Von Eisenhower zu Trump
Von Michael Werz
Im Januar 1961 hielt Präsident Dwight D. Eisenhower eine bemerkenswerte Abschiedsrede an die amerikanische Nation. Er erinnerte daran, dass die Vereinigten Staaten nur existieren könnten, wenn die Gesellschaft nicht „fürchterlicher Angst und Hass“ anheimfalle. Im Gegenteil, Amerika solle eine „stolze Konföderation gegenseitigen Vertrauens und Respekts“ sein.
Ein Lebensalter später hielt Donald Trump zu seinem Amtsantritt eine düstere Gegenrede: Groll und Verachtung für Politik und Gewaltenteilung und ein Raunen vom „amerikanischen Blutbad, das hier und jetzt enden wird.“ Zwischen den beiden Spitzenpolitikern der republikanischen „Grand Old Party“(GOP) liegen politische Welten.
Während Donald Trump einen geschichtsblinden weißen Nationalismus befeuert, stand der Armeegeneral Eisenhower noch in der Traditionslinie Abraham Lincolns: Als im September 1957 im Südstaatenort Little Rock ein weißer Mob neun schwarzen Schulkindern den Zutritt zur öffentlichen Schule verwehrte, mobilisierte Präsident Eisenhower Einheiten der 101. Luftlandedivision nach Arkansas. Die Elitesoldaten hatten noch dreizehn Jahre früher in der Nacht vor der Normandie-Invasion bei Sainte-Mère-Église gegen die Wehrmacht gekämpft. Nun setzten sie Bürgerrechte im eignen Land durch.
Diesen Patriotismus Eisenhowers verbindet mit der ethnischen Agitation dieser Tage nichts mehr. Die USA erleben den vorläufigen Höhepunkt eines mehr als fünfzigjährigen Selbstzerstörungsprozesses der Republikanischen Partei, der direkt in die Präsidentschaft des Trump-Clans führte.
Als der U.S. Kongress 1964 unter dem demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson die Bürgerrechtsgesetzgebung verabschiedete, begann in den Südstaaten der ehemaligen Konföderation ein politischer Gezeitenwechsel. Die weißen Wähler in den ehemals demokratischen Hochburgen wandten sich immer mehr der Republikanischen Partei zu, die gegen Ende der Achtzigerjahre bei Regionalwahlen dort oft absolute Mehrheiten erreichte.
1992 gewann Bill Clinton die Präsidentschaftswahl. Die konservative Partei geriet nach ihrer Niederlage in die Krise, und die Fraktion der rechten Kulturkämpfer ging gestärkt in die Neunzigerjahre. Der Rechtsaußen Newt Gingrich wurde 1995 Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus und erklärte die Politik zum Kampfsport. In den Achtzigerjahren verschickte Gingrich Kassetten und Memoranden an Parteimitglieder; Titel: „Sprechen wir Newt“. Die Republikaner sollten lernen, ihre politischen Gegner als „krank, pathetisch, Lügner, Vaterlandsverräter, radikal und korrupt“ zu bezeichnen. Fox News, gegründet 1999, wurde zum Agitationssender für alle, denen eine zivile politische Auseinandersetzung zu langweilig geworden war, rechte Talk-Radiosender wie der von Rush Limbaugh komplettierten die mediale Vollversorgung.
Auf die Niederlage gegen Obama folgte keine Selbstbesinnung, sondern weitere Verhärtung
Weil es zunehmend schwieriger wurde, Wähler für radikalen Wirtschaftsliberalismus in der Sozial-, Gesundheits- und Steuerpolitik zu mobilisieren, setzten republikanische Politiker immer stärker auf radikale Versprechen zu den Kulturkampfthemen Waffenbesitz, Schwulenehe, Abtreibung und Migration. Umso mehr verblasste die Bindung der Republikanischen Partei an urbane Kultur und Lebensweisen. Die GOP wurde seit den Achtzigerjahren immer weißer und ländlicher.
Diese zukunftsblinde Strategie wurde durch die Terroranschläge des 11. September 2001, die Waffengänge in Irak und in Afghanistan sowie die Rhetorik der Bush-Regierung vom weltweiten „Krieg gegen den Terror“ über ihr politisches Verfallsdatum hinaus verlängert. Erst ein halbes Jahrzehnt später hatten sich die letzten ideologischen Reserven verbraucht, der Überraschungskandidat Barack Obama gewann im November 2007 den Kampf ums Weiße Haus.
Der dramatischen Niederlage folgte keine Selbstbesinnung der Republikaner, sondern weitere Verhärtung. Mitch McConnell, damals wie heute Vorsitzender der republikanischen Senatsfraktion, sagte einige Monate nach der Wahl, oberste Priorität seiner Partei sei, dass „Barack Obama nur eine Amtszeit lang“ Präsident bleibe. Der moderate republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses, John Boehner, fügte sich. Das Establishment der Partei öffnete dem brachialen Populismus der erstarkenden Tea Party und ihrer Blockadepolitik Tür und Tor.
Als 2012 Barack Obama erneut gewann, verfassten moderate Republikaner eine viel beachtete „Autopsie“ der Wahlen. Das Dokument listet schonungslos die vielen Schwächen der Partei auf: ihre ideologische Verbohrtheit, die Präferenz für Reiche und nicht Arbeiter, Ressentiments gegenüber Minderheiten, eine reaktionäre Sozialpolitik sowie die institutionalisierte Unterdrückung abweichender Meinungen und jeglicher Erneuerung. Doch auch dieser letzte Versuch der Modernisierung in Richtung der zeitgenössischen europäischen Christdemokratie scheiterte.
Parallel dazu erlebten die USA radikale Veränderungen der öffentlichen Sphäre. Mit der Schwächung des etablierten Journalismus‘ und dem Aufstieg sozialer Medien wanderten radikale Ideen ins Zentrum der Debatten. Größer werdende Bevölkerungsschichten sahen etablierte Parteien als illegitim an, denunzierten die vermeintliche Kooperation mit Medien und Establishment. Zerfallende Gewerkschaften, schwindende oder fundamentalistisch werdende Kirchengemeinden und der Verlust von Lokalzeitungen taten ein Übriges. Parteien, Wirtschaft und Gesellschaft waren gleichermaßen unvorbereitet auf diesen Kollaps sozialer Orientierungen in Zeiten relativen Wohlstands.
Donald Trump ist ebenso sehr Ausdruck wie Triebkraft dieser verheerenden Entwicklungen. Mit seiner sadistischen Lust an der Denunziation überforderte er im Vorwahlkampf 2016 ein viel zu großes republikanisches Bewerberfeld. Und er lernte die Ängste konformistischer Mittelschichten erfolgreich in Wahlstimmen umzumünzen. Die GOP hatte dieser Machtübernahme mit ihren uneinlösbaren Versprechungen, der Verteufelung von Gesundheitsreform und Klimawandel über die gesamte Obama Zeit hinweg den Boden bereitet.
Donald Trumps Zerstörungswerk revidiert nicht nur die Traditionen des amerikanischen Konservatismus, sondern korrodiert nach nur zwei Jahren die Fundamente der amerikanischen Demokratie. Seine digitale Demagogie befördert jeden Tag aufs Neue jene „fürchterliche Angst und Hass“ der sein politisches Lebenselixier ist – und vor dem Dwight D. Eisenhower mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg so eindringlich gewarnt hatte.
Michael Werz ist Senior Fellow am Center for American Progress. Er ist Mitglied des Vorstands der Atlantik-Brücke. Dieser Artikel erschien in der Süddeutschen Zeitung vom 8. Januar 2018.