Wirtschaft und Finanzen

„Wir sind als Europäer bereit zu Gegenmaßnahmen“

„Wir sind als Europäer bereit zu Gegenmaßnahmen“ Ulrike Malmendier Foto: Sachverständigenrat Wirtschaft

Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier rät zu mehr europäischer Integration und Diversifizierung der Lieferketten in Reaktion auf die neue US Wirtschaftspolitik und verrät, was Deutschland aus Bidens Inflation Reduction Act lernen könnte.

Frau Malmendier, als Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geben sie der Bundesregierung regelmäßig Empfehlungen. Welche wirtschaftspolitischen Handlungsstrategien würden Sie der sich formierenden neuen Bundesregierung in Bezug auf die bisherige Politik von US-Präsident Donald Trump nahelegen?

Präsident Trumps Ansatz in den internationalen Beziehungen besteht darin, jede Interaktion als einen möglichen Deal zu sehen. Um bei einem solchen Verhandlungspartner möglichst gut dazustehen, ist es wichtig, aus einer Position der Stärke zu agieren. Das heißt vor allem, selbst wirtschaftlich gut dazustehen und wirtschaftlich unabhängig zu sein.

Meines Erachtens ist daher das sehr wichtige innen- und wirtschaftspolitische Ziel, nach fünf Jahren Stagnation endlich wieder in eine Wachstumsphase zu kommen, zugleich von hoher geostrategischer Bedeutung. Die nächste Regierung sollte alles daransetzen, die deutsche Wirtschaft fit für die Zukunft machen – und nicht bestehende Industriezweige zu subventionieren oder rückwärtsgewandt an unsere Strategien der 1980er Jahre zu denken. Zukunftsorientierte Investitionen sind gleichzeitig die beste Antwort auf Trumps Handelspolitik und die neue geopolitische Lage. Wirtschaftspolitiker sollten sich ständig fragen, was wachstumsorientiert ist und was das Potenzialwachstum von Deutschland stärken kann.

Zweitens würde ich betonen, dass Deutschland das nicht allein bewerkstelligen kann. Um mit einer so starken Wirtschaftskraft wie Amerika erfolgreich verhandeln zu können, müssen wir immer die europäische Perspektive haben. Das heißt, es wird jetzt noch wichtiger, als es ohnehin schon war, einen echten gemeinsamen Markt für Güter und Dienstleistungen ohne Friktionen sowie die Kapitalmarktunion voranzutreiben. Zudem gilt es, gemeinschaftlich darüber nachzudenken, wie die Energieversorgung gesichert werden kann im Sinne eines europäischen Plans. Gemeinschaftlich kann man viel effizienter vorgehen.

Über Europa hinaus würde ich auch sagen, dass die internationale Diversifizierung der Handelswege und Lieferketten, bei denen wir durch die Covid-Pandemie eine Art Schnellkurs gemacht haben, unbedingt weiterverfolgt und ausgebaut werden soll.  Ein positiver Nebeneffekt der geopolitischen Verschiebungen ist, dass Freihandelsabkommen wie Mercosur nun hoffentlich einfacher europaweit umgesetzt werden.

Im Moment dominiert die Diskussion über neue und zusätzliche US-Importzölle auf Güter aus Deutschland und Europa, aber auch aus China, Mexiko und Kanada den Blick auf Trumps Wirtschafts- und Handelspolitik. Die Gefahren einer erneut steigenden Inflation in den USA durch höhere Einfuhrtarife und selbst eine mögliche Rezession scheinen den Präsidenten nicht abzuschrecken. Wie schätzen Sie die Reaktion der EU-Kommission auf die US-Importzölle auf Stahl und Aluminiumprodukte ein, die Gegenmaßnahmen in zwei Stufen angekündigt hat?

Im Sinne des Themas, das wir gerade hatten, nämlich die Verhandlungsmacht zu stärken und Verhandlungsstärke zu zeigen, ist es meines Erachtens der richtige Schritt zu sagen: Wir sind als Europäer bereit zu Gegenmaßnahmen. Diese sind angemessen nach dem Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO). Insofern geht die Antwort der EU bisher in die richtige Richtung. Gleichzeitig muss uns klar sein, dass es für die europäische Wirtschaft und das europäische Wirtschaftswachstum am besten wäre, wenn wir deeskalieren könnten. Übrigens wäre das auch besser für das wirtschaftliche Wachstum in den USA. Alle Einschätzungen und Simulationen, die ich dazu gesehen habe, kommen zu dem Schluss, dass sowohl die kurzfristigen Effekte auf das Bruttoninlandsprodukt in den USA als auch die längerfristigen Wachstumseffekte und die Beschäftigungseffekte durchgehend negativ sein werden.

„In Zeiten wirtschaftspolitischer Unsicherheit fahren Unternehmenschefs im Zweifelsfall erst einmal ihre Investitionen zurück“

Die Turbulenzen, die es jetzt am Aktienmarkt und Anleihenmarkt gegeben hat, sind ein deutlicher Indikator, dass Trumps Wirtschaftspolitik ihre Spuren hinterlässt. Das zeitgleich mit dem Auf und Ab im Aktienmarkt, amerikanische Staatsanleihen an Wert verloren haben ist äußerst ungewöhnlich. Normalerweise sind sie Zeiten von Krisen oder großer Unsicherheit der „sichere Hafen“, in den Anleger Zuflucht nehmen.

Die Marktbewegungen verdeutlichen, wie belastend die wirtschaftspolitische Unsicherheit ist. Wenn man Zölle androht, sie dann nicht einführt bzw. wegzieht, verunsichert dies die Märkte enorm. Alle Unternehmenschefs fragen sich, wie sie mit dieser wirtschaftspolitischen Unsicherheit umgehen sollen und fahren im Zweifelsfall erst einmal ihre Investitionen zurück. Davon können wir in Deutschland ein Lied singen. Das Problem hatten wir bereits in den vergangenen Jahren, wenn auch in deutlich geringerem Maße, und dennoch war es eines der meistzitierten Gründe für die Zurückhaltung bei Investitionen.

In seiner ersten Amtszeit störte sich Präsident Trump immer wieder am amerikanischen Handelsbilanzdefizit insbesondere in Relation zu Deutschland und China. Könnte ihn das Argument überzeugen, dass starke deutsche Unternehmen mit Standorten in den Vereinigten Staaten, insbesondere aus der Automobilindustrie, nicht nur für Beschäftigung und Wohlstand in Amerika sorgen, sondern mit ihren Produkten für Märkte in aller Welt einen wichtigen Anteil am US-Export stellen?

Was heißt hier „überzeugen“? Generell dürfte er es begrüßen, wenn ausländische Firmen einschließlich der oft negativ kommentierten deutschen Automobilhersteller in die USA kommen und vor Ort produzieren. Das könnte auch beim Handelsbilanzdefizit helfen. Aber ich denke nicht, dass die Trump-Regierung dadurch die deutschen exportierenden Firmen positiver sieht und mehr von Zöllerhöhungen abgeschreckt wird.

In Deutschland trauern immer noch Politikerinnen und Wirtschaftsentscheider dem gescheiterten Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA nach. Wie fällt denn dagegen Ihre Zwischenbilanz des Trade and Technology Council (TTC) aus, der nach transatlantischen Fortschritten bei Standards und regulatorischer Kooperation in bestimmten Industriesektoren strebt?

Ich freue mich, dass es diese Bestrebungen nach wie vor gibt, dass also die Idee der Vereinfachungen des internationalen Handels noch nicht ganz aufgegeben ist und dass noch weiter nach einer Reduktion der bestehenden Friktionen gesucht wird. Aber es gibt noch nicht die konkreten Ergebnisse, die wir uns zu diesem Zeitpunkt gewünscht hätten. Ich befürchte, dass die neue politische Umgebung es nicht einfacher machen wird.

Allerdings ist ein guter Nebeneffekt des TTC, dass wir besser verstehen, dass die Bereitschaft, bei Standards, Normierungen und Regulierung den amerikanischen Produzenten und Produkten entgegenzukommen, eine gute Verhandlungsmasse gegenüber Trump ist. Es lohnt sich unbedingt, diesen Aspekt aktiver zu nutzen.

„Wir sollten uns überlegen, in welchen noch riskanten Technologien Deutschland ganz vorne mitspielen könnte“

Eine der weitreichendsten Gesetzgebungen aus der Regierungszeit von Präsident Biden ist der Inflation Reduction Act (IRA), der über Subventionen und Steuererleichterungen im Volumen von etwa 370 Milliarden US Dollar grüne Technologien in den USA fördert und damit noch größere Investitionen auslöst. Noch ist nicht gänzlich klar, wie Trump mit dem IRA weiter verfahren wird. Sollte Deutschland eigene Subventionsprogramme nach Vorbild des IRA auflegen?

Zunächst möchte ich bemerken, dass die Amerikaner sagen würden, dass der IRA in gewisser Weise dem Vorbild der Europäer, insbesondere dem Green Deal mit seiner Subventionierung gefolgt ist.

Die Frage stellt sich trotzdem. Ich sehe eine Vorbildfunktion, und zwar die Art und Weise, wie die Förderung in den USA umgesetzt wurde. Spannend sind vor allem die sogenannten Investment and Production Tax Credits. Damit erhalten Unternehmen Anreize, in den geförderten Bereichen gezielt zu investieren. Das Gute daran ist die Planungssicherheit – die Unternehmen müssen keine komplizierten Anträge stellen und dann abwarten, ob sie gefördert werden. Bei Tax Credits ist die Förderung von vorneherein klar. Das erhöht die Bereitschaft auf Seiten der Wirtschaft, sofort mit Investitionen auf die wirtschaftliche Förderung zu reagieren. Sehr schnell zeigen sich dann auch positive Effekte. Unabhängig davon, ob grüne Technologie gefördert wird, hoffe ich sehr, dass die Deutschen und die Europäer weiter darüber nachdenken, wie man ein solches Instrument implementieren könnte.

„Gerade als Verhaltensökonomin weiß ich, wie wichtig es ist, dass die eigentliche finanzielle Förderung Hand in Hand geht mit einem psychologischen Signal“

Was die Frage eines Vorbilds im speziellen Sinn groß angelegter Industriepolitik angeht, also dass sich die Politik eine bestimmte Industrie aussucht und diese dann massiv fördert, habe ich als Marktwirtschaftlerin gemischte Gefühle. Im Vergleich zur Top-Down-Industriepolitik wissen Marktteilnehmer meist besser, in welchen Bereich man jetzt in großem Volumen hineingehen. Ich muss aber auch dazu sagen, dass es sich im Fall des IRA, also bei grünen Technologien, um sogenannte Gemeinschaftsgüter dreht, also um Umwelt und Klima. Hier kommt die Marktwirtschaft in der Regel nicht so einfach zu Lösungen. Das ist ein guter Grund zu sagen: Geben wir jetzt mal einen Anschubser von der politischen Seite.

Der zweite Grund, warum der IRA doch konkreter ein Vorbild gerade jetzt für Deutschland sein könnte, wäre, dass davon ein starkes Signal ausgehen könnte, dass in unserem Land in einem bestimmten, am besten zukunftsorientierten Bereich etwas vorangeht. So ähnlich wie Präsident Macron mit dem KI-Gipfel versucht hat zu signalisieren: In Frankreich passiert jetzt etwas Großes im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Das könnte uns schon helfen.

Gerade als Verhaltensökonomin weiß ich, wie wichtig es ist, dass die eigentliche finanzielle Förderung Hand in Hand geht mit einem solchen psychologischen Signal. Das heißt, wir sollten uns überlegen, in welchen vielleicht noch riskanten Technologien Deutschland ganz vorne mitspielen könnte. Im Zentrum muss die Frage stehen: Wie machen wir die Wirtschaft fit für die Zukunft, wie bringen wir den Arbeitskräften zukunftsorientierte Skills näher, und wie helfen wir, zukunftsorientierte Technologien in Deutschland nicht nur auf dem „Start-up“ level sondern auch im „Scale-up“ zu fördern, so dass wir endlich wieder Wirtschaftswachstum erzielen?

Die Staatsverschuldung der USA liegt derzeit bei circa 35 Billionen US-Dollar. Trumps Wirtschaftspläne würden einer Schätzung zufolge eine weitere Erhöhung der Staatsverschuldung um bis zu acht Billionen US-Dollar in den kommenden zehn Jahren bedeuten. Welche Gefahren sind damit für die Stabilität des internationalen Finanzsystems verbunden?

Zunächst einmal ist es eine Gefahr für die USA. Die Zinskosten für die amerikanische Staatsverschuldung steigen immer weiter und übersteigen inzwischen das Militärbudget. Zudem gibt es inflationäre Effekte. Es könnte auch daher passieren, dass die amerikanischen Staatsanleihen ihren Status als „Safe Haven“ verlieren.  Man muss Präsident Trump zugutehalten, dass er dieses Problem erkannt hat und anzugehen versucht – auch wenn die Erfolge bei den Einsparungen durch DOGE weit hinter den Erwartungen zurückbleiben.

Für die Stabilität des internationalen Finanzsystems sind diese Entwicklungen ebenfalls nicht gut, da gebe ich Ihnen Recht. Aber ich möchte auch sagen, dass es eine Chance für Europa ist. Der Euro könnte eine stärkere Position als Reservewährung einnehmen. Das europäische Finanzsystem könnte wichtiger werden, die Kapitalmärkte in Europa könnten vertieft werden. Das verbindet sich klar mit dem, was wir vorher besprochen haben, und zwar dass wir für die Zukunft Investitionen in neue Technologien benötigen. Ich würde mir nichts mehr wünschen, als dass wir Europäer durch diesen Schwenk in der amerikanischen Handels- und Wirtschaftspolitik, einen wichtigen und guten Schritt vorankommen und den gemeinsamen Binnenmarkt und die Kapitalmärkte stärken. Ich hoffe sehr, dass wir das Momentum nutzen und beibehalten.

Das Interview führte Robin Fehrenbach.

Ulrike Malmendier ist Verhaltensökonomin, Politikberaterin und Professorin für Finanzmarktökonomik an der University of California. Seit 2022 ist sie Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, umgangssprachlich auch „Rat der Wirtschaftsweisen“ genannt.

 

 

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