Vom Mut, zu seinen Überzeugungen zu stehen
Die 37. Deutsch-Kanadische Konferenz der Atlantik-Brücke und Atlantik-Brücke Canada hat die starke Partnerschaft beider Länder hervorgehoben. In der kanadischen Botschaft in Berlin erörterten hochrangige Speaker die größten politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der bilateralen Zusammenarbeit.
In einer Zeit größter Herausforderungen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Deutsch-Kanadischen Konferenz 2024 gemeinsam um Lösungsansätze für die vielen gleichzeitig stattfindenden Krisen gerungen. Mit dieser ambitionierten Zielsetzung versammelten sich etwa 100 politische Entscheidungsträger, Vertreter der Wirtschaft und Finanzwelt, Experten von Think Tanks und Universitäten und Journalisten in der kanadischen Botschaft in Berlin. Unter der Leitung von Sigmar Gabriel, Vorsitzender der Atlantik-Brücke, und Nik Nanos, Vorsitzender der Atlantik-Brücke Canada, und mit aktiver Beteiligung von Botschafter John Horgan und Botschafterin Sabine Sparwasser erörterten die Fachleute in fünf Panel-Diskussionen die drängendsten Fragen der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kanada. Während der gesamten Konferenz galt die Chatham-House-Regel.
Die erste Diskussionsrunde setzte sich mit dem Wettbewerb um Investitionen und Talente als Herausforderungen für die Industrie in Kanada und Deutschland auseinander. Dabei wurde hervorgehoben, dass Deutschlands Potenzial im Bereich von Mikro-Elektronik und Computer-Chips, aber auch bei grünem Wasserstoff ein Grund für Investitionen von global agierenden Unternehmen sei. Für beide Länder gelte, dass bestehende Märkte, Fabriken und Innovationscluster günstige Voraussetzungen für neue Investitionen darstellten. Derzeit seien jedoch vor allem die USA ein attraktiver Ort für weitere Investitionen, was stark mit dem Inflation Reduction Act (IRA) der Biden-Regierung zusammenhänge. Aktuellen Berechnungen zufolge würden die rund 370 Milliarden US-Dollar an Subventionen Investitionen in einem Volumen von 1,8 Billionen US-Dollar auslösen und eine Re-Industrialisierung hervorrufen. Insofern sei der IRA sowohl für Deutschland als auch für Kanada ein herausfordernder Faktor im internationalen Wettbewerb.
Der Fachkräftemangel trifft Deutschland und Kanada gleichermaßen
Was die Bundesrepublik betrifft, gebe es jedoch auch eine Reihe struktureller Probleme im Inland, die den Wettbewerb um Investitionen und Fachkräfte blockierten. Das deutsche Geschäftsmodell erzeuge in der grünen und digitalen Transformation derzeit kein Wachstum und keine zunehmende Produktivität, gerate durch den demografischen Wandel unter Druck und sei durch das Ziel der Klimaneutralität, einen hohen Grad an Bürokratie und ein hohes Steuerniveau erheblich belastet. Erschwerend komme hinzu, dass in der Bundesregierung eine strategische Unsicherheit bezüglich der Industriepolitik herrsche. Kanada dagegen habe zuletzt erfolgreich Investitionen im Bereich der Automobilindustrie angezogen. Derzeit würden drei große Fabriken für elektrische Batterien gebaut. Auch die reformierte Klimapolitik Kanadas, die digitale Revolution bei Künstlicher Intelligenz (KI) und neu geordnete Lieferketten insbesondere für kritische Mineralien und Halbleiter zögen allesamt ausländische Direktinvestitionen an. Ähnlich wie Deutschland leide Kanada allerdings unter einem gravierenden Fachkräftemangel. Während in Kanada immerhin 62 Prozent der Zugewanderten in den Arbeitsmarkt integriert seien, gelte dies nur für 53 Prozent der Migranten in Deutschland. Beide Länder bräuchten eine verbesserte Kultur des Aufnehmens und des Willkommenseins.
Ausländische Desinformationskampagnen und Einflussnahme in einer globalisierten digitalen Welt waren der Gegenstand des zweiten Panels. Im laufenden Superwahljahr, in dem beinahe die halbe Weltbevölkerung zu Wahlen aufgerufen ist, sei die Bedrohungslage für westliche Demokratien besonders ausgeprägt. Nach der von Manipulationsversuchen betroffenen US-Präsidentschaftswahl 2016 habe die kanadische Regierung einen Monitoring-Prozess für die eigenen Parlamentswahlen implementiert. Die systematische Beobachtung von Cyberattacken habe gezeigt, dass es bei den Wahlen in Kanada 2019 und 2021 zu exzessiven Versuchen ausländischer Beeinflussung gekommen sei. Die Integrität von demokratischen Wahlen sei inzwischen ein Faktor der nationalen Sicherheit, waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Die wichtigsten Akteure von Desinformationskampagnen seien Russland, China, der Iran sowie extremistische Gruppierungen. Sie verfolgten die langfristige Strategie, die Demokratie als solche zu unterminieren.
Gegen Wahlbeeinflussung und Desinformation in die Offensive gehen
Als eher defensiven, reagierenden Lösungsansatz sollten Regierungen und Parlamente die diversen Anbieter von Social-Media-Plattformen dafür verantwortlich machen, ihr Regelwerk im Umgang mit manipulierter Information konsequent anzuwenden. Ein proaktiver, offensiverer Ansatz bestehe darin, sogenanntes „Prebunking“ zu betreiben. Das heißt, dass Regierungen die jeweilige Bevölkerung vollständig und transparent über ausländische Wahlbeeinflussung informieren sollten, Wissenschaftler dazu forschen sollten und eine breite Öffentlichkeit sich beginnend in der Schule damit befassen müsse. So sei eine gezieltere Vorbereitung auf spezifische Angriffe gewährleistet, etwa zur Bundestagwahl 2025 und zu den kommenden Parlamentswahlen in Kanada. Dafür seien höhere Investitionen in die Monitoring-Systeme und eine technische Anpassungsfähigkeit von Regierungen und Geheimdiensten erforderlich. Dennoch dürfe man die Wirkung von sogenannten „Deep Fakes“ nicht überbewerten. Während manipulierte Texte, Fotos und Audio-Dateien mittlerweile kaum als solche zu erkennen seien, seien Videos noch relativ gut als Fälschung zu identifizieren. Die Runde empfahl den Bürgern beider Länder generell, vertrauenswürdige Informationsquellen von bekannten Medienhäusern zu nutzen. Seriöser Journalismus berichte zudem über Desinformationskampagnen und decke diese bisweilen investigativ auf.
Die dritte Panel-Diskussion befasste sich mit der Zukunft der sicherheitspolitischen Kooperation zwischen Kanada und Deutschland und der damit verbundenen Anpassung an neue geopolitische Realitäten. Alle Expertinnen und Experten betonten, dass Kanada und Deutschland langjährige und verlässliche Verbündete der NATO seien und die deutsch-kanadischen Beziehungen im Bereich der Sicherheit und Verteidigung in hervorragendem Zustand seien. Dies sei umso wichtiger, nachdem Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die Sicherheitsarchitektur in Europa fundamental verändert habe. Für Deutschland gehe es in den nächsten Jahren vor allem darum, die in 2024 aufgrund des Sondervermögens für die Bundeswehr erreichten 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben nachhaltig zu finanzieren. Die Zeitenwende müsse sich verstetigen.
In der Unterstützung der Ukraine standhaft bleiben
Als sogenannte „Framework Nations“ im Baltikum nähmen Deutschland und Kanada eine starke Rolle an der Ostflanke des Bündnisses ein. Deutschlands Aufbau einer permanent in Litauen stationierten Brigade und 35.000 Soldaten in erhöhter Bereitschaft dokumentierten dies. Dennoch müssten beide Partner noch besser und glaubwürdiger werden in der Abschreckung gegenüber Russland. Beide Länder unterstützten die Ukraine in erheblichem Umfang in deren Verteidigung gegen den russischen Aggressor – und müssten in diesem Konflikt unbedingt standhaft bleiben. Ansonsten zögen sowohl Russlands Präsident Putin als auch Chinas Staatschef Xi Schlussfolgerungen zu Ungunsten des demokratischen Westens. Was den Krieg im Gaza-Streifen angeht, kümmerten sich die Außenministerinnen Baerbock und Joly unablässig um eine diplomatische Initiative. Nach Ende des Krieges werde es um Hilfen für den Wiederaufbau in der Region gehen. Ohnehin sollte die deutsch-kanadische Sicherheitspartnerschaft stärker als bislang humanitäre Sicherheit, entwicklungspolitische Initiativen und Krisenprävention einschließen. Ein Panel-Teilnehmer mahnte in diesem Kontext eine effektivere Kommunikation an. Es komme auf den Mut an, zu seinen Überzeugungen zu stehen. Dem Narrativ vom oft zitierten „Abstieg des Westens“ müsse man positive Botschaften mit belastbaren Ergebnissen der gemeinsamen Politik entgegensetzen.
Die anschließende Diskussionsrunde analysierte die Nachhaltigkeit globaler Ernährungssysteme und deren Konsequenzen für Kanada und Deutschland. Die weltweite Versorgung mit Lebensmitteln fuße im Wesentlichen auf zwei Säulen. Das Zusammenspiel aus Düngemitteln und landwirtschaftlicher Technologie bilde die erste Säule, inländischer und grenzüberschreitender Handel von Nahrung die zweite. Dieses System weise einige Schwächen auf, sei aber nicht schnell und einfach durch eine Alternative zu ersetzen. Zu den größten strukturellen Schwierigkeiten zählten der Kaufpreis für Dünger, zu viel Regulierung in der EU, unfairer internationaler Wettbewerb und eine tiefe Kluft zwischen Stadt und Land. Das gravierendste Problem sei, dass die Zahl hungernder Menschen von weniger als 600 Millionen in 2020 auf derzeit mehr als 800 Millionen zugenommen habe. Auf der anderen Seite seien gleichzeitig mehr als 2 Milliarden Menschen fettleibig. Um diese Situation zu verbessern, verfolge Deutschland bei Projekten in den Entwicklungsländern Afrikas Bottom-Up-Ansätze, die Menschen zum Zugang zu gesunder Nahrung befähigen, Frauen in diesen Prozess einbinden, eine Kreislaufwirtschaft in Gang setzen und politische Dialoge mit der Afrikanischen Union beinhalten. Ein Experte plädierte dafür, dass Kanada und Deutschland strategische nationale Lager von Weizen und Dünger aufbauen sollten.
Auf dem Weg zur „Net Zero“-Politik zählt vor allem Disziplin
Das abschließende Panel bewertete die ambitionierte Klimakooperation in Kanada und Deutschland auf dem Weg zu einer „Net-Zero“-Politik. Die Runde stimmte darin überein, dass es genau die richtige Politik sei, einen Preis für Kohlenstoffdioxid-Emissionen festzulegen. Bei der Umsetzung brauche es in erster Linie Disziplin. Kanada produziere und verbrauche nach wie vor Erdöl und -gas im großen Stil und sei das Schlusslicht unter den G7-Staaten, was die Emissionsminderung von CO2 angehe. Die in diesem Sektor tätigen Unternehmen sollten ihre Profite in die grüne Transformation investieren, lautete ein Vorschlag. Prognosen zufolge sei „Peak Oil“ international gesehen sogar erst 2030 erreicht. Kanada dürfe diesen fossilen Weg nicht weitergehen, die Konsequenzen aus Waldbränden, Dürren, Fluten und schmelzender Arktis seien bereits heute verheerend.
Unter Fachleuten gilt es als anerkanntes Prinzip, dass Sicherheit, Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit von Energie in einer Balance zueinander stehen müssen. Auf dem Index dieses sogenannten „World Energy Trilemma“ erreiche Deutschland 80 von maximal 100 Punkten und Platz 7 im internationalen Vergleich. Kanada komme mit 81 Punkten auf Platz 4. Die Bundesrepublik habe sich zwar schnell vom russischen Erdgas und Erdöl gelöst, sei nun aber abhängig von Liquefied Natural Gas (LNG) aus Norwegen und den USA. Immerhin wuchsen die erneuerbaren Energien in ihrem Anteil am gesamten Mix der Energieproduktion. 300.000 Arbeitsplätze hingen inzwischen an diesem Markt. Auf dem langen Weg bis zur Klimaneutralität 2045, der nicht linear verlaufe, werde grüner Wasserstoff immer wichtiger. Dieses Jahrzehnt sei entscheidend für das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens.
Eine der wertvollsten Partnerschaften
Ein Kommentar von Robin Fehrenbach
Neben den Vereinigten Staaten von Amerika ist Kanada der wichtigste Partner Deutschlands außerhalb von Europa. Auf der Basis gemeinsamer demokratischer Werte und strategischer Interessen pflegen beide Länder seit Jahrzehnten auf nahezu allen zentralen Politikfeldern eine enge und überaus erfolgreiche Zusammenarbeit. In der NATO spielen Kanada und Deutschland eine führende Rolle im Baltikum. Im G7-Format haben sie wirksame Sanktionen gegen Russland seit dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine verhängt. Mit dem Freihandelsabkommen CETA, das Deutschland nun endlich auch vollständig im Bundestag ratifiziert hat, haben die Europäische Union und Kanada einen der modernsten und ambitioniertesten Handelsverträge abgeschlossen. Dies gilt vor allem für Arbeitnehmerrechte, den Umwelt- und Verbraucherschutz und ein auf vorbildliche Art reformiertes Schiedsgerichtsverfahren bei Streitigkeiten zwischen Investoren und dem jeweiligen Staat. In Washington, D.C. und Brüssel würden sich manche wünschen, wenn mit TTIP ein vergleichbares Abkommen zwischen den USA und Europa in Kraft wäre.
Doch damit nicht genug: Kanada und Deutschland haben 2021 eine Energiepartnerschaft etabliert und ein Jahr später eine Kooperation im Bereich grüner Wasserstoff. Damit gehen sie mit Volldampf Themen an, die eine positive Zukunft ihrer Gesellschaften in einer Welt aufsteigender autoritärer Mächte sichern sollen. Deutsche und kanadische Universitäten arbeiten zudem in der Forschung zu Künstlicher Intelligenz zusammen. Die Liste ließe sich fortführen, wie auch die Deutsch-Kanadische Konferenz eindrucksvoll gezeigt hat.
Die Regierungen in Ottawa und Berlin sind sich des hohen Wertes dieser hervorragenden Partnerschaft bewusst. Sie sollten ihre beispielhafte Zusammenarbeit weiter ausbauen, vertiefen und intensivieren. Demokratische Staaten werden weltweit von außen und innen attackiert. Freiheit, Frieden, Sicherheit und Wohlstand stehen auf dem Spiel. In dieser Lage muss der demokratische Westen unbedingt zusammenhalten, um seine Werte und Interessen zu verteidigen.