort will die zierliche 35-jährige Latina nach den Halbzeitwahlen einziehen: als republikanische Abgeordnete des 7. Wahlbezirks von Virginia.
Die erste wichtige Hürde hat Vega bereits genommen, in den Vorwahlen im Juni schlug sie sämtliche Parteikonkurrenten aus dem Feld und ist seither die unbestrittene Kandidatin der Republikaner. Nun will sie am 8. November auch die entscheidende Schlacht gewinnen und für ihre Partei den heiß umkämpften Abgeordnetensitz zurückholen. Den hat vor vier Jahren die gemäßigte Demokratin Abigail Spanberger erobert und 2020, wenn auch mit hauchdünnem Vorsprung, erfolgreich verteidigt.
Yesli Vegas Sieg in den Vorwahlen war eine Überraschung. Ihre republikanischen Mitbewerber hatten praller gefüllte Wahlkampfkassen und waren weit bekannter. Einer jungen Latina räumte das Parteiestablishment von Virginia keine großen Chancen ein. Doch der republikanischen Basis gefielen der Beruf, Vega ist stellvertretender Sheriff – und ihre Nähe zu Donald Trump. Stolz hob Vega in ihrer Biografie auf Twitter hervor, dass Präsident Trump sie noch im Dezember 2020 in ein Beratergremium zur Förderung des wirtschaftlichen Wohlstands der hispanischen Minderheit berufen hatte.
Der republikanischen Basis gefiel der Beruf, Vega ist stellvertretender Sheriff – und ihre Nähe zu Donald Trump.
Für Vega hatte sich außerdem Ginni Thomas starkgemacht, eine eiserne Trump-Anhängerin, politische Scharfmacherin und Ehefrau von Clarence Thomas, dem ultrakonservativen schwarzen Richter am Supreme Court und Lieblingsjuristen rechter Republikaner. Doch nun, da Vega bei den Halbzeitwahlen auch Wähler der Mitte umgarnen muss, ist der Twitter-Hinweis auf Trump über Nacht verschwunden.
Yesli Vega ist redegewandt und zupackend. Die Polizistin gehört zu der Garde junger, konservativer Latinas, die derzeit viele Demokraten zwischen Texas, New Mexico und Virginia das Fürchten lehren. Sie sind religiös, fest in ihren Familien verwurzelt, engagieren sich in ihren Kirchen und Gemeinden und haben nun die Republikanische Partei für sich als politische Plattform entdeckt. Schon vor einigen Jahren wurde Yesli Vega in Prince William County, im Norden Virginias, in das „Board of Supervisors“ gewählt, ein einflussreiches Verwaltungsgremium, das unter anderem die Ausgaben des Bezirks etwa für Schulen und den Straßenbau bewilligt und überwacht. Vega ist mit einem ehemaligen US-Soldaten verheiratet und hat mit ihm eine Tochter und einen Sohn.
„Wer wissen will, warum ich so bin, wie ich bin, muss bei meinen Eltern beginnen, bei José und Reina Ventura. Sie flohen in den achtziger Jahren vor dem Bürgerkrieg aus El Salvador nach Texas. Mein Vater schlug sich in den USA zunächst als Bauarbeiter durch, meine Mutter als Putzfrau. Sie bekamen vier Kinder, meinen älteren Bruder, dann mich, dann zwei weitere Söhne.
Wir führten ein bescheidenes Leben und zogen der Arbeit hinterher. Von Texas ging es nach New York, von dort in den Norden Virginias, erst in die Stadt Arlington, dann nach Alexandria. Virginia ist meine Heimat.
Über die Jahre haben sich meine Eltern hochgearbeitet, mein Vater im Baugewerbe, meine Mutter in ihrem Beruf. Als Kind, wenn die Sommerferien begannen und andere in Urlaub fuhren, half ich meiner Mutter, fremde Häuser zu putzen. Anfangs waren da nur sie und ich. Doch das Geschäft florierte und meine Mutter stellte Leute ein. Heute führt sie ein erfolgreiches Reinigungsunternehmen mit 15 Angestellten.
Arbeit, Gott, Familie, Vaterland – das sind die traditionellen Werte vieler Hispanics.
Jeder Dollar, der am Monatsende übrigblieb, wurde zur Seite gelegt, angespart erst für ein kleines Haus in El Salvador, dann für ein kleines Haus in Alexandria. Uns Kinder haben meine Eltern gelehrt, dass man mit harter Arbeit, einem rechtschaffenen Leben und im Vertrauen auf Gott, die Familie und das Vaterland alles erreichen kann. Arbeit, Gott, Familie, Vaterland! – das ist auch mein Motto als Politikerin, das sind die traditionellen Werte vieler Hispanics.
Mit Fug und Recht kann ich sagen: Meine Eltern leben den American Dream, den Amerikanischen Traum. Nur in den Vereinigten Staaten kann man mit leeren Taschen, ohne einen einzigen Cent ankommen und trotzdem eine gute Existenz aufbauen. Ja, ja, ich kenne Ihren Einwand, Sie sind nicht der Einzige, der mir vorhält, wir Venturas und Vegas hätten unser Leben in den USA der Tatsache zu verdanken, dass es damals an der amerikanisch-mexikanischen Grenze keine Mauer gab und der republikanische Präsident Ronald Reagan mit einem Amnestiegesetz Millionen von illegalen Einwanderern einen legalen Aufenthaltsstatus verschaffte.
Es ist richtig, meine Eltern waren sogenannte ‚undocumented migrants‘, kamen also unerlaubt über den Rio Grande nach Texas – sie, wir alle haben Glück gehabt. Daraus lässt sich aber nicht rückschließen, dass ich für offene Grenzen sein müsste. Als Polizistin trete ich für unbedingte Gesetzestreue ein. Vielleicht sind wir mal mit der einen, mal mit der anderen Vorschrift nicht sonderlich einverstanden, trotzdem müssen wir sie achten. Die USA sind ein Rechtsstaat, ein Land der Gesetze. Wer hierher will, muss es auf legalem Weg tun. Wer sich nicht daran hält, muss mit den Konsequenzen leben.
Ich verstehe gar nicht, warum Trumps Zaun an der Grenze zu Mexiko so viel Empörung ausgelöst hat, schon Präsidenten vor ihm haben mit dem Bau begonnen. Überall auf der Welt werden Zäune und Mauern gegen illegale Einwanderer errichtet, ebenso bei Ihnen in Europa. Auch als Amerikaner haben wir das Recht und die Pflicht, unsere Grenzen zu schützen. Warum also werden wir dafür kritisiert und mit zweierlei Maß gemessen?
Mein Land, die Vereinigten Staaten, schickt sehr viel Geld in die armen Länder Mittel- und Südamerikas, um die Verhältnisse für die Menschen zum Besseren zu wenden. Trotzdem fliehen immer noch massenhaft Menschen. Was geschieht mit den Milliarden von Dollars? Wir müssen diese Länder zur Rechenschaft ziehen. Leider sind nicht alle Regierungsoberhäupter so einsichtig wie der salvadorianische Präsident Nayib Bukele. Er hat sich bei den USA öffentlich für die vielen Flüchtlinge entschuldigt und eingestanden, dass sein Land zu wenig in Bildung und Arbeit investiere.
Ich bin eine stolze Latina.
Ich bin eine stolze Latina. Meine Eltern haben immer großen Wert darauf gelegt, uns Kinder mit ihrer Heimat, Sprache und Kultur vertraut zu machen. Als ich ungefähr neun war, musste mein Vater eine Zeit lang für seine Firma nach Kanada, und meine Eltern entschieden, dass meine Mutter mit uns vier Kindern für eine Weile nach El Salvador ziehen würde, in unser inzwischen fertiges Haus in San Miguel. Von montags bis freitags gingen wir in der Stadt zur Schule, übers Wochenende fuhren wir zu meiner Oma aufs Land. Sie hielt Kühe, Schweine, Hühner, baute Mais an. Wir tollten herum, pflückten Zitronen und Mangos von den Bäumen vorm Küchenfenster, schöpften mit großen Eimern Wasser aus dem Brunnen. Bis heute gibt es dort kein fließendes Wasser.
Es war eine wunderbare Zeit, die mir die Augen geöffnet hat, dass ein Leben, je nachdem, wo man geboren wird, ganz anders verlaufen kann. Wir, die Venturas, waren vom Glück geküsst. Vier Jahre blieben wir in El Salvador, dann zogen wir zurück nach Arlington in Virginia. Nach einem weiteren Jahr hatten meine Eltern genug Geld zusammen, um ein Haus in Alexandria zu kaufen, im Stadtteil Bren Mar Park, wo hauptsächlich Latinos wohnten. Es war unser erstes Eigenheim in den USA und wir waren unglaublich stolz.
Doch unsere Freude blieb nicht ungetrübt. Jugendbanden verbreiteten in der Nachbarschaft Angst und Schrecken, vor allem die berüchtigte Gang M-13, die hauptsächlich El Salvadorianer rekrutierte. Als Drogenkuriere heuerten sie mit Vorliebe vor den Schulen und auf der Straße strafunmündige Kinder an, mit teuren Geschenken oder nackter Gewalt. Um meine jüngeren Brüder zu beschützen, brachte ich sie morgens zur Schule und holte sie am Nachmittag wieder ab. Jedes Mal, wenn wir den Fernseher einschalteten, kam eine neue Schreckensnachricht, hatten Mitglieder der MS-13 jemand krankenhausreif geschlagen, erschossen oder mit der Machete die Finger abgehackt.
Das Schicksal machte leider auch vor unserer Familie keinen Halt. Eines Abends wollten mein jüngerer Bruder Eric und sein engster Freund Anthony ins Kino, Anthonys Mutter fuhr sie. Auf dem Weg wollten sie einen weiteren Freund einsammeln und hielten auf dem Parkplatz vor einem großen Wohnkomplex. Die Mutter blieb im Auto, während mein Bruder und Anthony zum Haus gingen und auf ihren Freund warteten. Plötzlich tauchten in der Dunkelheit zwei bewaffnete junge Männer auf und eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer. Anthony starb auf der Stelle, meinen Bruder trafen zwei Kugeln, die eine durchschlug seinen Oberkörper, die andere blieb im Arm stecken.
Bis heute leidet Eric seelisch und körperlich an den Folgen. Der einstige Musterschüler kommt nicht mehr mit seinem Leben zurecht, ist Alkoholiker und hat auch schon im Gefängnis gesessen. Es mag zynisch klingen, aber die Monate hinter Gittern waren für uns als Familie mitunter eine Gelegenheit zum Durchatmen, mein Bruder war vor anderen und vor sich selbst geschützt, war nüchtern und fern von Drogen. Als Polizistin hat man manchmal einen anderen Blick auf die Dinge.
Jahre später fanden wir heraus, dass die Schießerei eine Art Aufnahmeritual der M-13 war. Wer einfaches Mitglied werden wollte, musste einen anderen zusammenschlagen, wer schnell aufsteigen wollte, muss jemanden erschießen. Die Polizei half uns damals sehr, doch mein Bruder wollte nicht mit ihr reden, aus bitterer Enttäuschung darüber, dass sie ihn nicht hatte schützen können. Ich übernahm deren Arbeit, befragte Eric nach dem Tatverlauf und seinen Beobachtungen. Das war der Moment, da ich entschied, nach meinem Schulabschluss selbst Polizistin zu werden. Ich wollte etwas für unsere Gemeinschaft tun, wollte vor allem junge Menschen, so gut ich konnte, vorm Abrutschen in die Kriminalität bewahren.
Es macht mich wütend, wenn Demokraten nach jedem Vorfall von Polizeigewalt ‚Defund the Police!‘ rufen.
Es macht mich darum wütend, wenn Demokraten nach jedem Vorfall von Polizeigewalt ‚Defund the Police!‘ rufen. Der Polizei das Geld entziehen, ja haben die noch alle Sinne beisammen? Fragen Sie mal die Leute, was sie davon halten, wenn sie in ihrer Verzweiflung die Notrufnummer 911 wählen, aber kein Polizist erscheint, weil die Behörde kaputtgespart wurde.
Natürlich gibt es unverzeihliche Übergriffe von einzelnen Polizeibeamten. Als der Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis bei einem Polizeieinsatz erstickt wurde, war ich völlig entsetzt und in Tränen. Auch Latinos, asiatische und weiße Amerikaner sind Opfer von Polizeigewalt geworden. Aber ebenso gibt es viele Polizistinnen und Polizisten, die in Ausübung ihres Berufes getötet wurden. Auch an sie muss man denken. Für mich ist jedes menschliche Leben heilig und hat den gleichen Wert. Wenn ich das sage, beschimpfen mich Linke sofort als ‚Rassistin‘.
Die Demokraten tun immer so, als seien sie die Partei der kleinen Leute. Aber was machen sie gegen die um sich greifende Kriminalität? Nichts! Reiche Leute wie Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, können sich gegen Verbrecher schützen, aber die Ottonormalverbraucher?
Ein anderes Beispiel: In meinem Bezirk soll eine Umgehungsstraße gebaut werden, um eine andere, ständig verstopfte Strecke zu entlasten. Doch nach den von den Demokraten bevorzugten Plänen würde sie durch eine Wohngegend mit transportablen Häusern, einen sogenannten ‚trailer camp‘ führen. Dort wohnen meist arme Menschen, viele sind Latinos, oft illegale Einwanderer. Sie müssten umziehen, doch wohin?
Den Demokraten ist das offenbar egal, sie scheinen kein Herz für diese Leute zu haben. Ich habe mich im „Board of Supervisors“ gegen diese Entscheidung gestemmt, bin zu den Leuten im ‚trailer camp‘ gegangen und habe ihnen auf Spanisch erklärt, was auf dem Spiel steht. Ein betroffener Bewohner war bass erstaunt, als er hörte, dass ich nicht Demokratin, sondern Republikanerin bin. Das beweist doch nur, wie verquer manche Wahrnehmungen sind.
Ja, ich bin Republikanerin und finde, dass Donald Trump einen sehr guten Job gemacht hat.
Ja, ich bin Republikanerin und finde, dass Donald Trump einen sehr guten Job gemacht hat. Uns Latinos ging es in seinen vier Amtsjahren ökonomisch besser als in der Zeit davor oder danach, viele Geschäfte blühten. Trump hat den Unternehmergeist beflügelt und das Selbstvertrauen gestärkt. Hören Sie sich mal um bei den Latinos in meinem 7. Wahlbezirk, da will kaum jemand von staatlicher Unterstützung abhängen, sondern wünscht sich ein Klima, in dem man einen Betrieb gründen und sich wirtschaftlich entfalten kann.
Es ist immer wieder dasselbe, wenn ich als Latina Trump verteidige, wird mir entgegenhalten, er habe Migranten aus Mexiko beleidigt, habe sie Kriminelle, Vergewaltiger und Drogenhändler genannt. Ich kenne allerdings kaum einen Latino, der sich wirklich lange daran gestört hat. Fragen Sie mal bei der hispanischen Bevölkerung im Süden von Texas nach, die entlang der Grenze zu Mexiko lebt. Die hat auch Angst vor kriminellen Banden, wünscht sich mehr Kontrollen und eine geordnete Einwanderungspolitik.
Ja, Trump liebt die deftige Sprache, auch ich wünschte mir, er würde sich manchmal etwas milder ausdrücken. Aber niemand hält dem demokratischen Präsident Biden vor, dass er im Wahlkampf 2020 einem afroamerikanischen Moderator ins Gesicht sagte: ,Wenn Sie ein Problem damit haben herauszufinden, ob Sie für mich oder für Trump sind, dann sind Sie nicht schwarz!‘ An Trump wird immer eine andere Messlatte gelegt.“
Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.
Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.