Verfrühter Abgesang auf den Westen?
Dr. Markus Kaim, Stiftung Wissenschaft und Politik, legt im Interview der Atlantik-Brücke seine Sicht auf den amerikanischen Wahlkampf dar und gibt einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen der US-Außenpolitik.
Die Botschaft des Nominierungsparteitags der Republikaner wurde in den Medien als „mixed bag“ beschrieben: Von scharfen Tönen gegen die Demokraten bis zur Inszenierung des Präsidenten als einfühlsamen Zuhörers, wenn es um die Geschichten von Krankenschwestern über ihre Arbeit in der Pandemie geht, kam alles vor. Wen wollte und wen konnte der Präsident mit dem Parteitag für sich gewinnen?
Er wollte vor allem jene ansprechen, die er für seine Wiederwahl dringend benötigt und die er in seiner ersten Amtszeit zum Teil verloren hat: Da sind zuallererst weibliche Wähler in den amerikanischen Vorstädten, die sich bei den Zwischenzahlen 2018 in Scharen von ihm abgewendet haben, was die Einbindung der weiblichen Mitglieder der Trump-Familie in den Parteitag erklärt. Da sind zweitens viele Senioren, die von den Auswirkungen der Covid-Krise in besonderer Weise betroffen sind und die Regierung Trump dafür verantwortlich machen. Und da sind drittens die weißen Wechselwähler, die von ethnisch-sozialen Identitätsdebatten und den jüngsten Unruhen in den Städten zutiefst verunsichert sind. All diesen versuchte der Parteitag in der einen oder anderen Form ein programmatisches Angebot zu unterbreiten. Ob mit Erfolg, wird man sehen.
Unter den Republikanern gibt es zunehmend Unmut gegen die Regierung Trump – Organisationen wie Republican Voters Against Trump und das Lincoln Project machen Stimmung gegen den eigenen Präsidenten. Wie sieht die Zukunft der Partei aus?
Grundsätzlich sind hier drei verschiedene Szenarien vorstellbar: Erstens könnte sich die Partei nach einer Niederlage am 03. November 2020 oder nach dem Ende von Trumps zweiter Amtszeit im Januar 2025 auf ihre traditionellen programmatischen Säulen zurückbesinnen – fiskalische Seriosität, Unterstützung für Freihandel, eine außenpolitische Führungsrolle der USA in der Welt. Ich sehe aber weder die Kräfte, die dies tragen, noch die gesellschaftlichen Handlungsspielräume. Zweitens wäre ein Trumpismus ohne Trump vorstellbar, d.h. eine Fortführung dieser spezifisch amerikanischen Art populistischer Politik durch andere Politiker. Zu denken wäre z.B. an die Senatoren Tom Cotton aus Arkansas, Josh Hawley aus Missouri oder Rick Scott aus Florida. Drittens wäre unter der Überschrift „Getting Things Done“ der Weg der Republikaner zu einer pragmatischen Politik der Mitte vorstellbar. Eine solche Orientierung müsste aus dem Kreis der wenigen moderaten Gouverneure der Partei kommen wie z.B. Mike DeWine in Ohio oder Larry Hogan in Maryland, die während der Covid-Krise eine gute Figur gemacht haben. Hogan hat bereits angedeutet, dass er sich 2024 um die Präsidentschaft bewerben werde.
Was würden 4 weitere Jahre Trump für die USA bedeuten?
Präsident Trump hat die bereits weit vor seiner Wahl existierende Polarisierung des Landes politisch nutzbar gemacht und zu einer Spaltung vertieft, die nahezu alle Lebensbereiche durchzieht und sich in vielfältigen Konfliktlinien niederschlägt. Wo viele Amerikaner sich nach einer Führung sehnen, die das Land zusammenführt, nutzt der Präsident geschickt gesellschaftliche Auseinandersetzungen und treibt sie in die Extreme, seien es die Folgen der Covid-Krise, die Lebenssituation von African Americans oder die öffentliche Sicherheit. Auch der Wahlkampf der Republikaner steht unter den Vorzeichen des „wir gegen die“.
Dass in den vergangenen Wochen Einzelpersonen und Milizen mit Waffengewalt aufeinander losgegangen sind, verheißt nichts Gutes.
Sollte Donald Trump am 3. November damit Erfolg haben, wird er keinen Anlass sehen, von dieser Haltung Abstand zu nehmen. Was dann im Jahr 2025 noch von den Vereinigten Staaten im politischen Sinne übrig sein wird, steht in den Sternen. Dass in den vergangenen Wochen Einzelpersonen und Milizen mit Waffengewalt aufeinander losgegangen sind, verheißt nichts Gutes.
Was wären die Konsequenzen einer zweiten Trump-Amtszeit für Deutschland und Europa? Gibt es unter diesen Bedingungen noch Gemeinsamkeiten im transatlantischen Verhältnis?
Trump hat auch in der Außenpolitik eine Politik des „America First“ verfolgt und dabei dem Multilateralismus den Kampf angesagt. Er betont die Souveränität der Nationalstaaten, hat daher die USA aus einer Fülle internationaler Vereinbarungen gelöst und damit enge Partner vor den Kopf gestoßen. Für den Fall, er wiedergewählt wird, würden wir wohl eine Fortführung dieser Trump‘schen Außenpolitik sehen. Es gibt zwar Präsidenten, die in ihrer zweiten Amtszeit eine andere Politik eingeschlagen haben, zum Beispiel George W. Bush, der viel multilateraler agierte. Aber wir sollten nicht darauf setzen, dass Trump ab 2021 einen außenpolitischen Kurs verfolgen wird, der deutschen und europäischen Interessen stärker Rechnung trägt. Manche Beobachter befürchten sogar, Trump würde dann wirklich den Bruch mit der Nato wagen, also den formellen Austritt der USA aus der Allianz vollziehen. Soweit würde ich nicht gehen. Aber die Grundprämissen der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik, „America First“, das selektive Nutzen von multilateralen Institutionen für amerikanische Interessen – all das würden wir weiterhin sehen.
Wie würde sich der außenpolitische Kurs unter einem Präsident Biden verändern?
Die Europäer dürfen sich nicht der Illusion hingeben, dass die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik zum Januar 2017 zurückkehren wird. Dafür haben sich die internationalen Rahmenbedingungen zu sehr verändert, und das im Übrigen bereits unter der Regierung Barack Obama/Joe Biden. Auch eine Regierung Biden wird von einer grundsätzlichen Struktur der internationalen Politik ausgehen müssen, in welcher der Westen neuen autoritären Herausforderungen gegenübersteht. Eine Grundannahme der Globalisierung der vergangenen 20 Jahre, dass China und auch Russland über Handel letztlich demokratisch verfasste Marktwirtschaften werden könnten, gilt so nicht mehr. Biden würde Allianzen wohl viel mehr schätzen als Trump, nicht zuletzt, um sie in der Auseinandersetzung mit China nutzbar zu machen. Die USA würden dann argumentieren: Wir betrachten die EU nicht länger als Feind, sondern als Partner gegen China. Das ist jedoch keine ganz bequeme Situation, da es die europäischen Interessen in und gegenüber China berührt. Die europäischen Hauptstädte wären dann ggf. gezwungen, sich zwischen Washington und Beijing zu entscheiden.
Unter einer Regierung Biden könnte „der Westen“ wieder eine viel größere Bedeutung erhalten.
Das könnte jedoch gleichzeitig dazu führen, dass unter einer Regierung Biden „der Westen“ wieder eine viel größere Bedeutung erhält. Dann wären die Abgesänge auf diese Wertegemeinschaft deutlich zu früh erklungen. In der Tat wird es interessant sein zu sehen, wie sehr Biden den Dualismus zwischen den USA und China weitertreiben wird. Das ist eine Grundkonstante, die für ihn gleichermaßen gelten würde.
Die Demokraten werden sich meiner Ansicht nach einige Akzente der Regierung Trump zu eigen machen, ob beim Thema China und dem Vorgehen gegen unfaire Handelspraktiken oder beim Umgang mit den Europäern und der Frage der Verteidigungsausgaben. Aber auch, wenn man sich die Reaktionen auf das militärische Vorgehen Trumps anschaut – die Militärschläge gegen Syrien, Waffenlieferungen an die Ukraine oder das militärische Vorgehen gegen die iranischen Revolutionsgarden: Da gab es kaum Widerstand von der Opposition. Es könnte gut sein, dass sich die Demokraten da manches abgucken und selbst wieder militärisch robuster vorgehen. Selbst bei Bidens Ankündigung, dem Atomabkommen mit dem Iran wieder beizutreten, bleibe ich erst einmal vorsichtig. Wir können unter Biden eine Wiederannäherung an die Europäer erwarten, aber unter anderen Vorzeichen als unter Präsident Obama.
Dr. Markus Kaim ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er war von August 2019 bis Juli 2020 Helmut-Schmidt-Fellow beim German Marshall Fund of the United States in Washington. Er hat als Visiting Scholar am Institute of European, Russian, and Eurasian Studies der Carleton University, Ottawa, als DAAD Professor for German and European Studies an der University of Toronto sowie als Vertretungsprofessor für Außenpolitik und Internationale Beziehungen an der Universität Konstanz gelehrt. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Zürich, an der Hertie School of Governance, Berlin, und der Bucerius Law School, Hamburg.