„Wir Afroamerikaner wurden zum Stimmvolk der Demokraten“
Von Martin Klingst
Afroamerikanische Wähler, insbesondere die Wählerinnen machen ihr Kreuz ganz überwiegend bei den Demokraten, oft zu mehr als 90 Prozent. Die übliche Erklärung dafür lautet, sie täten es einerseits aus alter Dankbarkeit, weil die Demokratische Partei mit ihrer Mehrheit im US-Kongress die Wohlfahrts- und Bürgerrechtsreformen einführte, andererseits aus Kalkül, weil sich auch heute eher die Demokraten als die Republikaner für die Anliegen der Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner starkmachte
Schwarz gleich Demokrat – das war und ist offenbar (fast) immer noch ein Naturgesetz. Auch Joe Bidens hat seinen Sieg unter anderem den vielen afroamerikanischen Stimmen zu verdanken. Was dabei allerdings unter den Tisch fiel, aber im Hinblick auf künftige Wahlen und Wählerbewegungen wichtig ist: Zur großen Überraschung konnte Trump 2020 – im Vergleich zu 2016 – bei Afroamerikanern ein paar Prozentpunkte wettmachen, vor allem bei den männlichen Wählern.
Shannon Whitworth aus Cedarburg im US-Bundesstaat Wisconsin, einer kleinen, wohlhabenden Gemeinde in Ozaukee County am Rande der Großstadt Milwaukee, ist einer von ihnen. Der Afroamerikaner hat sogar zweimal für Donald Trump gestimmt. Das erste Mal, 2016, allein aus Abneigung gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Vier Jahre später, 2020, aus Überzeugung, weil er fand, dass Trump einen guten Job gemacht hatte.
Whitworth, ehemaliger Wirtschaftsadvokat und Staatsanwalt, hat seinen Juristenberuf an den Nagel gehängt und ist Lehrer geworden. Seit 2018 bringt er an der Milwaukee Lutheran High School schwarzen Getto-Kindern bei, wie man verantwortlich mit Geld umgeht und eine eigene Existenz gründet. Der 52-Jährige ist mit einer weißen Amerikanerin verheiratet, die in seinen Worten „so irisch ist, wie man irisch sein kann“, und hat mit ihr einen Sohn und eine Tochter.
Er ist kein Republikaner, aber, wie er selbst sagt, „von stramm konservativer Gesinnung“.
Whitworth schreibt hin und wieder politische Kolumnen für rechte Denkfabriken und Zeitschriften. Er ist kein Republikaner, aber, wie er selbst sagt, „von stramm konservativer Gesinnung“. Im Frühjahr 2022 wurde er in Ozaukee County mit einem Vorsprung von gerade einmal acht Stimmen ins Board of Supervisors gewählt, ein Gremium, das die finanziellen Angelegenheiten des Bezirks managt. Er warb für eine strenge Ausgabenpolitik und einen verstärkten Kampf gegen Kriminalität.
Shannon Whitworth gehört zu jener wachsenden Gruppe von Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen, die sich nicht, nur weil sie schwarz sind, von den Demokraten vereinnahmen lassen wollen. Zum Gespräch lud der hochgewachsene, korpulente ehemalige College-Football-Spieler in sein schmuckes Haus unweit des historischen Zentrums von Cedarburg.
„Ich musste erst die Dreißig überschreiten, bis ich endlich damit begann, Dinge infrage zu stellen, die ich lange als gegeben betrachtet hatte. Alle in meiner Familie wählten die Demokraten, auch ich, das gehörte zum guten Ton. ‚Die Demokraten sind für uns Schwarze da,‘ hieß es immer.
Als junger Mensch bezweifelte ich das auch nicht, allerdings las ich begierig Beiträge mit anderen Meinungen. Weil wir uns keinen Urlaub leisten konnten, hielt ich mich in den Sommerferien besonders gerne im Buchladen der Universität von Ann Arbor auf, blätterte in den Zeitungen und stöberte in den Regalen nach Lesenswertem. Irgendwann einmal kaufte ich ein Soldatenmagazin und wurde sofort beschimpft, wie ich mich nur mit einem solchen Unsinn beschäftigen könne. Ich ließ mich nicht einschüchtern und erwiderte trocken: ‚Man sollte sich immer umfassend informieren und alle Seiten hören.‘
Meine Eltern trennten sich früh und ich wuchs allein bei meiner Mutter auf, in einem kleinen Reihenhaus, einem Sozialbau, gleich neben einer Müllhalde am Rande von Ann Arbor im US-Bundestaat Michigan. Meine Mutter hatte eine Anstellung beim Telefonunternehmen Michigan Bell, das später AT&T hieß. Sie arbeitete lange Stunden für wenig Lohn, unser Haushaltsbudget war immer auf Kante genäht.
Mrs. Whitworth war eine gute Mutter. Als sie später, nach ihrer Pensionierung, schwer an Krebs erkrankte, fuhr ich ständig zwischen Ann Arbor und Cedarburg, wo ich inzwischen mit meiner Familie lebte, hin und her. Ich wollte, so oft es ging, bei ihr sein, sie pflegen, ihre letzten Dinge regeln. Alle sagen immer, die USA seien ein tief gespaltenes Land. Das stimmt, aber wenn jemand in Not ist, halten wir zusammen. Wann immer ich meine Mutter besuchte, brachten unsere politisch linksstehenden Nachbarn hier in Cedarburg meiner Frau Essen. Sie mähten den Rasen und halfen auch sonst.
Ich habe meiner Mutter viel zu verdanken.
Ich habe meiner Mutter viel zu verdanken. Sie entschied damals, dass wir in Ann Arbor wohnen blieben und nicht zu Verwandten nach Detroit zogen, obwohl das Leben für sie als alleinerziehende Frau im Kreise ihrer Familie einfacher gewesen wäre. Doch meine Mutter wollte, dass ich etwas lerne, und die öffentlichen Schulen in Ann Arbor waren nun mal viel besser als die in Detroit.
Meine Mutter war äußerst diszipliniert, in ihren über 30 Jahren bei der Telefongesellschaft hat sie nicht einen einzigen Arbeitstag versäumt. Auch ich durfte nicht im Unterricht fehlen und musste nach der Schule immer erst meine Hausaufgaben machen. Zu einem meiner Lehrer sagte sie mal: ‚Wenn mein Junge nicht ordentlich lernt und aus der Reihe tanzt, geben sie ihm eins aufs Hinterteil. Und dann sagen Sie es bitte mir, damit ich ihn abends noch einmal versohlen kann.‘
Nach der High School ging ich zum Studium nach Minnesota, aufs Macalester College in St. Paul, eine sehr bekannte und ziemlich linke Uni. Wenn ich mich nicht irre, war sie eine von zwei Universitäten in den USA, vor deren Toren statt der Amerika-Flagge die Fahne der Vereinten Nationen wehte. Ich war groß und kräftig und ein sehr guter Football-Spieler, aber das College vergab leider keine Sportstipendien. Also nahm ich einen Kredit auf und finanzierte mein Studium mit Gelegenheitsjobs.
Mein Abschluss in Geschichte, Politikwissenschaften und Recht & Gesellschaft war allerdings nicht viel wert, und ich verdiente mein Geld als Türsteher vor einer Bar und als Sicherheitsmann in einem Einkaufszentrum. Nach einiger Zeit sagte ich zu mir: ‚Shannon, so kann es nicht weitergehen, du musst einen Beruf erlernen und Fähigkeiten entwickeln, für die man dich angemessen bezahlt.‘ Also entschied ich, Anwalt zu werden und studierte an der University of Wisconsin in Madison Jura. In Wisconsin bin ich seitdem hängengeblieben.
Ich begann mich allmählich von meinen politischen Vorprägungen zu lösen.
In dieser Zeit begann ich auch, mich allmählich von meinen politischen Vorprägungen zu lösen. Ich erinnere mich noch gut, dass ich gegen Ende meines Jurastudiums einigen Austauschstudenten aus Dänemark oder den Niederlanden begegnete, die stolz davon berichteten, dass in ihrer Heimat die Ausbildung umsonst und jeder Bürger krankenversichert sei. Der Staat, sagten sie, meine es gut mit den Menschen und wolle ihnen das Leben erleichtern.
Ich war schockiert. Der Staat als Bedienungsladen? Was die Studenten aus Europa priesen, widersprach allem, was ich für gut und richtig hielt. Ich war der Meinung von Präsident John F. Kennedy, übrigens ein Demokrat, der bei seiner Amtseinführung im Januar 1961, neun Jahre vor meiner Geburt, den Amerikanern ins Gewissen geredet hatte: ‚Frag nicht, was dein Land für dich tun kann; frag, was du für dein Land tun kannst.‘
Nach dem Examen wurde ich Prozessanwalt, gründete mit zwei ehemaligen Studienkollegen eine Kanzlei, stieg wieder aus und arbeitete für mich allein. Finanziell war diese Selbstständigkeit eine Pleite, ich kam auf keinen grünen Zweig. Mir wurde klar, wenn ich heiraten, eine Familie gründen und Kinder haben wollte, musste ich in Gelddingen verantwortlicher und vorausschauender handeln. Also suchte ich mir einen Job bei einer Versicherungsgesellschaft, blieb drei Jahre und wechselte dann für zwölf weitere Jahre als Anwalt in eine Wirtschaftskanzlei.
Das erdete mich als ehemaligen Linken und öffnete mir die Augen für die Wirklichkeit. Ich begriff, dass freie Unternehmer nicht, wie manche Demokraten behaupten, Ausbeuter sind, sondern Stützen der Gesellschaft, dass wirtschaftliche Selbstständigkeit Ausdruck der individuellen Freiheit und Triebfeder unseres Wirtschaftssystems ist.
Das schwarze Amerika hat mit der Demokratischen Partei einen Faustischen Pakt geschlossen.
Und immer wieder stellte ich mir die Frage: Haben die Demokraten wirklich das Wohlergehen von uns Afroamerikanern im Auge? Hilft uns die Ausdehnung des Wohlfahrtsstaats tatsächlich? Ich hegte immer größere Zweifel, vertiefte mich in Bücher über unsere Geschichte und gelangte zu der Überzeugung, dass das schwarze Amerika mit der Demokratischen Partei einen Faustischen Pakt geschlossen hat: Für das Versprechen größerer Wohlfahrt erhielten die Demokraten als Gegenleistung politische Macht.
Warum faustisch? Weil wir Afroamerikaner zum Stimmvolk der Demokraten wurden und nicht verstehen wollten, dass ein ausufernder Sozialstaat uns nicht hilft, sondern, im Gegenteil, unsere Familien und Gemeinschaften zerstört.
Sie schütteln ungläubig den Kopf? Aber genauso ist es. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Warum gibt es in den USA so viele alleinerziehende schwarze Mütter? Weil sie für ihre Babys nur dann Geld vom Staat bekommen, wenn der Erzeuger sich aus dem Staub gemacht hat. Diese Politik ist fatal, sie hat die schwarzen Väter aus dem Haus getrieben und eine traurige Kultur geschaffen: Die Männer schwängern Frauen, aber scheren sich nicht um die Kinder, die Verantwortung für Erziehung und Fürsorge obliegt anderen, vor allem dem Staat. Dabei war die Kleinfamilie, waren Vater, Mutter, Kinder einst der Kern und die Stütze der schwarzen Gemeinschaft.
Ich bin ein religiöser Mensch, die meisten Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen sind gläubig, waren es zumindest lange. Die Gotteshäuser sind ein wichtiger Treffpunkt, eine soziale Institution. Doch mit der von den Demokraten betriebenen Säkularisierung der Gesellschaft lösen sich diese Bindungen auf. Die Folgen sind gerade für junge Menschen verheerend, sie flüchten sich in Drogen, werden kriminell, in den Gefängnissen sitzen besonders viele junge schwarze Männer. Ganze Generationen werden auf diese Weise verdorben. In meiner Zeit als stellvertretender Staatsanwalt in Ozaukee County, wo ich hauptsächlich für Verkehrsdelikte zuständig war, konnte ich ein Lied davon singen. Viele Unfälle und Straftaten passierten unter dem Einfluss von Drogen.
Was also ist der beste Weg, um sich aus Schwierigkeiten herauszuhalten? Da muss man nicht lange nachdenken, die Antwort liegt auf der Hand: Du machst einen Schulabschluss und ergreifst einen Beruf, der dich ernährt. Als verantwortungsbewusster Mensch bekommst du erst dann Kinder – und möglichst auch nur, wenn du verheiratet bist. Du hältst an der Ehe fest und widmest dich gemeinsam mit deinem Partner oder deiner Partnerin der Erziehung des Nachwuchses. Das ist meine tiefste Überzeugung.
Ich habe in meinem Leben wirklich häufig den Beruf gewechselt, fühlte mich oft nicht ausgefüllt, aber in dem, was ich jetzt mache, habe ich meine Berufung gefunden. Bekannte brachten mich vor ein paar Jahren mit der Milwaukee Lutheran High School zusammen. Seit 2018 lehre ich an dieser religiös geprägten Schule Jugendliche das Einmaleins, die Grundsätze eines verantwortlichen finanziellen und unternehmerischen Handelns. Wirtschaftliche und religiöse Werte gehören für mich zwangsläufig zusammen, sie greifen ineinander.
Fast alle unserer knapp 900 Schülerinnen und Schüler sind schwarz und arm. Sie haben nicht gelernt, eigenverantwortlich zu agieren, haben keine Ahnung, wie man mit Geld umgeht und warum es wichtig ist, über ein kleines finanzielles Polster zu verfügen. Meine Leitfäden fließen in den ganz normalen Unterricht mit ein. Außerdem leite ich an der Schule die Free Enterprise Academy, wo wir in speziellen Kursen Fähigkeiten vermitteln, die notwendig sind, wenn man zum Beispiel ein eigenes Geschäft gründen, einen eigenen Laden aufmachen will.
Dieses Grundwissen hilft Getto-Kindern weit mehr als etwa Kenntnisse über die sogenannte Critical Race Theory, die Demokraten vielerorts zum festen Bestandteil des Schulcurriculums machen wollen. Sich mit systemischem Rassismus zu befassen hat meiner Meinung nach nichts im Unterricht zu suchen, damit kann jeder sich, der will, später an der Uni beschäftigen. Natürlich gibt es Rassismus, aber eher einen individuellen und keinen institutionellen, Letzterer wurde mit den Bürgerrechtsgesetzen abgeschafft. Ich halte absolut nichts von der These, dass sich unser Land in Unterdrücker und Unterdrückte teilt und es allein von der Hautfarbe abhängt, zu welcher der beiden Gruppen man gehört.
Als Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, versprach er, Schwarze zu fördern. Aber was tat er zunächst? Er lud Film- und Popsternchen ins Weiße Haus ein, traf sich mit Jay-Z und Beyoncé. Donald Trump hingegen rief unverzüglich sämtliche Präsidenten von Amerikas traditionell schwarzen Universitäten zu sich und erhöhte das Fördergeld. Dank seiner Politik und der prosperierenden Wirtschaft fanden viele Afroamerikaner einen Job, ihre Arbeitslosigkeitsrate sank auf einen historischen Tiefstand. Wer also hat mehr für Schwarze getan?
Vier Jahre später sah ich Trump mit völlig anderen Augen.
Zugegeben, ich war anfangs kein großer Trump-Anhänger, er schien mir ein Clown und Scharlatan zu sein. Gleichwohl gab ich ihm 2016 meine Stimme, wenn auch mit zugekniffener Nase, die Clintons hatten meiner Meinung nach noch mehr Dreck am Stecken. Vier Jahre später jedoch sah ich Trump mit völlig anderen Augen. Er hatte verdammt viel für unser Land getan: eine besser geschützte Grenze zu Mexiko, Energieunabhängigkeit, niedrigere Steuern, Ernennung konservativer Richter, mehr Geld der Europäer, auch von euch Deutschen, für die NATO, sogar die Schutzzölle, die ich als überzeugter Marktwirtschaftler nie sonderlich mochte, schienen zu wirken.
Sie wollen wissen, ob ich wie Trump glaube, dass die Demokraten die Wahl 2020 gestohlen haben? Selbstverständlich kam es zu Unregelmäßigkeiten und Fälschungen. Aber im großen Stil? Ich bin Jurist und in dieser Eigenschaft sage ich: Donald Trump ist den Beweis für seine Behauptung bislang schuldig geblieben. Ob er 2024 noch einmal antreten sollte? Ich weiß nicht, ob das im Alter von dann 78 Jahren eine so gute Idee wäre. Es kommt auf die Alternative an, Donald Trump war wirklich ein guter Präsident.
Lesen Sie das erste Porträt aus der Reihe hier.
Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.
Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.