Allgemein

„Wir dürfen nichts unversucht lassen“

Interview mit Alexander Graf Lambsdorff und Omid Nouripour zum Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen

Zum Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran haben wir Alexander Graf Lambsdorff und Omid Nouripour, beide Mitglieder des Vorstands der Atlantik-Brücke, fünf Fragen gestellt.

Die Regierung Trump hat das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Lassen Sie uns zunächst zurückblicken: Hat das Abkommen Ihrer Meinung nach zu Sicherheit und Stabilität in der Region beigetragen?

Omid Nouripour: Das Atomabkommen hatte ein klares Ziel: das iranische Atomprogramm so zu begrenzen, dass der Bau einer Bombe verhindert und einer nuklearen Aufrüstungsspirale im Nahen Osten vorgebeugt wird. Diesen Zweck hat es erfüllt. Die Kontrollen waren historisch streng, und der Iran hat sich an seine Seite des Abkommens gehalten.

Die Verhinderung eines nuklearen Rüstungswettlaufs war ein wichtiger Beitrag zu Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten. Saudi-Arabien hat klargemacht, dass es im Falle einer nuklearen Bewaffnung des Iran nachziehen würde. Andere Staaten wie etwa die Türkei könnten folgen. Das hätte verheerende sicherheitspolitische Konsequenzen in der Region und für Europa.

Ein Allheilmittel ist das Abkommen aber natürlich nicht. Deswegen ist es unfair, sich jetzt hinzustellen und zu sagen: der Iran unterstützt noch immer das mörderische Assad-Regime und bedroht Israel, deswegen hat der Deal versagt. Diese Probleme waren nie Gegenstand des Abkommens. Wir müssen sie separat angehen.

Alexander Graf Lambsdorff: Der Kern des Abkommens war es, das Atomprogramm des Iran für die Internationale Atomenergiebehörde durch Inspektionen transparent zu machen, und bei diesen Inspektionen ist herausgekommen, dass es zurzeit keine militärischen Aktionen dort gibt. Diese Feststellung hat natürlich in dieser extrem volatilen Region ein wenig zur Stabilität beitragen können. Deswegen ist es bedauerlich, dass es jetzt von den Amerikanern gekündigt worden ist.

Wieso ziehen sich die USA jetzt aus dem Abkommen zurück?

ON: Trump zieht sich aus rein innenpolitischen Gründen aus dem Abkommen zurück. In seiner Wählerschaft kann man mit anti-iranischer Rhetorik punkten. Das hat teilweise gute Gründe: Irans Verhalten in der Region ist ja tatsächlich ein riesiges Problem. Aber das Problem wird nicht kleiner, wenn es nuklear wird.

AGL: Es gibt einerseits einen neuen Ansatz im außenpolitischen Denken in der Umgebung des Präsidenten mit seinem neuen Sicherheitsberater und seinem neuen Außenminister. Andererseits war es ein Wahlkampfversprechen, und er setzt sich damit bewusst – das ist die innenpolitische Dimension – von seinem Vorgänger ab.

Welche Folgen hat die Entscheidung der USA?

AGL: Das bleibt abzuwarten. Für Europa ist jetzt wichtig, gemeinsam mit Russland und China den Kern des Abkommens, das Inspektionsregime in den Anlagen zu erhalten. Die USA haben gleichzeitig wieder Sanktionen verhängt. Deshalb ist natürlich für die iranische Seite, für die die positive Seite des Abkommens der Zugang zu den Weltmärkten war, wichtig, wie weitere wirtschaftliche Aktivitäten organisiert werden können. Wenn es gelingt, beide Seiten zu erhalten, könnte das Abkommen noch gerettet werden.

ON: Zuerst einmal ist es ein massiver Bruch in der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der USA – international wie transatlantisch. Wir brauchen ja gerade diese Einigkeit, um zum Beispiel der iranischen Regionalpolitik entgegenzutreten. Zudem wird die außenpolitische Debatte über den Iran wieder vollständig auf das Atomthema zentriert werden. Statt über die Syrien-Politik zu sprechen, über die Unterstützung von Hamas und Hisbollah, das iranische Raketenprogramm oder die verheerende Menschenrechtslage wird es wieder nur um die Nuklearfrage gehen.

Im Iran selbst stärkt die Entscheidung der USA die Hardliner, die schon immer gesagt haben, dass dem Westen nicht zu trauen sei. Omid Nouripour

Im Iran selbst stärkt es natürlich die Hardliner, die schon immer gesagt haben, dass dem Westen nicht zu trauen sei und man keine Verhandlungen mit ihm führen solle. Das ist nicht in unserem Interesse. Ein Ende des Deals würde auch die Möglichkeiten zum zivilgesellschaftlichen Austausch, zu Reisen und Begegnungen verengen. Dabei brauchen wir diese Kanäle, auch um im Iran selbst Veränderungen anzustoßen.

Schließlich gibt es das Drohszenario eines nuklearen Rüstungswettlaufs im Nahen Osten, das ich schon erwähnt habe. Das könnte ganz wortwörtlich zum Super-GAU führen.

Kann Europa das Abkommen ohne die USA retten?

AGL: Das ist keine Aufgabe für Europa alleine, sondern für Europa mit Russland und China. Ich könnte mir vorstellen, dass Teheran daran gelegen ist, eine Verbindung zu Moskau und Peking ebenso wie zur Europäischen Union zu demonstrieren und dass man in bestimmten Bereichen zusammenarbeiten kann.

Es gibt Aktivitäten des Iran, die wir besonders kritisch sehen – das gilt insbesondere für das Raketenprogramm und die regionalen Aktivitäten insbesondere im Hinblick auf Israel, dem der Iran ja sogar die Existenzberechtigung abspricht. Mit anderen Worten: Das Abkommen ist keines unter Freunden, sondern eines, mit dem ein ausgesprochen aggressives, ausgreifendes Regime davon abgehalten werden soll, die schrecklichste Waffe zu bekommen, die es gibt. Wenn es gelingt, diesen Kern zu erhalten, dann wäre schon viel gewonnen. Versuchen müssen wir es auf jeden Fall.

Das Abkommen mit dem Iran ist keines unter Freunden, sondern eines, mit dem ein ausgesprochen aggressives Regime davon abgehalten werden soll, die schrecklichste Waffe zu bekommen, die es gibt.Alexander Graf Lambsdorff

ON: Europa kann und muss, gemeinsam mit China und Russland, den Versuch einer Rettung wagen. Wir sind da sozusagen in eine diplomatische Zwangsehe gedrängt.

Der Iran hat angekündigt, sich vorerst an das Abkommen halten zu wollen. Es gibt einige Hebel, die wir bedienen können. Wir müssen unsere Unternehmen vor den seitens der USA angekündigten Sanktionen bestmöglich schützen, damit legitime Geschäfte mit dem Iran nach wie vor stattfinden können und Investitionen in das Land getätigt werden können.

Das wird schwierig, aber wir dürfen nichts unversucht lassen. Das Alternativszenario eines nuklearen Nahen Ostens ist zu schrecklich.

Wie wird sich die Entscheidung der USA auf das transatlantische Verhältnis auswirken?

ON: Das transatlantische Verhältnis basiert auf der Freundschaft unserer Völker. Es basiert auf Werten und ist damit belastbar. Dennoch hat es durch die Entscheidung und die Art, wie sie herbeigeführt wurde, einen herben Rückschlag erfahren. Die Interessen der Europäer, immerhin die engsten Verbündeten der USA, wurden vollständig außer Acht gelassen.

Wenn der Iran oder auch Nordkorea sehen, dass transatlantische Außenpolitik unverlässlich ist, sendet das eine Botschaft der Uneinigkeit und Unentschlossenheit. Die Folgen gerade in Bezug auf Pjöngjangs Atomwaffenpolitik oder eine erneute Krise rund um das iranische Atomprogramm könnten kaum schlimmer sein.

AGL: Das Abkommen ist erst 2015 in Kraft getreten, nachdem man 12 Jahre verhandelt hat. Der einseitige Rückzug der Amerikaner aus dem Abkommen wirft natürlich Fragen in Bezug auf die Vertragstreue und die Verlässlichkeit der USA auf, zumal dieses Abkommen ja auch vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eindeutig begrüßt worden ist. Es macht den Umgang mit den USA auf jeden Fall nicht leichter.

Interview: Katharina Draheim

Omid Nouripour, MdB, ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Graf Lambsdorff, MdB, ist stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag mit Zuständigkeit für Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik.

 

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie unsere Newsletter RECAP & INSIGHTS.