Unterwegs in Trumps Amerika

„Warum wünschen sich so viele Amerikaner Trump zurück ins Oval Office?“

„Warum wünschen sich so viele Amerikaner Trump zurück ins Oval Office?“ Foto: Atlantik-Brücke


Von Martin Klingst

Seit rund anderthalb Jahren ist er nicht mehr Präsident, doch Donald Trump ist nach wie vor allgegenwärtig. Gerade jetzt, da am 8. November Halbzeitwahlen sind und sämtliche 435 Abgeordnete des Repräsentantenhauses und 35 der 100 Senatorinnen und Senatoren neu gewählt werden, demonstriert er seine ganze Macht. Trump besetzt die Köpfe und beherrscht die Schlagzeilen, er zieht Strippen und sammelt Millionen von Dollar ein. Und über allem steht die Frage: Wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten in zwei Jahren noch einmal in den Ring steigen, um Präsident 47 zu werden?

Seine Partei hat er fest im Griff. Wehe den Republikanerinnen und Republikanern, die sich ihm entgegenstellen. Wehe jenen, die die Wahrheit aussprechen und sagen, Trump habe 2020 die Wahl gegen den Demokraten Joe Biden verloren und aus Wut darüber auf einer Kundgebung den Sturm aufs Kapitol mit angeheizt.

Zehn mutige republikanische Abgeordnete, die es im Januar 2021 gewagt hatten, gemeinsam mit den Demokraten ein Amtsenthebungsverfahren gegen den 45. Präsidenten zu beantragen, trifft seither nicht nur die geballte Wut des Donald Trump, sondern auch der unbändige Zorn der gesamten Parteibasis. Die vernichtende Folge: Nur zwei dieser zehn treten jetzt bei den Halbzeitwahlen noch einmal an, vier warfen aus Angst vor Trumps Vendetta das Handtuch, vier unterlagen in den Vorwahlen einem von ihm unterstützten innerparteilichen Konkurrenten. Das prominenteste Opfer des Furors: Liz Cheney, republikanische Abgeordnete aus dem Bundesstaat Wyoming und Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney.

Immer mehr Republikaner und Demokraten eint so gut wie nichts mehr.

Amerika ist über Donald Trump abgrundtief gespalten, seine Anhänger und seine Gegner, immer mehr Republikaner und Demokraten eint so gut wie nichts mehr, sie denken in unterschiedlichen Wertesystemen und leben offenbar auf unterschiedlichen Planeten. Mobilitätsstatistiken zeigen, dass Gleichgesinnte immer häufiger zu Gleichgesinnten ziehen. Blaue, demokratisch regierte Staaten und rote, republikanisch regierte Staaten trennen Welten.

Doch bei aller Beschäftigung mit Donald Trump, bei allen Versuchen, ihn und seine Gedanken zu lesen, gerät in Vergessenheit: Ohne Millionen von Unterstützern gäbe es ihn nicht in der amerikanischen Politik. Ohne ein riesiges Heer an Wählerinnen und Wählern wäre er 2016 nicht Präsident geworden.

Es ist richtig: Nach vier Amtsjahren war eine überwältigende Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner seiner überdrüssig, rund 81 Millionen Menschen votierten 2020 für seinen Herausforderer Joe Biden. Wahr ist aber auch: Rund 74 Millionen Wählerinnen und Wähler wollten Donald Trump im Amt halten – das waren fast 12 Millionen Menschen mehr, als noch 2016 für ihn gestimmt hatten. Er hat viele Wähler dazugewonnen und doch verloren. Wie Trump stemmen sich auch zwei Drittel der Republikanerinnen und Republikaner gegen diese Wirklichkeit und behaupten wider alle Fakten, die Demokraten hätten ihnen die Wahl 2020 gestohlen, der wahre Sieger heiße Donald Trump.

Was erklärt diese Vasallentreue? Warum wünschen sich so viele Amerikanerinnen und Amerikaner Donald Trump zurück ins Oval Office? Warum halten sie an einem Politiker fest, der spaltet, nachweislich lügt und immer wieder mit den Gesetzen in Konflikt gerät?

Was hatte ich nicht wahrgenommen oder vielleicht nicht wahrhaben wollen?

Die Frage nach Trumps Anziehungskraft beschäftigt mich seit Jahren. Von 2007 bis 2014 war ich für DIE ZEIT Korrespondent in der Hauptstadt Washington, auch danach bin ich regelmäßig in den USA gewesen und durchs Land gereist. Dennoch habe ich 2016 Trumps Wahlsieg nicht für möglich gehalten und blickte am Wahlabend zunächst ungläubig auf die Zahlen. Was hatte ich nicht wahrgenommen oder vielleicht nicht wahrhaben wollen? Schließlich waren Trump-Wähler für mich keine fremde Spezies, Anfang der siebziger Jahre lebte ich als Austauschschüler im Bundesstaat Colorado mitten unter ihnen. Mein damaliger Gastvater zum Beispiel, mit dem ich mich menschlich bestens verstand, hätte Trump im November 2016 gewählt, wäre er nicht kurz zuvor schwer erkrankt.

Ich wollte unbedingt herausfinden, was ich übersehen oder überhört hatte und was Menschen bewegte, ihr Schicksal und das Schicksal der Vereinigten Staaten Donald Trump anzuvertrauen. Gut ein Jahr nach seinem Sieg reiste ich kreuz und quer durch die USA zu mehreren Dutzend seiner Wählerinnen und Wähler. Zwei befreundete amerikanische Journalisten, der liberale Craig Gilbert vom Milwaukee Journal Sentinel und der konservative John Gizzi von Newsmax, die seit vielen Jahren umfangreiche Wähler- und Datenrecherchen betreiben, halfen mir, die richtigen Protagonisten zu finden: Männer wie Frauen, Stadt- wie Landbewohner, Süd- wie Nordstaatler, Menschen mit und ohne College-Abschluss.

Meine Interviewpartner empfingen mich überaus freundlich. Sie stellten mich ihren Familien vor, zeigten mir stolz ihre Gegend und ließen sich geduldig stundenlang zu ihren Überzeugungen befragen. Freimütig standen sie Rede und Antwort, waren geradezu begierig, mir ihre Lebensgeschichten zu erzählen und ihre Sicht der Dinge zu erläutern. Aus diesen Begegnungen entstand im Herbst 2018 im Reclam Verlag das Buch „Trumps Amerika. Reise in ein weißes Land.“

Ich hielt über die Jahre Kontakt zu den von mir Porträtierten. Alle hatten Trump 2020 wiedergewählt. Als ich Anfang 2022 bei ihnen anrief und wissen wollte, ob ich sie noch einmal interviewen dürfte, sagten alle sofort freudig zu. Weil Trump die Republikanische Partei beherrscht und 2024 als Präsident wiederkehren könnte, hatte die Atlantik-Brücke die Idee, dass ich einige der Befragten noch einmal aufsuche, um herauszufinden, ob sich ihr Urteil über Trump und ihre Sicht auf die Welt inzwischen geändert hatte. Also machte ich mich im April 2022 wieder auf den Weg nach Arkansas, Virginia, Pennsylvania und Wisconsin, oft begleitet von Katharina Draheim, Fotografin und Leiterin der Kommunikation der Atlantik-Brücke.

Dieses Mal aber veränderte ich meine Auswahl. Wieder mit Unterstützung der beiden amerikanischen Journalisten fügte ich meiner Liste Trump-Wählerinnen und -Wähler hinzu, die einer amerikanischen Minderheit angehörten, also zum Beispiel Hispanics oder Afroamerikaner sind. Ich wollte eine Lücke schließen.

Amerikas Minderheiten könnten wahlentscheidend sein.

In meinem Buch waren nur weiße Amerikanerinnen und Amerikaner zu Wort gekommen, hatten doch Analysen ergeben, dass vor allem sie mit großer Mehrheit Trump wählen. Das traf auch 2020 wieder zu, erneut stimmten wieder 58 Prozent aller weißen Wähler für ihn. Doch die alte These, dass Republikaner und vor allem einer wie Trump bei Minderheiten keinen Stich machen kann, stimmt so nicht mehr. Zwar machten gemäß einer Nachwahlbefragung des Fernsehsenders CNN „Hispanics“ (65%), „African Americans“ (87%) und „Asian Americans“ (61%) auch 2020 mit großem Abstand ihr Kreuz beim Demokraten Joe Biden, doch zu aller Überraschung konnte Trump bei den Minderheiten im Vergleich zu 2016 ein paar Prozentpunkte wettmachen: Laut CNN gewann er bei den „African Americans“ 4 Prozentpunkte, bei den „Hispanics“ 3 Prozentpunkte und den „Asian Americans“ 5 Prozentpunkte hinzu. Und wie US-Wahlen immer wieder unter Beweis stellen: Schon kleinste Verschiebungen können große Wirkung entfalten. Sollte Trump 2024 noch einmal antreten, könnten Amerikas Minderheiten wahlentscheidend sein.

Die Annahme jedenfalls, dass Amerikas Minderheiten auf alle Zeiten ein Anhängsel der Demokraten sind, ist falsch. Untersuchungen des renommierten Umfrageinstituts Pew Research Center belegen, dass gerade etliche Latinos und Latinas, aber ebenso zahlreiche Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner religiös und gesellschaftspolitisch eher konservativ eingestellt sind und – wie viele Republikaner – ein Recht auf Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Ehe ablehnen.

Inzwischen bewerben sich auch immer mehr Angehörige von Minderheiten im Namen der Republikanischen Partei für ein politisches Amt, oft mit Erfolg. Im Juni zum Beispiel gelang der Latina Maya Flores im Süden von Texas an der Grenze zu Mexiko ein Überraschungssieg. Bei einer Nachwahl nahm sie den Demokraten einen für sicher geglaubten Sitz im US-Repräsentantenhaus ab. Und immer öfter setzen sich gerade Latinas oder Afroamerikanerinnen bei den Republikanern gegen innerparteiliche Konkurrenten durch, nicht selten mit der Unterstützung von Donald Trump.

Wie denken diese Trump-Anhängerinnen und -Anhänger? Welche Werte vertreten sie? Warum sind sie, wie einer von ihnen zu mir sagte, davon überzeugt: „Trump ist von allen immer noch der Beste!“? In den kommenden Wochen bis zu den Halbzeitwahlen am 8. November werde ich zehn von ihnen vorstellen. Fünf sind Weiße, fünf Angehörige von Minderheiten. Einige haben bloß ihr Kreuz hinter Trump gemacht, andere sind in der Republikanischen Partei engagiert.

Ich bewerte diese Wählerinnen und Wähler nicht, Be- und Verurteilungen gibt es genug. Ich lasse sie ungeschminkt erzählen, wie sie ihr Leben, wie sie Amerika und die Welt sehen. Jeder Leser und jede Leserin soll sich ein eigenes Bild machen können. Und vielleicht geht es manchem dabei wie mir: Die hier Porträtierten leben zwar im fernen Amerika. Aber es gibt auch in der eigenen Nachbarschaft, im Familien- und Freundeskreis Menschen, die im einen oder anderen Punkt so empfinden wie etwa Yesli Vega aus Virginia, Nche Zama aus Pennsylvania, Nancy Anderson aus Arkansas oder Rick Burdick aus Wisconsin. Nette, sympathische Menschen, die ganz anders, mitunter fundamental anders denken als man selbst.

Wie schafft man es, dass Gesellschaften ob ihrer Gegensätze nicht auseinanderbrechen?

Wie schafft man es, dass Gesellschaften ob ihrer Gegensätze nicht auseinanderbrechen? Ein Patentrezept dafür gibt es nicht. Aber bevor man sich streitet und notwendigerweise auch streiten muss, ist es vielleicht ein erster Schritt, der oder dem Anderen erst einmal zuzuhören, was er oder sie zu sagen hat, zu wissen, warum er oder sie so denkt.

Als Trump im November 2016 überraschend die Präsidentschaftswahl gewann, versammelten sich tags darauf in Washington die führenden Köpfe einer großen Denkfabrik und fragten sich, warum sie den Sieg nicht haben kommen sehen. „Vielleicht“, gab einer zu bedenken, „sollten wir uns alle sofort ins Auto setzen und über Land fahren, nach West Virginia oder Wisconsin zum Beispiel, zu Menschen, mit denen wir üblicherweise nicht ins Gespräch kommen“.

Lesen Sie das erste Porträt aus der Reihe hier.

Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.

Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.

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