Wie man Sprunginnovationen richtig fördert – Ein Blick jenseits des Atlantiks
Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung beschlossen, zwei Agenturen für „Sprunginnovationen“ zu gründen, um den Innovationsstandort Deutschland im internationalen Vergleich besser aufzustellen. Die US-amerikanische Forschungsförderungsagentur DARPA angesiedelt beim Verteidigungsministerium diente dabei ganz offensichtlich als Vorbild, an dem man sich orientieren möchte.
Von Christoph Meinel
Der Erfolg der DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency, früher nur ARPA) ist unbestritten. Wegweisende Innovationen wie das Internet, das TCP-IP Internetprotokoll, GPS, Tarnkappentechnologie und Siri wurden durch sie angestoßen und belegen die Effektivität der US-Agentur. Es scheint also eine gute Idee zu sein, die Struktur der DARPA zu kopieren und auf Deutschland zu übertragen.
Um diesen strukturellen und organisatorischen Transfer in der Forschungsförderung nach Deutschland zu bewerkstelligen, sollte man sich aber sehr genau vergegenwärtigen, wie die DARPA in den USA organisiert ist. Es wird nichts nützen, alte Modelle der Forschungsförderung in Deutschland nur neu zu benennen, sondern es sind tiefgreifende Veränderungen bei der Mittelvergabe, Innovationskultur und bei Beschäftigungsverhältnissen von Forschern notwendig.
Die DARPA fungiert als eigenständige Organisation, die dem US-Verteidigungsministerium untersteht und derzeit ein jährliches Budget von circa drei Milliarden US-Dollar für etwa 250 Forschungsprojekte verwaltet. Die DARPA unterhält keine eigenen Labore oder festangestellte Forschergruppen. Das Rückgrat der DARPA bilden rund 100 Projektmanager, die maximal fünf Jahre an Projekten der DARPA arbeiten und dabei im Wesentlichen die externen Forscherteams koordinieren, die Projekte antreiben und Abläufe planen und steuern. Diese Projektmanager sind keine akademischen Anfänger, aber auch keine Politiker, die sich bestimmten politischen Opportunitäten unterwerfen müssen. Es sind ausgewiesene Spezialisten anwendungsorientierter Forschung an Universitäten oder in Unternehmen. Nicht jeder Projektmanager ist promoviert, aber ein Multitalent, das den Stand einer aktuellen Technologie kennt und bewiesen hat, Technologieprojekte erfolgreich prozessorientiert, unternehmerisch und auf der Basis von quantifizierbaren Ergebnissen umzusetzen.
Komplexe Interaktion von Spezialisten verschiedener Disziplinen
Gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium lobt die DARPA „Challenges“ aus, die keine kleinteiligen Forschungsfragen einzelner Fachdisziplinen betreffen, sondern umfassende Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen erfordern. Es geht um Fragen, wie in Echtzeit globale und dezentrale Kommunikation möglich ist, wie Flugzeuge „unsichtbar“ werden können, Maschinen Menschen verstehen oder wie Roboter autonom agieren können. Es ist klar, dass die Antwort auf derartige Fragen nicht durch die Anwendung oder Optimierung einer schon bekannten Technologie gefunden werden kann, sondern eine komplexe Interaktion von Spezialisten verschiedener Disziplinen erfordert. Es geht darum, den aktuellen Forschungsstand in jedem der beteiligten Gebiete über die bekannten Methoden hinaus zu entwickeln. Gleichzeitig werden solche Projekte nicht schon als Erfolg gewertet, wenn die avisierten großen Fragen geklärt werden, sondern erst, wenn aus den Nebenprodukten bei der Beantwortung der großen Fragen ganz neue Erkenntnisse und vor allem innovative Anwendungen entstehen.
Für ein einzelnes Forschungsprojekt können bis zu 40 Ausnahmewissenschaftler aus Universitäten und Industrie weltweit verpflichtet werden, die entsprechend an den einzelnen Teilaufgaben arbeiten und sich halbjährlich treffen, um die Arbeitsfortschritte zu besprechen und Neujustierungen im Projekt vorzunehmen. Es geht also gerade nicht darum, wie in Deutschland üblich, einen Antrag von mehreren Hundert Seiten zu erarbeiten und einzureichen und dann über die nächsten Jahre nur „abzuarbeiten“, sondern beständig im Prozess neu Gelerntes zu bewerten und die Projektarbeiten und -ziele in Einvernehmen mit den involvierten Teammitgliedern entsprechend neu zu justieren. Hier wird auch deutlich, dass die DARPA-Projektmanager keine einfachen Wissenschaftsreferenten sein können, sondern eine komplexe und herausfordernde Geschäftsführertätigkeit wahrnehmen, die höchste technische Expertise verlangt. Entsprechend müssen solche Positionen auch mit international konkurrenzfähigen Vergütungen honoriert werden. Gleiches gilt für die beteiligten Top-Wissenschaftler.
Forschungsergebnisse der DARPA sind in der Regel auch keine streng geheime Verschlusssache, sondern sollen möglichst rasch in den Transfer überführt werden, indem Ausgründungen gefördert und bestehende Unternehmen bei der Entwicklung von neuen Produkten unterstützt werden, wie beispielsweise die Spracherkennung bei Apples Siri.
Innovation lebt vom Wandel
Vor welchen Herausforderungen steht die Überführung des DARPA-Konzepts bei der Anwendung in den Agenturen für Sprunginnovationen in Deutschland? Zunächst einmal müssen die Zuständigkeiten geklärt werden. Es ist an sich schon kein gutes Zeichen, wenn sich das BMWi und das BMBF die Zuständigkeit für eine der Agenturen teilen. Organisatorische Konflikte sind vorprogrammiert. Es ist weiterhin nicht einleuchtend, warum es zwei solche Organisationen in Deutschland braucht (die zweite unter der Koordinierung des BMVg), die sich potenziell gegenseitig die Fachkräfte streitig machen werden. Wenn weiterhin die Sprunginnovationsagenturen strukturell nicht unabhängig von politischen Opportunitäten sind, werden sie nicht leisten können, was sie versprechen. In diesen Agenturen dürfen keine Beamten arbeiten, die auf Lebenszeit verpflichtet sind. Innovation lebt vom Wandel, das muss sich auch in einer in Deutschland ohnehin nur schwer zu organisierenden dynamischen Beschäftigungspolitik in völliger Eigenverantwortung widerspiegeln. Bei der Einstellung von Projektmanagern müssen international wettbewerbsfähige Gehälter auf Geschäftsführerebene gezahlt werden können. Mit TVöD wird man nicht das Personal bekommen, das gebraucht wird und die entsprechende Expertise mitbringt. Die „Durchlässigkeit“ zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, wie sie in den USA und auch in Israel praktiziert wird, gibt es so in Deutschland nicht und ist strukturell nicht leicht erreichbar (Beamtensystem). Nur wenn es für Topkräfte möglich wird, zwischen ihren Positionen unkompliziert zu wechseln, wird das Vorhaben gelingen. Dass die Umsetzung solcher agiler Verfahren in Deutschland schwierig wird, hat der Bundesrechnungshof bereits im Oktober 2018 durchblicken lassen, der moniert, dass die vorgestellte Struktur der Agenturen für Sprunginnovation die „Transparenz“ des Bundeshaushalts in Frage stellen könnten und damit unzulässig seien.
Neben den strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen, die man beim Konzepttransfer bedenken muss, birgt die größte Hürde wohl die Transformation der Forschungs- und Unternehmenskultur in Deutschland. Es ist im öffentlichen akademischen Betrieb weithin verpönt, mit der Industrie zusammenzuarbeiten und anwendungsorientiert zu forschen. Noch schlimmer steht es um die öffentliche Wahrnehmung der Forschung für die Landesverteidigung. Viele Universitäten forcieren Zivilklauseln, die Forschung für militärische Zwecke ausschließen. Das solche Haltungen naiv und kontraproduktiv sind, wird jedem klar, wenn es bedeutet, auf Internet, GPS, Künstliche Intelligenz etc. zu verzichten. In einem Land, in dem noch vor wenigen Monaten ein Landesverband einer Regierungspartei einen Antrag eingereicht hat, der ein Verbot von Werbung für die Bundeswehr fordert, weil sie als „Werbung zum Morden“ aufgefasst wird, ist es schwer, entsprechende Fördergelder, die in Deutschland ohnehin zu gering sind, umzusetzen. Dabei könnte eine beherzte Forschungsförderung über die Bundeswehr gleich mehrere Fliegen auf einmal schlagen, denkt man auch an das 2-Prozent-Ziel der NATO.
Prof. Dr. Christoph Meinel ist Institutsdirektor und Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts für Softwaresystemtechnik GmbH. Dort fungiert er in Forschung und Lehre auch als Inhaber des Lehrstuhls für Internet-Technologien und Systeme.