Von der Leyen: Europa muss Zusammenarbeit vorantreiben
Berlin, 11. November 2016. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, MdB (CDU), hat wenige Tage nach der Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten mit Nachdruck daran erinnert, dass die transatlantische Partnerschaft jeden Tag hart erarbeitet werden müsse und dass die politische Kooperation innerhalb der Europäischen Union „unermüdlich vorangetrieben“ werden müsse. Von der Leyen hielt auf Einladung der Atlantik-Brücke im Hotel Adlon einen Vortrag zur Zukunft der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik mit einem speziellen Fokus auf die Integration in der EU und die Verteidigungspartnerschaft mit der NATO. Friedrich Merz, Vorsitzender der Atlantik-Brücke, begrüßte die Ministerin vor knapp 100 Mitgliedern und Gästen – darunter die kanadische Botschafterin Marie Gervais-Vidricaire und Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments. „Die US-Wahlen schreiben Zeitgeschichte, sie bilden eine tiefe Zäsur für die Vereinigten Staaten von Amerika“, sagte Merz. Man könne derzeit nicht sagen, welche Politik der gewählte US-Präsident Trump umsetzen werde und wer dessen wichtigsten Berater seien. Deshalb müsse die EU wissen, für welche Politik sie sich diesseits des Atlantiks einsetze. Das gelte aktuell besonders nach dem Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Sharif im Norden Afghanistans.
Von der Leyen eröffnete ihren Vortrag mit einer Kurz-Analyse des Wahlergebnisses. Dadurch wolle sie dessen Wirkung auf das „transatlantische Koordinatensystem“ skizzieren. „Seit Mittwochmorgen wissen wir, dass sich etwas in der Außen- und Sicherheitspolitik verändern wird“, sagte von der Leyen. Donald Trumps Sieg sei die Kulmination einer tief sitzenden gesellschaftlichen Spaltung. Tiefe soziale und ökonomische Gräben durchzögen die amerikanische Bevölkerung; die Mittelschicht werde kleiner und ärmer. Die Wahl sei allerdings gleichzeitig Ausdruck einer „größeren Unversöhnlichkeit in der US-Politik, die mit der Gründung der Tea Party ihren Anfang nahm“. Die Entscheidung des amerikanischen Volkes sei des Weiteren eine Absage an die acht Jahre der Regierung von US-Präsident Barack Obama. Die ungeheure, beinahe grenzenlose Wut auf das Establishment habe eine neue Qualität erreicht. Trumps Wähler wollten eindeutig bewirken, dass sich „konkret etwas in ihrem Leben verändert“, hielt die Ministerin fest.
Krieg in Syrien, Zukunft der NATO und Verhältnis zu Russland von zentraler Bedeutung
Selbst wenn die Außen- und Sicherheitspolitik nicht das bestimmende Thema des abgelaufenen Präsidentschaftswahlkampfes gewesen sei, sei es Aufgabe der europäischen Politik, vor allem zu drei Komplexen der internationalen Politik konstruktiv Stellung zu beziehen. Der erste Komplex beziehe sich auf die Einschätzung des Krieges in Syrien. Trump habe diesen zunächst als regionales Problem im Mittleren Osten definiert, aus dem sich die USA heraushalten sollten, sagte von der Leyen. Dann jedoch habe der Republikaner angekündigt, dass er im Falle seines Wahlsieges 20.000 bis 30.000 Bodentruppen nach Syrien entsenden werde, um den „Islamischen Staat“ (IS) zu besiegen. Die zweite Problematik betreffe Trumps Ankündigung, die NATO nur noch dann weiter zu unterstützen, wenn Europa finanziell mehr zur Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses beitrage. Der dritte Komplex schließlich spiegele das künftige Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Russland wider. Trumps Äußerungen dazu nannte die Verteidigungsministerin „nebulös“.
Man wisse nicht, welche Aussagen von Donald Trump allein dem Wahlkampf geschuldet seien, bemerkte von der Leyen. Die Lage für die Partner in Europa werde dadurch weiter erschwert, dass der nächste US-Präsident „nicht in die traditionelle Programmatik der Republikaner eingebunden“ sei. Dies habe zur Folge, dass etwa die deutsche Bundesregierung ihre Kontakte zu den etablierten, erfahrenen amerikanischen Politikern nicht nutzen könne, um die Phase des Übergangs zur neuen US-Regierung kooperativ zu begleiten, da diese sehr wahrscheinlich kein Amt in Trumps Kabinett einnehmen würden. Die Bundesregierung, aber auch ihre europäischen Partner müssten demzufolge erkennbare Konturen von Trumps künftiger Politik skizzieren und demgegenüber die europäischen Zielsetzungen formulieren. Dabei gab die CDU-Politikerin zu bedenken, dass sich Trumps Weltbild mit „America first“ umschreiben lasse, dessen einziger Maßstab darin bestehe, ob eine bestimmte Politik US-Interessen diene. Dies sei völlig legitim. „Aber wir müssen uns fragen: Kann das der einzige Maßstab sein?“, so die Ministerin.
„Bewährungsprobe für den Kampf um Mossul“
Was den Krieg in Syrien und die Gefahren durch den IS angehe, leite Trump daraus in erster Linie den Schutz Amerikas vor internationalem Terrorismus und vor illegaler Migration ab. Er stelle auch in der Sicherheitspolitik Kosten-Nutzen-Rechnungen auf. „Doch gerade in der Verteidigungspolitik ist unsere Währung Vertrauen, Verlässlichkeit und das Eintreten für unsere Werte. Dies ist die Relevanz des Bündnisses von 28 Mitgliedern“, sagte von der Leyen in Bezugnahme auf die NATO. Sie erinnerte das Publikum daran, dass der Bündnisfall auf Grundlage des Artikels 5 im NATO-Vertrag erst einmal erklärt worden sei – nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington, D.C. Viele NATO-Mitgliedstaaten hätten sich daraufhin in Afghanistan engagiert und würden dies bis heute beibehalten. Dies sei ausdrücklich richtig, betonte von der Leyen. Der Verteidigungscharakter eine die NATO. Sie stehe für Freiheit, für die Rechte des Menschen und für Demokratie.
Im Irak zeige sich allerdings, dass sich dem IS nicht nur militärisch beikommen lasse. Die Strategie beginne sich auszuzahlen, lokale Kräfte wie vor allem die Peschmerga auszubilden und zu stärken. Neben der Ausbildung und Ausrüstung sei es angebracht, mit diplomatischen Mitteln auf die irakische Regierung einzuwirken. Die Bereitstellung medizinischer Hilfe und der Aufbau der Wasserversorgung komme der Bevölkerung ebenfalls zugute. „Dies ist auch die Bewährungsprobe für den Kampf um Mossul. Der Sieg gegen den IS darf nicht in einen irakischen Binnenkrieg münden“, forderte sie.
In Bezug auf Trumps Infragestellen der bisherigen Lastenteilung innerhalb der NATO zwischen den USA, Kanada und Europa sei es berechtigt, dass eine faire Verteilung der finanziellen Verpflichtungen auf der Agenda stehe, hielt die Verteidigungsministerin fest. Sie verfolge das Ziel, dass 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eines jeden Mitgliedsstaates in den nationalen Verteidigungsetat einflössen. Von der Leyen betonte, dass es sehr wichtig sei zu verstehen, dass diese 2 Prozent der NATO nicht komplett zur Verfügung stünden, sondern auch anderen sicherheitspolitischen Interessen dienten. Deutschland stelle einen sehr großen Teil seiner Verteidigungsausgaben der NATO bereit. Nun laufe berechtigterweise die Debatte um die Frage, welchen Output das transatlantische Bündnis mit diesen Mitteln liefere.
„Wir schulden den USA die Übernahme von Verantwortung“
Neben der permanenten Modernisierung der NATO stehe für Europa im Mittelpunkt des politischen Interesses, seine eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Die Arbeit an der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion müsse ausgebaut werden, sagte die Ministerin. Dabei gelte es auch, „one single set of forces“ aufzubauen. Denn zwar komme die EU insgesamt auf 1,5 Millionen Soldaten und damit auf mehr Soldaten als die USA und verfüge über einen „großen Instrumentenkasten“ der Konfliktprävention, -lösung und -nachsorge. Doch dieser sei „verstreut, versäult und getrennt“, bemängelte von der Leyen. Allein die Tatsache, dass 37 verschiedene Transportpanzer und 19 verschiedene Kampfflugzeuge der Europäischen Union zur Verfügung stünden, zeige, dass die europäische Sicherheitspolitik mehr Effizienz brauche. „Wir schulden den USA die Übernahme von Verantwortung, die auch immer unseren eigenen Interessen dient, wenn wir auf die Flüchtlingskrise und unseren Nachbarkontinent Afrika blicken“, sagte sie. Die Fachminister der EU, insbesondere die Verteidigungsressortchefs und Außenminister, sowie die Staats- und Regierungschefs hätten sich für die Zukunft Afrikas zum Ziel gesetzt, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen, gutes Regierungshandeln zu fördern, die Abkehr von Korruption zu unterstützen und Wege zu einer funktionierenden Wirtschaft aufzuzeigen.
„Es ist positiv, dass Donald Trump und der russische Präsident sehr zügig miteinander sprechen wollen“, konstatierte die Ministerin mit Blick auf den dritten aus ihrer Sicht entscheidenden internationalen Komplex im Zusammenhang mit der nächsten amerikanischen Regierung. „Nicht vergessen werden dürfen aber die Annexion der Krim, die hybride Kriegsführung im Osten der Ukraine sowie die Bombardierung Aleppos“, betonte von der Leyen. Die Völkergemeinschaft der Welt müsse in den Vereinigten Staaten von Amerika stets den „verlässlichsten Fürsprecher für die westlichen Werte“ erkennen. Die Größe, nach der Russlands Präsident Wladimir Putin für sein Land strebe, erreiche er nur durch wirtschaftliche Prosperität, internationale Zusammenarbeit und eine gestärkte Demokratie. Das transatlantische Bündnis glaube an die Stärke des Rechts. Die gemeinsame Überzeugung an hohe Werte wie insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit spiegele sich seit einiger Zeit sehr bewusst in einem offiziellen Slogan der Bundeswehr wider: „Wir kämpfen dafür, dass du gegen uns sein kannst.“
Mittel der strategischen Kommunikation in Russland
Die kommunikativen Waffen der hybriden Kriegsführung seien Bestandteil des Vorgehens sowohl von Russland als auch des IS, sagte die Verteidigungsministerin. „Am Tag, als die internationale Untersuchung zum Absturz des Passagierflugzeugs MH17 veröffentlicht wurde, wurde die Welt geschwemmt von gegenteilig lautenden Geschichten“, bemerkte sie. Der einer „zutiefst archaischen Ideologie verhaftete IS“ nutze ebenfalls die hochmodernen Mittel der strategischen Kommunikation. Bei der Eroberung der irakischen Stadt Mossul seien 40.000 Tweets einer Siegespropaganda abgesetzt worden. Der Westen sei aber nicht machtlos, betonte von der Leyen. Während im August 2015 circa 700 Videos des IS mit Siegespropaganda zum Inhalt ins Internet hochgeladen worden seien, seien im August 2016 noch 200 Videos dieser Art und Herkunft ins Netz gestellt worden. „Die Siegespropaganda des IS verändert sich zu einer Märtyrereloge.“
In der anschließenden von Friedrich Merz moderierten Diskussion schilderte die Ministerin, wie komplexe europäische Beschaffungsvorhaben wie die Eurodrohne mit mehr Transparenz der Kosten und Risiken in den Verträgen, klar zugeordneten Verantwortungen von Auftraggeber und Auftragnehmer und einer „lead nation“ als treibende Kraft hinter einem Projekt in enger Kooperation mit anderen europäischen Staaten am Ende in einem einheitlichen Design realisiert werden können. Zudem erinnerte von der Leyen an den Münchner Konsens von 2014, als Bundespräsident Joachim Gauck, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und die Verteidigungsministerin gemeinsam ausgeführt haben, warum die Bundesrepublik international mehr Verantwortung übernehmen müsse. Für die Bundeswehr bedeute dies etwa, dass es „nach 25 Jahren der personellen, materiellen und finanziellen Schrumpfung“ mittlerweile wieder in die andere Richtung gehe. Doch die Wirkung dieser Umkehr brauche Zeit. Allerdings habe Deutschland die „allererste Speerspitze der NATO“ – eine schnelle Eingreiftruppe – gestellt. Zum Abschluss der Veranstaltung plädierte die Verteidigungsministerin dafür, dass Inlandseinsätze der Bundeswehr bei Notlagen, also bei Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes, eingeübt werden müssten. Wenn drei Terroranschläge gleichzeitig in drei Bundesländern verübt würden, müssten Polizei, Bundespolizei und die Bundeswehr darauf vorbereitet sein.
Die Atlantik-Brücke dankt Roland Berger für die freundliche Unterstützung.